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Der Sonnenkönig dekretiert: Ab heute wird hier fernsigniert.

avatar  Christian Franz, LL.M.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Die Bundesrechtsanwaltskammer überfällt 165.000 Rechtsanwälte und schmeißt deren Abläufe durcheinander. Muss man das hinnehmen? Nein, es gibt einen Ausweg. Eine Glosse.

Das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ ist angetreten, alle Vorbehalte gegen berufsständige Vereinigungen in einem eigentlich sehr simplen Digitalprojekt zu vereinen und zu bestätigen. Das begann mit der freihändigen Vergabe des 38-Millionen-Euro-Auftrags an einen unqualifizierten Mandanten der Kanzlei des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer: Ein Vorgang, der Fidel Castro aus dem Amt gefegt hätte. Aber damit war noch lange nicht Schluss. Auch in der Abwicklung zeigt sich nahezu täglich aufs Neue, warum man berufsständige Kammern durch ein sehr kleines Shellscript ersetzen sollte. Die neueste Volte: Der momentan laufende „Kartentausch“. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat völlig überrascht festgestellt, dass die im Verein mit der Bundesnotarkammer (kennt eigentlich jemand die Ausschreibungsunterlagen?) ausgestellten Signaturkarten am 31. Dezember 2022 ihre „sicherheitstechnische Zulassung“ verlieren.

Den Pöbel informieren? Warum?

Derartige, seit fünf Jahren bekannte Ereignisse geben natürlich Anlass für Geheimniskrämerei. Auf keinen Fall durfte die Öffentlichkeit erfahren, dass die Bundesrechtsanwaltskammer einen Technologiewechsel anstrebt, hin zu sogenannten „Fernsignaturen“. Wir sehen hier vermutlich das berühmte Anwaltsgeheimnis am Werk. Rationale Gründe sind, wie immer, nicht ersichtlich.

Folge ist nach den Plänen der Bundesrechtsanwaltskammer, dass ein Fremdunternehmen technisch in der Lage sein wird, im Namen von 165.000 Rechtsanwälten verbindlich elektronische Dokumente zu signieren. „Unabstreitbar“, wie es in den technischen Richtlinien zu der elektronischen Signatur heißt. Die qualifizierten elektronischen Signaturen verbleiben nämlich künftig auf den Systemen des Nicht-Vertrauensdienstleisters, wie man die Bundesnotarkammer richtigerweise bezeichnen muss. Sie will die digitalen Unterschriften künftig auf Weisung der Rechtsanwälte selbst erstellen und kann das technisch unproblematisch auch bei Dokumenten, die gar nicht auf den Anwalt zurück gehen. Das Missbrauchspotential ist enorm.

Die BNotK hat sich bei diesem Ãœberfall auf die Anwaltschaft mit der Bundesrechtsanwaltskammer gemein gemacht und ihr Vorhaben trotz der Pflicht, auf die eigenen Vertragspartner Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB), verheimlicht. Und so wird die Mehrheit der Rechtsanwälte, die eine „beA-Karte Signatur“ ihr Eigen nennt, derzeit darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie – vertragswidrig – keine neu ausgestellte Karte mit qualifizierter elektronischer Signatur erhalten, sondern lediglich einen faulen Abklatsch dessen: Die Möglichkeit, eine Fernsignatur bei der Bundesnotarkammer zu beantragen.

Man kann sicherlich darüber nachdenken, eine Fernsignatur zu nutzen. Mit einem Dienstleister, der das erforderliche Vertrauen auch rechtfertigt. Dazu ist transparente Kommunikation unabdingbar. Überraschungsangriffe aus dem Hinterhalt par ordre du mufti, wie sie die beiden Kammern ausgeheckt haben, bewirken das Gegenteil.

