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Unseriöse Geschäftspraktiken aus Sicht einer liberalen Ministerin – ein Referentenentwurf

avatar  Niko Härting

Auf ungeklärte Weise ist ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) für ein „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ in Umlauf gekommen.

Man liest den Entwurf und wundert sich, was doch alles aus Sicht der derzeitig für das Ministerium Verantwortlichen als „unseriös“ gelten soll:

1. Rechtsanwälte, die Forderungen beitreiben.

Was macht ein Handwerker, der auf unbezahlten Rechnungen sitzt? Er schaltet einen Anwalt ein, der den Kunden zunächst einen Brief schreibt mit der Aufforderung, die überfälligen Rechnungen zu bezahlen. Man mag dies – mit dem BMJ – als eine anwaltliche „Inkassodienstleistung“ bezeichnen.

Das BMJ hält es für nötig, „Inkassodienstleistungen“ des Anwalts zu reglementieren – dies nicht etwa zum Schutz des Handwerkers, der auf unbezahlten Rechnungen sitzt, sondern zum Schutz des säumigen Kunden. Ein neuer § 43 d BRAO soll den Anwalt verpflichten, den Kunden detailliert über den Auftraggeber, den Forderungsgrund, die „wesentlichen Umstände des Vertragsschlusses“. Die genaue Zins- und Kostenberechnung und sogar über die Abzugsfähigkeit von Vorsteuer aufklären.

Zu den Grundpflichten des Anwalts gehört, dass er ausschließlich den Interessen einer Partei (seines Mandanten) verpflichtet ist. Die strikte Einhaltung des Verbots der Interessenkollision gehört zu den elementaren Grundpflichten des Anwalts, der Parteiverrat ist sogar eine Straftat. Mit der Stellung des Anwalts als Hüter der Interessen (nur) einer Partei verträgt es sich nicht, dass Anwälte zum Schutz der Interessen der Gegenpartei verpflichtet werden.

Natürlich gibt es schwarze Schafe unter den Anwälten, die sich vor den Karren fragwürdiger Machenschaften ihrer Klienten spannen lassen. Wenn Anwälte sehenden Auges zweifelhafte Forderungen beitreiben, kann dies eine Beihilfe zum Betrug sein oder andere Straftatbestände verwirklichen. Hier ist die Strafjustiz gefragt. Missstände, die es rechtfertigen könnten, dem Handwerker das Recht zu nehmen, einen Anwalt einzuschalten, der ausschließlich seinen Interessen verpflichtet ist, gibt es nicht.

2. Datenschutzrechtliche Einwilligungen

In seinen Entscheidungen zu „Payback“ (BGH, Urt. v. 16.7.2008 – VIII ZR 348/06, CR 2008, 720ff.) und „HappyDigits“ (BGH, Urt. v. 11.11.2009 – VIII ZR 12/08, CR 2010, 87 ff.) hat der BGH betont, dass datenschutzrechtliche Einwilligungserklärungen in Allgemeine Geschäftsbedingungen aufgenommen werden dürfen, ohne dass es eines gesonderten Anklickfeldes für die Einwilligung bedarf. Diese weitverbreitete und vom BGH gebilligte Praxis hält man im BMJ für „unseriös“. Man schlägt einen gewunden formulierten neuen § 308 Nr. 9 BGB vor, der das „Opt-In“-Prinzip für datenschutzrechtliche Einwilligungen einführt. Nicht genug: Der Vertragpartner soll zudem auch über die Folgen einer verweigerten Einwilligung, über Widerrufsrechte und –möglichkeiten informiert werden. Zur Krönung sieht § 308 Nr. 9 lit c BGB-E dann auch noch ein vollständiges Einwilligungsverbot vor für den Fall, dass der Vertragspartner „auf die vertragliche Leistung angewiesen ist“.

