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Gebloggter Klatsch und der „Konsistenzvorbehalt“ des BVerfG: Warum Opfer schweigen.

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Bettina Wulff und das Rotlicht waren im vergangenen Winter das Gesprächsthema Nummer 1 auf Berliner Partygesprächen.  Hinter vorgehaltener Hand ging es nicht darum, ob „die Geschichten“ stimmen. Nein, die Gespräche drehten sich meist darum, wann denn die BILD-Zeitung endlich die First Lady demaskieren werde.

Wo kamen „die Geschichten“ her?

Verschwörungstheoretiker, Phantasten, Wichtigtuer: Das Internet ist (auch) eine globale Gerüchteküche. Und wenn sich pikante Gerüchte von Forum zu Blog, von Pinnwand zu Tweet mit Lichtgeschwindigkeit verbreiten, entsteht schnell der Eindruck, irgendetwas müsse an der schönen Geschichte doch wahr sein.

Warum schwieg das Opfer?

Die First Lady wird den gebloggten Klatsch gelesen haben. Vielleicht hat sie auch ihre Anwälte um Rat gefragt. Und die Anwälte werden ihr geraten haben, die Rotlicht-Gerüchte nicht zum Thema zu machen. Denn wenn eine Person des öffentlichen Lebens Privates in die Öffentlichkeit trägt, ist jeder Rückzug abgeschnitten. In seiner „Caroline von Monaco II“-Entscheidung hat das BVerfG den Schutz der Privatsphäre ausdrücklich unter „Konsistenzvorbehalt“ gestellt:

„Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme entfällt ferner, wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden (…) Zwar ist niemand an einer solchen Öffnung privater Bereiche gehindert. Er kann sich dann aber nicht gleichzeitig auf den öffentlichkeitsabgewandten Privatsphärenschutz berufen. Die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muss daher situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden. Das gilt auch für den Fall, daß der Entschluss, die Berichterstattung über bestimmte Vorgänge der eigenen Privatsphäre zu gestatten oder hinzunehmen, rückgängig gemacht wird.“

(BVerfG, Urt. v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96, Rz. 80)

Hätte sich Bettina Wulff auf dem Höhepunkt der „Wulff-Debatte“ zu den Gerüchten geäußert, so hätte es für sie keine Möglichkeit des Rückzugs aus der Gerüchteküche gegeben. Einen Rückzug gibt es jetzt natürlich auch nicht mehr, nachdem Bettina Wulff ihre Klagen und Abmahnungen hat publik werden lassen. Nachdem die mediale „Skandalwelle“ längst verrauscht ist, meint sie möglicherweise, bessere Aussichten zu haben, in ihrer Opferrolle ernst genommen zu werden.

Gibt es Gemeinsamkeiten mit Barbra Streisand?

Berichte über Unterlassungsklagen und Abmahnungen verbreiten sich oft mit rasanter Geschwindigkeit im Netz. Dies muss man als Opfer eines Gerüchts bedenken, wenn man juristisch gegen falsche Behauptungen vorgehen möchte. Man nennt dies gerne den „Streisand-Effekt“.

Einen „Streisand-Effekt“ muss Bettina Wulff nicht befürchten. Bei fast 60.000 Google-Treffern mit dem Stichwort „Prostituierte“ hat das Rotlicht-Gerücht längst eine Verbreitung erreicht,  die kaum noch größer werden kann. Aber die Ex-First Lady hat durch den Schritt in die Öffentlichkeit die Möglichkeit, in Büchern und Talkshows frei und ohne anwaltliche Bedenken darüber zu reden, wie man sich als Betroffene fühlt, wenn sich üble „Geschichten“ immer weiter im Internet verbreiten.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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