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Corona-Verordnungen: Dürfen mich Freunde und Verwandte an den Ostertagen zu Hause besuchen?

avatar  Niko Härting

Die Corona-Verordnungen der Bundesländer machen vor der Wohnungstür nicht halt. In vielen Bundesländern sind Hausbesuche grundsätzlich verboten, wenn man weder alt noch krank noch „Partner“ des Gastgebers ist. Viele Deutsche werden daher Ostern allein zu Hause sein, wenn die Gerichte nicht noch in letzter Minute die überzogenen, gleichheitswidrigen und unverhältnismäßigen Besuchsverbote aufheben.

Ostern ohne Freunde und Verwandte?

Ostern ist ein Fest der Familie und Freunde. Man trifft sich zum Ausflug und zum Gottesdienst, zum Abendessen im Familienkreis und zum Osterfrühstück mit guten Freunden. All dies ist dieses Jahr jedoch nicht oder nur höchst eingeschränkt möglich.

Die Corona-Einschränkungen, die es in weiten Teilen der Welt gibt, gelten auch über die Feiertage. Und die Verbote machen vielerorts vor der Wohnungstür nicht Halt. In Österreich wurde dieses Wochenende per Erlass angeordnet, dass jeder Haushalt über Ostern nur maximal 5 Gäste einladen darf (Der Standard, „Ministerium verspricht Klarstellung zu Oster-Erlass nach heftiger Kritik und Verwirrung“ v. 4.4.2020).

Darf eine alleinstehende Ärztin, Apothekerin oder Kassiererin am Ostersonntag Freunde und Verwandte einladen?

In Deutschland sind die Corona-Vorschriften nach wie vor ein Flickenteppich. Jedes Bundesland macht seins. Und zum beträchtlichen Teil sehen die Landesverordnungen Besuchsverbote vor, die weit über die österreichischen Bestimmungen hinausgehen.

Szenario: Nehmen wir einmal das Beispiel einer alleinstehenden Ärztin, Polizistin oder Apothekerin, die auch nächste Woche wieder jeden Tag zur Arbeit fahren wird, und sich vielleicht ihren Bruder oder eine gute Freundin zu sich nach Hause einladen möchte.

Schauen wir einmal durch lexcorona.de und machen wir ein paar Stichproben für Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg.

Hintergrund zum Wiki LexCorona:
Mainz macht es möglich: Der Kollege Stephan Schmidt hat gemeinsam mit Sebastian Golla und Christopher Schmidt ein Corona-Projekt auf die Beine gestellt. Unter lexcorona.de sind alle Vorschriften des Bundes, der Länder und der Kommunen zu Schließungen und Ausgangsbeschränkungen zu finden. Vielen Dank!

Die drei Kollegen sind als Datenschutzexperten bekannt. Datenschutz ist ein Bürgerrecht. Daher überrascht es nicht, dass sich Datenschutzexperten in der Debatte um die derzeitigen Grundrechtseingriffe zunehmend zu Wort melden. Datenschutz sichert Freiheitsrechte. Und unsere Freiheitsrechte sind derzeit stärker eingeschränkt als je zuvor.

Berlin

Vorgaben: § 1 Abs. 1 der Berliner Corona-Verordnung (Ber-CV) verbietet – auch in den eigenen vier Wänden – jedwede „Zusammenkünfte“. Ausnahmen gibt es

  • wenn eine Zusammenkunft aus „zwingenden Gründen erforderlich“ ist (§ 1 Abs. 4 Satz 2 Ber-CV);
  • für die Begleitung Sterbender und für Trauerfeiern (§ 1 Abs. 4 Satz 3 und § 14 Abs. 3 lit. g Ber-CV);
  • für den „Besuch bei Ehepartnerinnen und Ehepartnern oder Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern und die Wahrnehmung des Sorgerechts oder Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich“ (§ 14 Abs. 3 lit. d Ber-CV);
  • für den Besuch bei alten, kranken und behinderten Menschen (§ 14 Abs. 3 lit. e Ber-CV).

Auslegung im Szenario: Eine alleinstehende Ärztin darf somit ihren Bruder über Ostern nicht zu sich nach Hause einladen.

Sanktion: Verstößt sie gegen das Verbot, drohen ein Bußgeld oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren (§ 75 Abs. 1 IfSG).

Nordrhein-Westfalen

Vorgaben: § 12 der nordrhein-westfälischen Corona-Verordnung (NRW-CV) beschränkt Zusammenkünfte im öffentliche Raum. Regeln und Beschränkungen für die eigenen vier Wände gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht.

Auslegung im Szenario: Eine alleinstehende Apothekerin darf somit Freunde und Verwandte zu sich einladen. Anders als in Österreich gibt es auch keine zahlenmäßige Begrenzung. Man setzt auf die Vernunft der Bevölkerung.

Sachsen

Vorgaben: § 2 Abs. 1 der sächsischen Corona-Verordnung (Sachs-CV) verbietet jedwedes Verlassen der eigenen Wohnung „ohne triftigen Grund“. Ausnahmen gibt es

  • für den „Besuch bei Ehe- und Lebenspartnern sowie bei Partnern von Lebensgemeinschaften, hilfsbedürftige Menschen, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich (§ 2 Abs. 2 Nr. 11 Sachs-CV);
  • für die Begleitung Sterbender sowie für Beerdigungen im engsten Familienkreis (§ 2 Abs. 2 Nr. 13 SN-CV).

Auslegung im Szenario: Wie in Berlin darf die alleinstehende Polizistin Ostern nicht bei sich zu Hause mit ihrer besten Freundin verbringen. Wer denkt sich so etwas eigentlich aus?

