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Die Bundesjustizministerin zum EU-Datenschutz – eine Replik

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Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat sich im Editorial von MMR 11/2012, Seite 709, mit der aktuellen Diskussion zum EU-Datenschutz befasst. Sie weist darauf hin, dass das geltende Recht „den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen“ nicht gerecht werde, und fordert eine Sichtweise, die sowohl die Chancen als auch die Risiken „der digitalen Welt“ angemessen berücksichtige. So weit, so richtig.

Was fehlt?

Leider geht es indes in dem Beitrag der Ministerin sodann sehr wenig um die Chancen und die Bedeutung digitaler Kommunikation. Und Freiheitsrechte, denen sich die Ministerin eigentlich (auch) verpflichtet fühlen sollte, kommen in ihrem Beitrag nicht vor:

  • kein Wort zur Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung (Art. 12 GG),
  • keine Silbe zur Kommunikationsfreiheit (Art. 5 GG).

Gleichfalls bemerkenswert: Obwohl der GVO-Entwurf für Staat und Wirtschaft gleichermaßen gelten soll, bleibt der notwendighe Schutz der Bürgerrechte gegen den informationshungrigen Staat in dem Editorial vollständig unerwähnt.

Sorgen der Ministerin

Statt dessen sorgt sich die Ministerin darum, dass das „Recht auf Vergessen(werden)“ in Art. 17 des GVO-Entwurfs zu schwach ausgestaltet sei, und verlangt Nachbesserung. Dies obwohl Organisationen wie die „Reporter ohne Grenze“ davor warnen, dass ein solches Recht ein Vehikel der Zensur werden könne (Härting, „‚Recht auf Vergessen‘ – ein ‚Feind des Internets‘?“, CRonline Blog v. 12.3.2012).

Des Weiteren moniert die Ministerin, dass der „Grundsatz der Datensparsamkeit“ in dem GVO-Entwurf nicht hinreichend verankert sei. Ob „Datensparsamkeit“ indes noch ernsthaft postuliert werden kann, wenn Daten in der „digitalen Welt“ der Rohstoff des gesellschaftlichen Diskurses, der Kommunikation und der Wirtschaft sind, ist mehr als fraglich.

Die Ministerin fordert auch bei dem Prinzip des „One Stop Shop“ Nachbesserungen und wirksamere Mittel der Rechtsdurchsetzung gegenüber amerikanischen Unternhemen. Und das „Profiling“ soll nach den Vorstellungen der Ministerin nur noch „unter engen Voraussetzungen“ zulässig sein. Was sie damit genau meint und was sie überhaupt unter „Profiling“ versteht, bleibt unklar.

Ein Missverständnis?

Entgegen ihrem Eingangspostulat richtet die Ministerin ihren Blick ausschließlich auf die Risiken der Netzkommunikation und eine deutlich verschärfte Regulierung. Dies möglicherweise aufgrund eines kardinalen Missverständnisses: In der aktuellen Diskussion des europäischen Datenschutzrechts geht es niemandem um eine eine „Post-Privacy-Sicht“. Ernstzunehmende Stimmen, die den Datenschutz abschaffen oder auch nur maßgeblich schwächen wollen, gibt es nicht.

Der Kritik (bspw. auch Rogall-Grothe, ZRP 2012, 193 ff.) geht es vielmehr darum, Datenschutzrecht nicht mit der Gießkanne anzuwenden, sondern Persönlichkeitsrechte durch eine wirksam sanktionierte Regulierung dort zu schützen, wo sie am stärksten gefährdet sind. Dies kann nur mit einer modernen, differenzierten Regelungstechnik gelingen, die sich nicht mit einer „Fortschreibung“ des geltenden Rechts begnügt und die eigentlich auch einer Bürgerrechtsministerin gefallen sollte.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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