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Für die Praxis unbrauchbar – EuGH zum „immateriellen Schaden“

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Christian Franz hat Recht: CR-online.de Blog: Unterraschung: Der EuGH, die DSGVO und die Klageindustrie.

Nach dem heutigen EuGH-Urteil zur „Österreichischen Post“ (EuGH v. 4.5.2023 – C‑300/21) bleibt für die (gerichtliche) Praxis so gut wie alles ungeklärt. Die Arbeits- und Zivilgerichte haben vom EuGH keine brauchbaren Hinweise erhalten, um die Spreu (kein Schaden) vom Weizen (Schaden) zu trennen.

Ja, es gibt keine „Erheblichkeitsschwelle“. Auch „unerhebliche“ sind nach Art. 82 DSGVO zu ersetzen. Aber Hand aufs Herz: Wer hätte denn ernsthaft erwartet, dass der EuGH die überkommene deutsche Rechtsprechung zum Schmerzensgeld übernimmt und eine „schwerwiegende“ Verletzung verlangt, damit immaterielle Schäden nach Art. 82 DSGVO ersetzt werden können.

Und ja, ohne „Schaden“ kein Ersatz. Der bloße Datenschutzverstoß reicht für einen Schadensersatz nicht aus. Aber dies lässt sich – wie der EuGH zurecht betont – bereits dem Wortlaut des Art. 82 DSGVO entnehmen und ist nicht wirklich eine Ãœberraschung, auch wenn vor allem deutsche Arbeitsgerichte dies bislang des Öfteren einmal übersehen haben.

Bloß: Was ist ein (immaterieller) „Schaden“? Liest man Rn. 50 des Urteils – dort ist vom „immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82″ die Rede -, könnte man meinen, die Antwort ergebe sich aus der DSGVO selbst. Dort jedoch sucht man vergeblich nach einer Definition. Auch der EuGH deutet nicht einmal an, was er unter einem „Schaden“ versteht. Wir wissen zwar, was der „immaterielle Schaden“ nicht ist („materiell“, „wirtschaftlich“, „in Geld messbar“). Woran man jedoch einen „immateriellen Schaden“ erkennt, sagt uns bislang niemand. Auch das gute alte BGB nicht, das zwar einzelne Tatbestände kennt, in denen immaterieller Schaden ersatzfähig ist (z.B. § 253 Abs. 2 BGB und § 651 n Abs. 2 BGB – „Urlaubsfreude“), jedoch keine Definition, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit in Geld nicht Messbares zu einem „Schaden“ wird.

Ärger über Spam-Mails, Unbehagen wegen eines Datenlecks, ein ungutes Gefühl, weil Daten abhanden gekommen sind: Ist dies schon ein „Schaden“ oder nur ein „Gefühl“? Man wird sich über diese Frage weiter munter vor deutschen Arbeits- und Zivilgerichten streiten. Das EuGH-Urteil hat keine Klarheit geschaffen und ist für die Praxis unbrauchbar.

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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