Bayern

Vorgaben: Auch in Bayern darf niemand „ohne triftigen Grund“ seine Wohnung verlassen, § 1 Abs. 4 der bayerischen Kontaktverbots-Verordnung (Bay-CV). Ausnahmen gibt es

  • für den „Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen … und die Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich (§ 1 Abs. 5 lit. d Bay-CV);
  • für die Begleitung Sterbender sowie für Beerdigungen im engsten Familienkreis (§ 1 Abs. 5 lit. f Bay-CV).

Auslegung im Szenario: In Bayern gilt somit dasselbe wie in Berlin und in Sachsen. Die alleinstehende Kassiererin, die Ostern für ihren Bruder kochen möchte.

Sanktion: Sie riskiert ein Bußgeld, das gegen den Bruder verhängt werden kann, oder sogar ein Strafverfahren.

Baden-Württemberg

Vorgaben: Außerhalb des öffentlichen Raums sind in Baden-Württemberg „Ansammlungen“ von bis zu fünf Personen erlaubt, § 3 Abs. 2 Satz 1 der baden-württembergischen Corona-Verordnung (BW-CV). Weitere Ausnahmen (für größere „Ansammlungen“) gibt es für Personen,

  • die in gerade Linie miteinander verwandt sind (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BW-CV);
  • die in häuslicher Gemeinschaft miteinander leben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BW-CV);
  • und „deren Ehegatten, Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner oder Partnerinnen oder Partner (§ 3 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BW-CV).

Auslegung im Szenario: In Baden-Württemberg sind die Regeln somit ähnlich wie in Österreich. Die alleinstehende Straßenbahnfahrerin darf über Ostern Freunde und Verwandte zu sich in die Wohnung einladen.

Verfassungsrechtliche Fragen

Auch wenn man das „Social Distancing“ für grundsätzlich richtig hält, stellen sich verfassungsrechtliche Fragen:

Bestimmtheit:

Gesetzliche Normen, die in Grundrechte eingreifen, müssen so bestimmt sein, dass der Bürger zwischen Erlaubtem und Verbotenem klar unterscheiden kann. Dies gilt insbesondere für Vorschriften, deren Verletzung mit einem Bußgeld oder sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren (§ 75 Abs. 1 IfSG) geahndet werden kann:

  • Was sind eigentlich „Lebenspartnerinnen“, „Partner“, „Partner von Lebensgemeinschaften“? Sind damit nur gleichgeschlechtliche Paare gemeint, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz, LPartG)? Falls nicht, woran erkennt man einen „Partner“ und wie unterscheidet man die „Partnerin“ von einem „Date“? Was gilt für eine „Ménage-à-trois“?
  • Wie alt muss man eigentlich sein, um als „Alter“ Besuch empfangen zu dürfen?
  • Und wie krank muss man sein, damit man als „Kranker“ im Sinne der Corona-Verordnungen gilt?

Fragen über Fragen, auf die die Verordnungen keine Antwort geben. Mit dem Bestimmtheitsgebot ist dies nicht vereinbar und daher verfassungswidrig.

Gleichheit:

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine Gleichheit landesgesetzlicher Regelungen. Sind die Bundesländer zur Gesetzgebung befugt, sind Flickenteppiche die Regel und nicht die Ausnahme.

Ein Flickenteppich kann als Vorteil gesehen werden:
Oltermann, „Germany’s devolved logic is helping it win the coronavirus race“, The Guardian, 5. April 2020

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet jedoch Gleichheit vor dem Gesetz. Und es widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, einer alleinlebenden Person den Besuch eines „Partners“ zu erlauben, einem Single jedoch den Besuch der besten Freundin zu verbieten. Beziehungen und Partnerschaften sind rechtlich nicht geschützt. Es gibt keinen sachlichen Grund ist, Singles ohne festen Partner schlechter zu stellen als Pärchen. Dies verstößt gegen Art. 3 GG.

Erforderlichkeit:

Manche werden es als erträglich oder doch zumutbar empfinden, Ostern alleine zu verbringen. Doch jeder von uns empfindet eine solche Einschränkung anders. Einsame und psychisch labile Menschen werden Ostern anders erleben als Singles auf einer Berliner Hauptstadtterrasse. Für eine alleinstehende Studentin wird sich das Alleinsehen anders anfühlen als für eine Straßenbahnfahrerin, die nach einer harten Arbeitswoche über Ostern alleine zu Hause sitzt.

Aus gutem Grund erklärt Art. 13 GG unsere Wohnungen für „unverletzlich“. My Home ist my Castle. Im privaten Lebensbereich sind die Eingriffsschranken deutlich höher als im öffentlichen Raum. Wenn wir Parks, Plätze oder Straßen nicht betreten dürfen, empfinden wir dies als milden Eingriff in unsere Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Das Verbot, Gäste in den eigenen vier Wänden zu empfangen hat eine ganz andere Qualität. Denn zu einem Leben in Würde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) gehört es, dass wir keine staatliche Erlaubnis brauchen, um wir in unseren eigenen vier Wänden Besuch empfangen.

Bei tiefen Grundrechtseingriffen, die die Menschenwürde tangieren, sind die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit hoch. Und daher muss man laut vernehmlich die Frage stellen, ob die Besuchsverbote tatsächlich erforderlich sind, um unsere Krankenhäuser vor dem Kollaps zu bewahren. Warum soll dies vor allem in Bayern, Berlin und Sachsen anzunehmen sein, nicht jedoch in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg?

Fazit

Die Besuchsverbote schießen in Berlin, Sachsen, Bayern und anderen Bundesländer über das Ziel hinaus. Man darf daher sehr gespannt sein, was die bislang zögerlichen Verwaltungsgerichte zu diesen Verboten – nicht nur zur Osterzeit – sagen werden.

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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