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Warum wir unsere Freiheit jetzt einfordern müssen

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Es ist zum Davonlaufen. Im Heute-Journal der Bericht über die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin, die sich von Links über Grün bis Söder einig sind, dass wir alle zwei weitere Wochen zu Hause bleiben müssen, Ostern weder in die Kirche gehen noch unsere Familien besuchen dürfen. Keine kritische Frage. Stattdessen ein Plädoyer der Moderatorin für eine Maskenpflicht im Supermarkt. Als ob es nicht schon genügend Regeln und Verbote gäbe.

Verbotskultur

Wer immer neue Verbote fordert, verbringt seine Zeit typischerweise im bequemen Home Office mit gesichertem Einkommen. Arbeitnehmerinnen in Kurzarbeit, Soloselbstständige mit unsicherer Zukunft, die auf dem Trockenen sitzen, verzweifelte Gastronomen und Einzelhändler werden gar nicht erst gefragt (siehe Übersicht über die in Deutschland erlassenen Rechtsakte auf LexCorona).

Wer die wirtschaftlichen Folgen des Verbotsrauschs am eigenen Leib erlebt, wird dem Humor Aachener Feuerwehrleute wenig abgewinnen könne, über die das Heute-Journal berichtet. Wenn die Feuerwehrleute durch die Straßen fahren und die Bewohner mit Udo Jürgens‘ „Immer wieder geht die Sonne auf“ beschallen, wirkt dies auf die Betroffenen wie Zynismus in Reinform, Ordnungskräfte zeigen, wer das Sagen hat. Und wehren kann sich derzeit niemand. Demonstrationen sind ja verboten.

Prognose-Erwartungen

Die deutschen Krankenhäuser sind derweil leer. Die Vorhersagen von vor zwei Wochen haben sich nicht bewahrheitet. Aber wer schaut schon auf die vielen Graphen von vor zwei Wochen, als uns prognostiziert wurde, es sei mathematisch erwiesen, dass in Deutschland dieselbe Entwicklung eintreten würde wie in Norditalien?

Dass sich düstere Prognosen von gestern nicht verwirklicht haben, scheint niemanden zu interessieren. Mit dem schlichten und denkfaulen Argument, dass es ja schließlich „um Menschenleben“ gehe, fügt man sich in einschneidende Grundrechtseingriffe, die noch vor einem Monat niemand für vorstellbar hielt.

Menschenbild der Verfassung

Uwe Volkmann hat heute im FAZ-Feuilleton zurecht darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz keinen absoluten Schutz von Menschenleben kennt. Warum gibt es eine Bundeswehr, warum den Straßenverkehr, warum Flugzeuge, und warum gibt es nicht bei jeder Grippewelle ein „Lockdown“ oder „Shutdown“? Weil das Menschenbild des Grundgesetzes nicht beim Ãœberleben aufhört, sondern das Leben in Würde das Menschenbild unserer Verfassung prägt.

Und zur Würde des Menschen gehört es, dass wir auch ohne „triftigen Grund“ die Wohnung verlassen dürfen. Zur Würde des Menschen gehört es, dass wir Ostern in der Familie feiern dürfen. Zur Würde des Menschen gehört es, dass die Häuser unserer Glaubensgemeinschaften über die Ostertage nicht geschlossen werden. Und zur Würde des Gastronomen gehört es, dass er seine Türen zumindest dann öffnen darf, wenn zwischen den Tischen genug Platz für „Social Distancing“ bleibt.

Kritische grundrechtliche Fragen

Früher oder später wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Corona-Verbote verfassungskonform sind. Karlsruhe wird nach dem Zweck der einschneidendsten Eingriffe in Grundrechte fragen, die wir in den letzten 70 Jahren gesehen haben. Und Karlsruhe wird sich weder mit „Gesundheitsschutz“ noch mit einem naiv-kindlichen „Es geht ja um Menschenleben“ zufrieden geben:

  • Karlsruhe wird fragen, ob Schließungen und Ausgangssperren erforderlich sind, um die Leistungsfähigkeit deutscher Krankenhäuser zu gewährleisten.
  • Karlsruhe wird fragen, welche konkreten Erkenntnisse es derzeit gibt bzw. gegeben hat, dass in unseren Krankenhäusern norditalienische Verhältnisse drohen.
  • Karlsruhe wird fragen, warum Blumenhändler in Berlin nur Schnittblumen verkaufen dürfen.
  • Karlsruhe wird fragen, warum Buchläden in Hamburg geschlossen und in Berlin offen sind.
  • Karlsruhe wird fragen, weshalb Gastronomen schließen müssen, während Produktionsbetriebe für den Gastronomiebedarf offen bleiben.

Warum eigentlich müssen Fitnessstudios schließen, während es auf jeder Baustelle so weiter geht, als habe es Corona nie gegeben?

Verhältnismäßigkeit & Gleichheit

Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit, Gleichheitsgrundsatz: Dass das kleine Einmaleins der Grundrechte jeden Tag neue Fragen aufwirft, scheint derzeit nur wenige zu stören. Die Gesellschaft gewöhnt sich an den Grundrechtsverzicht, Medien verstehen sich zu großen Teilen als Servicedienst der Bundesregierung, verzichten auf Kritik, die die Bevölkerung verunsichern könnte. Welche Folgen all dies für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Land haben wird, können wir derzeit noch nicht ansatzweise absehen.

Freiheit & Demokratie

Es wird Zeit, lautstark an das Grundgesetz zu erinnern. Lautstark daran zu erinnern, dass Sicherheit und Lebensschutz keine „Super-Grundrechte“ sind. Energisch daran zu erinnern, dass Freiheit kein Luxusgut ist, das in schlechten Zeiten zurückstehen muss. Vehement daran zu erinnern, dass es alles andere als egoistisch ist, Freiheit einzufordern. Und laut aufzuschreien, wenn unsere demokratische Grundordnung die Freiheitlichkeit aufgibt.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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