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Polizeistaatliche „Maßnahmen“ ohne Polizeistaat: Warum sich „NoCovid“, Bürgerrechte und Datenschutz nicht vertragen

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„You can’t have the cake and eat it.“ Wenn es einen roten Faden in der deutschen Corona-Politik gibt, dann folgt diese Politik treu diesem englischen Sprichwort. Man folgt dem chinesischen Modell einer Ausrottung des Virus, aber man wagt nicht den Schritt in den Polizeistaat. Wie in kaum einem anderen Land schränkt man die Freiheiten der Bürger durch immer neue „Maßnahmen“ ein. Wenn es aber darum geht, diese Maßnahmen mit Polizei und Ordnungskräften, mit Überwachungstechnik und Fieberthermometern, mit Militär und Gewalt durchzusetzen, ist Deutschland ein zaghaftes Schlusslicht.

Ablenkungsmanöver Datenschutz

Immer wieder heißt es, „der Datenschutz“ stehe einer erfolgreichen Pandemiebekämpfung im Wege. Der Bundesdatenschutzbeauftrage Prof. Ulrich Kelber wird nicht müde zu erwidern, man möge diese Behauptung einmal mit konkreten Beispielen belegen. Eine Antwort erhält Ulrich Kelber selten. Denn wer wagt sich schon zu fordern, Quarantäneanordnungen – wie in China – mit elektronischen Fußfesseln und der digitalen Ortung von Personen durchzusetzen? Stattdessen träumt man von Technologie, die es nirgendwo gibt. Freundliche „Warn-Apps“, die den genauen Standort von Kontaktpersonen dem nächstgelegenen Gesundheitsamt übermitteln und erst erfunden werden müssten. Ebenso wie die Konzepte, was denn die Gesundheitsämter mit diesen Daten anfangen sollten.

Sinn & Zweck als Moving Target

Statt konkret zu werden, bleibt das Ziel aller Corona-Maßnahmen im Ungefähren. Erst wollte man die Beschleunigung der Infektionszahlen verlangsamen („Flatten the Curve“) und eine Überlastung der Krankenhäuser vermeiden. Dann hieß es, der „R-Wert“ müsse deutlich abgesenkt werden. Seit vergangenem Frühjahr setzt man auf die „Kontaktnachverfolgung“ durch Gesundheitsämter, für die man eine „Inzidenz“ unter 50 brauche. Seit gestern ist auch dies Makulatur. Plötzlich spricht niemand mehr von den Gesundheitsämtern. Die 50 wird zur 35, und diffuse Angst vor „Mutationen“ dient als Begründungsersatz.

Ansatz „No Covid“

Überraschend sind die ständig wechselnden Begründungen nicht, wird doch unterschwellig immer wieder betont, dass „jeder Tote ein Toter zu viel“ sei. Die Diskussion, wie viele Kranke und Corona-Tote, Intensivpatienten und Beatmete hinnehmbar seien, hat man nie geführt und auch gar nicht führen wollen. „No Covid“ ist nicht neu, sondern Regierungspolitik seit April 2020. Damals setzte sich das Bundesinnenministerium gegen Widerstände innerhalb der Bundesregierung mit diesem Konzept durch.

„No Covid“ blieb dabei stets auf halbem Weg stecken. Während man mit einem Lockdown unter Hinnahme erheblicher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Nebenfolgen dem chinesischen Beispiel folgte, blieb man bei der Durchsetzung aller „Maßnahmen“ zögerlich:

  • In Deutschland:
    Als „Kontaktpersonen“ oder nach Einreise aus einem „Risikogebiet“ sind viele Menschen verpflichtet, in Quarantäne – oder verniedlicht „Selbstisolation“ – zu gehen. Überwacht wird dies so gut wie nie.
  • In Rumänien
    übermittelt das Gesundheitsamt die Daten der Betroffenen an deren Hausärzte. Von den Hausärzten kommt dann ein täglicher Kontrollanruf. Hierzulande undenkbar.
  • In Australien, Taiwan & UK:
    Noch weniger denkbar ist eine Internierung in Hotels (wie in Australien) oder gar eine Ortung und Überwachung per Mobiltelefon (wie in Taiwan). Auch drakonische Gefängnisstrafen, die derzeit im Vereinigten Königreich für Quarantänebrecher eingeführt werden, sind in Deutschland nicht vorstellbar.

Unvermeidbares Vollstreckungsdefizit

Wer muss schon ernsthaft Entdeckung befürchten, wenn er mehr als eine haushaltsfremde Person nach Hause zum Essen einlädt? Wo sind die patroullierenden Polizeistreifen, die überwachen, dass man die vorgeschriebene Personenzahl bei Spaziergängen einhält? Und wie viele – meist sehr moderate – Bußgelder werden wegen Verstößen gegen den Infektionsschutz verhängt?

Kein Polizeistaat:  „No Covid“ funktioniert in keinem Staat, der nicht zugleich Polizeistaat sein möchte und auch bei hohen Infektionszahlen weder Überwachungstechnik einsetzt, noch abschreckende Strafen verhängt. „No Covid“ bleibt eine Illusion, solange man Deutschland nicht – wie eine Insel (Neuseeland grüßt freundlich) – abriegelt und vom Rest Europas isoliert.

Keine Mehrheit:  Es liegt nicht am Datenschutz, dass „No Covid“ nicht funktioniert. Damit „No Covid“ Realität wird, müssten die viel zitierten „Regeln“ nicht nur auf dem Papier stehen, sondern mit drakonischer Gewalt durchgesetzt werden. Wenn „No Covid“ jedoch sein hässliches Zwangsgesicht zeigen würde, wäre die Mehrheitsfähigkeit der Regierungspolitik in Gefahr. Wer möchte schon in einem deutschen Polizeistaat leben?

Kein Diskurs:  Wer den Polizeistaat nicht will, sollte auf die Experten hören, die schon lange sagen, man müsse „lernen, mit dem Virus zu leben“. Ja, das heißt auch leben mit der Corona-Gefahr, mit Kranken und Toten. Und mit den gewohnten Bürgerrechten, zu denen auch der Datenschutz zählt.

Fazit

But:  „You can’t have the cake and eat it.“ – Really?

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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