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Bußgelder gegen Unternehmen: sechs Beispiele aus der Rechtsprechung

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In unserem ersten Beitrag zur „DSGVO im Rechtsstaat“ hatten wir aufgezeigt, dass das deutsche Bußgeldrecht die Verhängung von Bußgeldern gegen ein Unternehmen erheblich erschwert (https://www.cr-online.de/blog/2019/09/11/dsgvo-bussgelder-gegen-unternehmen-in-deutschland-oft-unmoeglich/). Möchte man sich einen Eindruck über die Anforderungen der Rechtsprechung an Bußgeldbescheide gegen Unternehmen verschaffen, führt kein Weg an Entscheidungen zahlreicher Oberlandesgerichte vorbei, die sich mit den §§ 30 und 130 OWiG befasst haben. Amtsgerichte „winken“ so manchen Bußgeldbescheid gerne einmal im Massenbetrieb durch, in der Rechtsbeschwerde neigen die OLGs dann zu einer sehr kritischen Prüfung. Sechs exemplarische Entscheidungen verschiedener OLGs – vom Baurecht über das Lebensmittelrecht bis zum Abfallrecht – stellen wir nachfolgend vor.

  1. OLG Thüringen, Beschluss vom 02. November 2005 – 1 Ss 242/05

Es ging um die ungenehmigte Ablagerung von Abfällen in der Nähe eines Flusslaufes.

Im Zusammenhang mit einer Ordnungswidrigkeit des Geschäftsführers einer GmbH kann gegen die juristische Person gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden. Die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person ist aber von der Feststellung einer von ihrem Organ begangenen Ordnungswidrigkeit abhängig. Das OLG beanstandet, dass den Feststellungen des Tatgerichts sich nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, konkret welcher Geschäftsführer der Betroffenen eine solche Ordnungswidrigkeit begangen haben soll. Vor allem aber fehle es an hinreichenden Feststellungen, die ein ordnungswidriges Verhalten des betreffenden Geschäftsführers aufzeigen und hinreichend beweisen.

Die Stellung als gesetzlicher Vertreter der Betroffenen führt nicht schon für sich allein über § 9 Abs. 1 OWiG zur Verantwortlichkeit für einen von (irgendwelchen) Mitarbeitern der Betroffenen begangenen Verstoß. Der Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzt vielmehr grundsätzlich voraus, dass ihm diese Ordnungswidrigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen zu Täterschaft und Teilnahme, Tun und Unterlassen zugerechnet werden kann.

Eine Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 130 Abs. 1 OWiG verlangt vorliegend die Feststellung, dass das Organ die bei der juristischen Person beschäftigten Mitarbeiter im Hinblick auf die Einhaltung der entsprechenden abfall- und wasserrechtlichen Vorschriften nicht hinreichend eingewiesen und überwacht hat. Da das Ausmaß der Aufsichts- und Kontrollpflichten von den Umständen des Einzelfalles abhängt, müssen diese im tatrichterlichen Urteil in e nachprüfbaren Weise dargelegt werden. Dazu bedarf es insbesondere Angaben zu Betriebsaufbau und -organisation, zur Aufgabenverteilung innerhalb des Betriebes sowie zu Art und Umfang der vom Betroffenen durchgeführten Kontrollmaßnahmen sowohl bezüglich der Mitarbeiter als auch der behandelten Abfälle.

  1. OLG Celle, Beschluss vom 30. November 2001 – 322 Ss 217/01 (OWiz)

Es ging um ein Bußgeld gegen ein polnisches Unternehmen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz wegen Unterschreitung des tariflichen Mindestlohns

Unvollständige Feststellungen sind nicht geeignet gem. § 30 OWiG den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit gegen die Betroffene als juristisch Person zu begründen. Das Verfahren nach § 30 Abs. 4 setzt voraus, dass eine natürliche Person als Organ oder Bevollmächtigter im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 OWiG betriebsbezogene Pflichten vorwerfbar verletzt und dadurch eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Insoweit müssen die Urteilsgründe Feststellungen zur betrieblichen Organisation der Betroffenen enthalten. Dazu sind die Betriebsabläufe, die getroffenen und unterlassenen Maßnahmen im Einzelnen bzw. die von den Betroffenen getroffenen Anordnungen anzugeben. Die Feststellung, es sei „Aufgabe des Geschäftsführers“ der Betroffenen gewesen, genügt diesen Anforderungen nicht, weil dessen rechtliche und tatsächliche Befugnis und Stellung im Unternehmen und seine Einbindung in die Betriebsabläufe ebenso offen bleibt wie die Frage, ob er allein als Verantwortlicher in Betracht kommt.

