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Warum die „Höchstspeicherfrist“ keine „Höchstspeicherfrist“ ist und warum die Maas-„Leitlinien“ den EuGH links liegen lassen.

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Die heute veröffentlichten „Leitlinien“ zur Vorratsdatenspeicherung geben der Sicherheit Vorfahrt vor den Bürgerrechten. Die Unterschiede zu dem Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor fünf Jahren aufhob, sind marginal. (Leitlinien des BMJV zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten v. 15.4.2015, dazu „BMJV: Leitlinien zu Speicherpflicht und Höchstspeicherfristen für Verkehrsdaten“, CRonline News v. 15.4.2015)

 

Speicherdauer

Das alte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sah eine Speicherfrist von sechs Monaten vor. Diese Speicherfrist soll auf zehn Wochen verkürzt werden. Von einer „Höchstspeicherfrist“ zu sprechen, ist blanker Hohn, denn die Speicherverpflichtung soll – wie gehabt – flächendeckend und anlasslos gelten. Einzige Ausnahme: die Standortdaten, die bei der Mobilfunknutzung anfallen. Hier soll eine vierwöchige Speicherpflicht gelten.

In seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung bemängelte der EuGH, dass die Speicherpflicht flächendeckend vorgesehen war:

„Die Richtlinie 2006/24 … gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte….

Zum anderen soll die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beitragen, verlangt aber keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.“
(EuGH vom 8.4.2014, Az. C-293/12 und C-594/12, CR 2015, 86 (89 Rz. 58 und 59))

Die „Leitlinien“ setzen sich über diesen Einwand hinweg. Alle Verkehrsdaten sollen gespeichert werden, ohne dass es auf „Anhaltspunkte“ für Straftaten ankommt.

 

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Berufsgeheimnisträger

Der EuGH bemängelte des Weiteren, dass die Speicherpflicht auch für Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern (Ärzte, Anwälte, Seelsorger, Journalisten u. a.) gelten sollte:

„Zudem sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.“
(EuGH vom 8.4.2014, Az. C-293/12 und C-594/12, CR 2015, 86 (89 Rz. 58))

Auch über diesen Einwand setzen sich die „Leitlinien“ hinweg. Jedes Telefonat und jeder Internetzugriff eines Arztes oder Anwalts soll zehn Wochen lang gespeichert bleiben. Die Daten sollen auch keineswegs dem Zugriff von Ermittlungsbehörden entzogen werden. Vielmehr sind lediglich „Verwendungs- und Verwertungsverbote“ geplant. Wie diese „Verwendungs- und Verwertungsverbote“ genau aussehen sollen, bleibt abzuwarten.

 

Wer muss speichern?

Das neue Gesetz soll – ebenso wie das alte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung – für alle Telefonieanbieter und alle Zugangsprovider gelten. Anders als nach dem alten Gesetz soll die Speicherpflicht allerdings nicht für E-Mail-Anbieter gelten. Google wird somit nicht zur Speicherung von Daten der Gmail-Account-Nutzer verpflichtet.

Die vollmundig verkündete Ausnahme für E-Mail-Anbieter ist Augenwischerei: Der typische Nutzer eines E-Mail-Postfachs hält E-Mails deutlich länger als zehn Wochen gespeichert. Der Staatsanwalt, der auf ein E-Mail-Postfach zugreifen will, braucht hierzu keine Vorratsspeicherung.

 

Wer darf zugreifen?

Beredtes Schweigen in den „Leitlinien“. Gesagt wird nur, dass es einen Richtervorbehalt und einen Katalog schwerer Straftaten geben soll. Wer das Recht haben soll, einen richterlichen Beschluss zu erwirken – Staatsanwaltschaften, Polizei, Ordnungsbehörden, Nachrichtendienste – bleibt offen.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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