Die vom BMJ vorgeschlagene „Korrektur“ der BGH-Rechtsprechung würde lediglich uns Anwälte freuen, da wir mit zahlreichen Aufträgen zur Umsetzung der Neuregelung rechnen dürften. Man müsste in Vertragsschlüsse und Registrierprozesse zusätzliche Anklickfelder und Belehrungen integrieren. Jedenfalls im Internet lassen sich datenschutzrechtliche Einwilligungen nur per AGB einholen, denn das Internet kennt nur das standardisierte Massengeschäft. Datenverarbeitungsprozesse, die einwilligungsbedürftig sind, sind zudem schon aus technischen Gründen, die Regel und nicht die Ausnahme. Weshalb hier der Verbraucher von „unseriösen“ Praktiken geschützt werden muss und nicht einmal die laufenden Bemühungen der EU um ein neues Datenschutzrecht abgewartet werden können, erschließt sich nicht einmal ansatzweise.

3. Urheberrecht – Kappung der Streitwerte

Im Urheberrecht, aber auch im gesamten gewerblichen Rechtsschutz sollen die Streitwerte drastisch reduziert werden, wenn der Verletzer nicht gewerblich (§ 49 GKG-E) gehandelt hat bzw. wenn die Rechtsverletzung für den Verletzer (!) nur einer „geringere Bedeutung“ hatte (§ 51 GKG-E).

Das BMJ ist das für das Urheberrecht verantwortliche Ministerium. Mit Vorhaben zur Erneuerung des Urheberrechts hat sich die derzeitige Ministerin nicht hervorgetan. Zugleich ist in der laufenden Legislaturperiode eine Partei in mehrere Landtage mit erheblichen Stimmanteilen eingezogen, die sich „Piraten“ nennt und ihre Erfolge ganz maßgeblich der weit verbreiteten Kritik am geltenden Urheberrecht verdankt. Und dem BMJ fällt zum Urheberrecht lediglich ein, das materielle Recht unverändert zu lassen und gleichzeitig die Rechtsverletzung zu bagatellisieren. Dies kommt einem Offenbarungseid gleich.

Die Musikindustrie führt mit der „Abmahnmaschinerie“, die sie seit vielen Jahren betreibt, einen aussichtslosen Kampf. Und dass man – aus Sicht der Betroffenen – auf die Idee kommen kann, die Abmahnungen für „unseriös“ zu erachten, ist verständlich. Dies indes liegt daran, dass das Urheberrecht keine Antwort auf Phänomene wie das Filesharing getroffen hat. Statt an klugen Reformen für ein Urheberrecht des 21. Jahrhunderts zu arbeiten, hält man am geltenden Recht fest und schwächt zugleich dessen Durchsetzbarkeit. Ungerecht für die Rechteinhaber, deren Rechte geschwächt werden. Ungerecht aber auch für die Internetnutzer, die keine erweiterten Kopierbefugnisse erhalten und sich nur wenig darüber freuen werden, wenn das Filesharing ein wenig preiswerter wird.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

5 Kommentare

  1. avatar Recktenwald
    Veröffentlicht 22.4.2012 um 10:05 | Permalink

    Dass wir nicht der Steuerberater der Gegenpartei sind, will ich ja noch einsehen, aber was ist daran verwerflich, wenn ein Politiker, dessen Beruf die Rechtsaenderung ist, ein bewusste Entscheidung des Kunden fuer oder gegen Datenschutz verlangt?

    Wie sich Haerting eine Novelle des Urheberrechtes vorstellt, bleibt ausserdem offen.

    Will er P2P-Plattformen entkriminalisieren? Was unterscheidet die ueberhaupt von Youtube? Oder Rapidshare? Einen Rest von „non-infringing use“ gibt es auch da.

    Ein ernsthaftes Problem schafft nur die „Burdaklausel“ in der Regelung ueber die Privatkopie. Den ganz falschen Zusatz „legale Quelle“ muss man schnell wieder streichen.