  1. OLG Rostock, Beschluss vom 14. Januar 2013 – 2 Ss (OWi) 254/12 I 276/12

Es ging um ein naturschutzrechtliches Bußgeld gegen eine Genossenschaft wegen der Umwandlung von Dauergünland in ein Maisanbaugebiet.

Im Zusammenhang mit einer Ordnungswidrigkeit des Organs kann gegen die juristische Person gem. § 30 Abs. 4 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist aber die Feststellung einer von ihrem Organ begangenen Ordnungswidrigkeit, durch die Pflichten, die die juristische Person treffen, verletzt worden sind oder durch die die juristische Person bereichert ist oder werden sollte. Das Gericht betont, dass der Verantwortliche und die konkrete ordnungswidrige Handlung genau bezeichnet werden müssen.

  1. OLG Hamm, Beschluss vom 17. Dezember 2012 – 2 RBs 109/12

Es ging um einen Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten nach dem Sortenschutzrecht.

Die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 OWiG erfordert die Feststellung einer von ihrem Organ begangenen Ordnungswidrigkeit, durch die Pflichten, die juristische Personen oder Personenvereinigungen betreffen, verletzt worden sind oder durch die diese bereichert ist oder bereichert werden sollte. Es muss hinreichend deutlich werden, welches konkrete Unterlassen des für die Betroffene verantwortlich Handelnden vorgeworfen werden kann. Es muss z.B. deutlich werden, wann die Betroffene zur Auskunfterteilung aufgefordert worden ist und in welchem Tatzeitraum und in wie vielen Fällen sie gegen etwaige Mitteilungspflichten verstoßen haben soll. Es müssen tragfähige Feststellungen dazu vorliegen, aus welchen konkreten Gründen dem Verantwortlichen ein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen ist.

  1. Oberlandesgericht Dresden (Senat für Bußgeldsachen), Beschluss vom 20. 3. 1996 – 2 Ss (OWi) 116/95

Es ging um ein Bußgeld wegen der ungenehmigten Aufstellung großer Werbetafeln auf einem Grünstreifen.

Gegen eine juristische Person kann nur dann eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn ihr vertretungsberechtigtes Organ – Geschäftsführer – eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die eine sie treffende Pflicht verletzt worden ist, § 30 OWiG.

Die Gerichte haben zu klären, ob eine Leitungsperson selbst schuldhaft eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Sollte das Gericht nicht feststellen können, dass der Geschäftsführer selbst schuldhaft gegen Vorschriften verstoßen hatte, muss es prüfen, ob er seiner ihm gemäß § 130 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 OWiG obliegenden Aufsichtspflicht vorsätzlich oder fahrlässig nicht nachgekommen ist und dadurch die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften durch einen Dritten ermöglicht hat.

  1. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 08.03.1992 – 2 Ss (OWi) 48/92

Es ging um ein Bußgeld wegen des Vertriebs eines Bierschinkens, der nicht den für einen Bierschinken maßgeblichen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen entsprach.

Bei einer Verurteilung wegen einer fahrlässigen Tatbegehung einer Ordnungswidrigkeit gem. § 30 Abs. 1 OWiG müssen in den Urteilsgründen diejenigen Tatsachen angegeben sein, aus denen auf die Pflichtwidrigkeit des Handelns und die Vermeidbarkeit des Erfolges geschlossen worden ist. Es reicht nicht aus, wenn das Gericht lediglich ausführt, dass die Leitungsperson fahrlässig gehandelt habe. Es muss erkennbar sein, aufgrund welcher tatsächlichen Feststellungen das Gericht zum Ergebnis gelangt ist, der Geschäftsführer der Betroffenen habe fahrlässig gehandelt. Es müssen insbesondere Ausführungen dazu vorhanden sein, ob dem Geschäftsführer der Betroffenen der die zu einem ordnungswidrigen Fehlverhalten führenden Umstände bekannt waren oder aus welchen Gründen ihm dies hätte bekannt sein müssen, ob er selbst an dem konkreten Geschäftsvorgang mitgewirkt hat ob Beauftragte oder Mitarbeiter bestehende Vorschriften verletzt haben bzw. ob der Geschäftsführer seiner Aufsichtspflicht als für den gesamten Betrieb Verantwortlicher (§ 130 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 OWiG) nicht nachgekommen ist.

(Diesen Beitrag habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Seda Dinc und meinen Kollegen Lasse Konrad verfasst: https://www.haerting.de/team/seda-dinc und https://www.haerting.de/team/lasse-konrad. Sie gehören zu unserer Beitragsreihe zur “DSGVO im Rechtsstaat”).

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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