Vertrauen muss man sich verdienen

Wer nach diesen Geschehnissen allen Ernstes noch das Vertrauen in die BNotK hat, um ihr die eigene Identität – unabstreitbar! – anzuvertrauen, muss mit dem Quast gepudert sein. Hinzu kommt: die Fernsignaturkarten funktionieren nur leidlich oder gar nicht mit Anwaltssoftware, was einer sinnvollen Nutzung des beA im Weg steht. Das liegt an der oben bereits angesprochenen Geheimniskrämerei: Die Hersteller wurden von der Umstellung überrascht. Die Bundesrechtsanwaltskammer meint, eine Information wenige Wochen vor dem Systemwechsel reiche aus, um entsprechende Anpassungen zu programmieren. Dass das völliger Quatsch ist, wusste sie vorher: Das gleiche Spiel hatte sie nämlich vor einigen Jahren bei einem lange vorher bekannten Zertifikatswechsel abgezogen, der ebenfalls zum Stillstand der Rechtspflege geführt hatte. Aber Sonnenkönige haben ja keine Pflicht, irgendwie dazuzulernen. Und der Sonnenkönig in Gestalt der Bundesrechtsanwaltskammer kann nicht anders, als auch diese Verfehlung der Aufgabenstellung wie auch die absolut unterirdische Kommunikation hierzu mit Arroganz zu quittieren:

„Keineswegs ist es Aufgabe der BRAK, den Kanzleisoftware-Herstellern eigene Programmierleistungen zur Anpassung oder Erweiterung ihrer Kanzleisoftware abzunehmen. Dies gilt umso mehr, wenn es um den Einsatz von Softwarekomponenten geht, die für die Kommunikation zwischen Kanzleisoftware und Dritten erforderlich sind, wie im vorliegenden Fall der Zertifizierungsstelle der BNotK zur Nutzung des von dieser bereitgestellten Fernsignaturservice.“

Hat es jemand gemerkt? Genau. Die von der BRAK als „Vertrauensdienstleister“ ausgewählte Bäckerinnung ist gerade zum „Dritten“ geworden, mit dem man nun wirklich nichts zu tun habe. Und: Na klar ist das deren Aufgabe, was denn sonst. Auf Empfängen Häppchen essen und dabei irgendwie gut aussehen kann die Anwaltschaft auch alleine. Andere Aufgaben hat die BRAK nicht. Das ist eine Einrichtung für ehemalige Anwälte, die lieber als Funktionäre arbeiten möchten. Mit der Schreibmaschine. Falls einer von denen mitliest und angesichts dieser objektiven Zustandsbeschreibung die Faust in der Tasche ballt: Sie können sich jetzt vorstellen, wie es Ihren Unterworfenen ging, als sie plötzlich vor dysfunktionalen Kanzleiabläufen standen und Ihre oben verlinkte Stellungnahme gelesen haben. Wie man in den Wald hineinruft…

Der Ausweg

Man sollte diesen Quatsch daher ablehnen. Und das kann man, kostenlos. Wer vor April 2022 seine „beA-Karte Signatur“ bestellt hat, ist ein Dauerschuldverhältnis mit der Bundesnotarkammer auf Belieferung eingegangen. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verpflichten die Bundesnotarkammer dabei, das qeS-Zertifikat auf einem physischen Datenträger, insbesondere einer Karte, auszuliefern. Von einer „Fernsignatur“ ist in der vertraglichen Vereinbarung nirgendwo die Rede und ein Recht zur Schlechtleistung ergibt sich aus den AGB natürlich auch nicht. Wie so etwas aussehen könnte, lässt sich aus dem hier abrufbaren Schreiben an die Bundesnotarkammer ersehen. Die jeweils geltenden AGB (Standangabe jeweils unten) finden sich hier und hier. Erst ab dem 25. April 2022 behält die BNotK sich die Lieferung einer Fernsignatur vor. Alle Kolleginnen und Kollegen sind eingeladen, den Text zu eigenen Zwecken zu verwenden.

Nachtrag zur Ausschreibung

Weil Nachfragen kamen: Der Auftrag für das beA wurde seinerzeit von der Bundesrechtsanwaltskammer unter ihrem Präsidenten Axel Filges freihändig an den französischen Atos-Konzern vergeben – nach zutreffender Auffassung rechtswidrig. Es handelte sich dabei um eine Mandantin von Taylor Wessing, wie sich etwa hieraus ergibt. Axel Filges war dort seinerzeit Partner. Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten hatte Atos seinerzeit keine. Die Projektplanung der BRAK sah die einmalige Erstellung, nicht die kontinuierliche Fortentwicklung vor, was unter fachlichen Gesichtspunkten ein katastrophaler Fehler war. Auf einen derartigen Projektplanungsfehler hätte ein qualifizierter Dienstleister hingewiesen und auch hinweisen müssen. Damit ist trotz aller Bemühungen um Geheimhaltung seitens der BRAK offenkundig, dass der Dienstleister fachliche Basisanforderungen nicht erfüllte. Axel Filges hat im Jahr 2020 das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen bekommen.

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