    Und genauso die ganz falsche Idee, P2P-Netzwerke waeren Freundeskreise, in denen man freundschaftlich mit Milliarden guter Freunde seine Daten austauscht. Privatkopie ist Privatkopie. Eine kriminelle Vereinigung wird durch Groesse nicht besser. So wie die „Internetindustrie“ insgesamt durch die blosse Tatsache ihrer Existenz, der wir das Urheberrechtsproblem in erster Linie verdanken. Was spricht eigentlich dagegen, die „Internetindustrie“ genauso zahlen zu lassen wie einst die Tonbandgeraetehersteller?

    Wenn das nicht durchsetzbar ist fliesst eben ueberhaupt kein Geld in die Taschen der Privilegierten. Das Urheberrecht ist ein schoenes altes Privileg und nicht mehr..

  2. avatar Recktenwald
    Veröffentlicht 22.4.2012 um 10:12 | Permalink

    Was Streitwerte der „Abmahnmaschine“ betrifft, zeigt sich darin nur die Zweigleisigkeit des Rechtssystems. Es kommt nicht nur auf das Recht an, sondern auf seine Durchsetzbarkeit. Durchsetzbar sind ohnehin nur Ansprueche innerhalb der „Verwertungsphase“, die bereits eine Berliner Sondernummer war. Die Richtlinie spricht vom gewerblichen Ausmass im Sinne von Gewerbe, das diese P2P-Kids doch wirklich nicht betreiben. Man kann dem Ministerium allenfalls vorwerfen, dass es nicht schnell genug zurueckrudert.

  3. avatar Recktenwald
    Veröffentlicht 22.4.2012 um 10:16 | Permalink

    Im Internet kann man eben sehr schnell sehr viel Geld verdienen, siehe die ganz legalen Einnahmen des Megaupload-Betreibers, aber auch mit ein paar Mausklicks ohne irgendeinen Gewinn riesige Schaeden anrichten, jedenfalls nach der Rechnung der „Kulturindustrie“.

    Mehr Realismus auf allen Seiten!

  4. avatar Recktenwald
    Veröffentlicht 22.4.2012 um 10:25 | Permalink

    Zur Zweigliedrigkeit des Rechtssystem lies Windscheid. Nach Windscheid gaebe es wahrscheinlich im Internet praktisch kein Urheberrecht mehr. Wenn wir die „Internetindustrie“ nicht zahlen lassen.

  5. Veröffentlicht 22.4.2012 um 10:31 | Permalink

    Das geltende Datenschutzrecht ist nicht netztauglich. Dasselbe gilt für das Urheberrecht.

    Was das Datenschutzrecht angeht, haben wir schon einen Flickenteppich von unabgestimmten Bestimmungen, die über verschiedene Gesetze verteilt sind. Jetzt noch das AGB-Recht zu bemühen, ist Patchwork-Gesetzgebung par excellence. Dies dann auch noch unter dem falschen Vorwand, es gehe um „Unseriöses“. Wohin die Reise im Datenschutzrecht gehen könnte: http://www.schneider-haerting.de

    Zum Urheberrecht gibt es derzeit keine überzeugenden Vorschläge einer Rundum-Erneuerung. Auch von mir nicht. Eines ist jedoch nach meiner festen Ãœberzeugung sicher: Ein „Copy-„Right, das aus einer Zeit mühsamer Kopierverfahren stammt, muss weiter angepasst werden auf die massenhaften Vervielfältigungsvorgänge, die die Technik heute auf einfachste Weise (und orginalgetrau) ermöglicht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es ist unhaltbar, dass jede beliebige Kopie eines noch so schlechten Fotos der Zustimmung des Urhebers bedarf. Hier müssen neue Grenzen gesetzt und Regelungsmodelle geschaffen werden. Die Bemühungen der von Ihnen so genannten „Abmahnmaschine“ sind ebenso hilflos wie Versuche, diese „Maschine“ mit den Mitteln des Gerichtskostenrechts auszubremsen.

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