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Der Weg zu einem funktionierenden elektronischen Rechtsverkehr

avatar  Christian Franz, LL.M.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Der beA-Skandal wird ausgesessen, die Bevölkerung von der Bundesrechtsanwaltskammer ausgelacht. Es wird Zeit, etwas dagegen zu tun. Und das passiert jetzt.

„Kein schmückende (sic!) Beiwerk“ – eloquent verhöhnt die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) all diejenigen, die dem gewaltigen Loch im elektronischen Rechtsverkehr zum Opfer gefallen sind und noch zum Opfer fallen werden. Das ist nicht nur schlechter Stil. Das fortbestehende Problem ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar – und dagegen wird nun in Gestalt einer hier dokumentierten Intervention beim Ministerium der Justiz NRW und, absehbar, einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf etwas unternommen. Die Dokumentation wird fortlaufend aktualisiert und um Reaktionen der Justizverwaltung und anderer Stellen ergänzt.

Worum geht es?

Anwälte sind verpflichtet, nur noch elektronisch mit Gerichten zu kommunizieren. Das obige Zitat der BRAK bezieht sich auf eine angebliche Eingangsbestätigung bei Nutzung des BRAK-Produkts „beA“ (kurz für „besonderes elektronisches Anwaltspostfach“). Der sei nämlich eine Liste mit elektronischen Dokumenten beigefügt, die bei Gericht eingegangen sein sollen. Was sie dabei verschweigt: Die Liste stammt gar nicht von dem Gericht, an das die Dokumente versandt werden sollten. Die BRAK hat die Liste kurzerhand selbst gemalt, und zwar vor (!) Weiterleitung der Dokumente an das jeweilige Gericht. Sie ist damit genau das, was die BRAK abstreitet: Schmückendes Beiwerk, nicht mehr.

Folge ist, dass im Fehlerfall die Rechtssuchenden einen vollständigen Rechtsverlust erleiden, im schlimmsten Fall ihre Existenz verlieren können, weil der Fehler erst nach Ablauf von Fristen auffallen wird.  Das System der BRAK gaukelt den Anwälten nämlich vor, die Frist sei gewahrt, obwohl das nicht stimmt. Dem Autor dieser Zeilen ist das passiert, und es gibt zahlreiche gleichlautende Berichte anderer Rechtsanwälte. Dagegen hieß es seitens der BRAK:

„Die Auflistung der übermittelten Dateien in der Eingangsbestätigung ist also nicht nur schmückende Beiwerk, sondern „die“ automatisierte Eingangsbestätigung bezogen auf genau diese Dokumente.“ (sic!)

Man kann der BRAK nicht zu Gute halten, dass sie es nicht besser wüsste. Sie hat nämlich über Jahre hinweg in ihren Exportdateien von beA-Nachrichten ein Zertifikat ausgeliefert, von dem sie selbst dachte, dass damit auf kryptografischer Basis ein sicherer Beweis des Eingangs der elektronischen Dokumente bei Gericht erbracht werden könnte. Erst im Jahr 2021 hat sie festgestellt, dass sie sich die ganze Zeit über vertan hat, und aus diesem Grund die nutzlose Datei weggelassen. Die BRAK hat also das Problem erkannt – spät, aber immerhin –, bestreitet es aber öffentlich wider besseres Wissen. Diese recht arrogante Reaktion auf das Problem ist in erster Linie deshalb überraschend, weil die platte Lüge überhaupt nicht nötig war, um von eigenem Fehlverhalten abzulenken. Ausgerechnet für dieses Problem ist die BRAK nämlich gar nicht verantwortlich.

Das Loch im EGVP

Die Ursache liegt in einem Designfehler des „Elektronischen Gerichts- und Behördenpostfachs“ (EGVP), auf die das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) aufsetzt. Dieses sieht vor, dass eingehende Nachrichten von einem System entgegengenommen werden, das den Eingang der elektronischen Dokumente nicht bestätigen kann, weil sie verschlüsselt sind. Erst der Empfänger, der die Nachrichten von dort später abruft, könnte das (tut es aber nicht). Dieses Setup ist mit den gesetzlichen Vorschriften, wonach der Zeitpunkt des Eingangs elektronischer Dokumente auf dem empfangenen Gerichtssystem automatisch bestätigt werden sollte, unvereinbar (s. z.B. § 130a Abs. 5 ZPO). Alles, was man der Bunderechtsanwaltskammer daher vorwerfen kann, ist die Tatsache, dass sie die Öffentlichkeit (und die Anwaltschaft) mit diesem Problem im Regen stehen lässt und, statt auf eine Lösung zu dringen, aktiv in die Irre führt. Zur Behebung ist die Justizverwaltung berufen. Die diskutiert derweil am Problem vorbei: Dort glaubt man, die Diskussion drehe sich um den Grad der Nachweissicherheit eines Eingangs. Tatsächlich geht es um den Eingang an sich. Schlägt der fehl, ist die Partei des Rechtsstreits erledigt. Und was nicht passiert ist, kann auch nicht nachgewiesen werden.

Qualitätsmanagement

Zusammengefasst: Von der Bundesrechtsanwaltskammer ist nichts zu erwarten. Was bleibt, ist Selbsthilfe. Und zum Glück gibt es insoweit das älteste QM-System der Welt: Den Instanzenzug. Einen ersten Aufschlag machen wir mit einer Aufforderung an die nordrhein-westfälische Landesjustizverwaltung. Sollte, was zu erwarten ist, die Reaktion negativ ausfallen, folgt eine Klage zum Verwaltungsgericht.

Der Fortgang dieser Bemühungen soll hier künftig chronologisch dokumentiert werden. Die (auch technischen) Einzelheiten finden sich im Entwurf der Klageschrift, der unten abrufbar ist. Sollte das Justizministerium NRW reagieren, werden wir die Dokumentation ergänzen. Und sollte, was nach Lage der Dinge wahrscheinlich ist, die Reaktion abschlägig ausfallen, gilt das auch für die Korrespondenz in einem sich anschließenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht.

Schließlich: Für Anmerkungen, vor allem aber auch Kritik, sind wir dankbar. Die Kontaktdaten des Autors finden sich unter https://www.franz.de.

Der Weg zu einem funktionierenden elektronischen Rechtsverkehr, chronologisch:

06.10.2022

1. Anschreiben Ministerium der Justiz NRW

2. Anlage: Klageentwurf zum Verwaltungsgericht

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