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Kein Daten- und Arbeitnehmerschutz bei internen Ermittlungen?

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Entwurf für „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ veröffentlicht – Anforderung gesetzeskonformer interner Untersuchungen gestrichen

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat am 22. April 2020 den lange erwarteten Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ v.  20.4.2020 vorgelegt.

Der vorgelegte Ref-Entwurf zeigt erstaunliche Unklarheiten in Bezug auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen drohende Sanktionen künftig mildern können, indem sie interne Untersuchungen durchführen und deren Ergebnis gegenüber den Behörden offenlegen. Insbesondere besteht erhebliche Rechtsunsicherheit, inwieweit Sanktionen trotz möglicher Verstöße gegen Vorgaben des Datenschutzes oder des Arbeitsrechts bei internen Untersuchungen ausgeschlossen werden sollen.

Die aktuell geplante Rechtslage scheint perplex und der vorgelegte Ref-Entwurf lässt entscheidende Fragen offen. Wegen der erheblichen Rechtsunsicherheiten für Unternehmen, die aus dem derzeitigen Ref-Entwurf resultieren, sollte der Gesetzgeber künftige Änderungen überlegen:

Hintergrund

Ziel:  Das geplante Verbandssanktionengesetz (VerSanG) soll unter anderem eine angemessene Ahndung von sog. Verbandstaten ermöglichen. Zugleich soll das Gesetzbündel Compliance-Maßnahmen fördern. Das künftige VerSanG soll insbesondere Anreize dafür bieten, dass Unternehmen und andere Verbände mit internen Untersuchungen dazu beitragen, Straftaten aufzuklären.

Milderungs-Chance:  Der VerSanG-RefE regelt auch, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen Sanktionen durch die Durchführung interner Untersuchungen und die aktive Offenlegung von Missständen gegenüber den Behörden mildern können.

Mögliche Sanktionsminderungen nur bei rechtskonformen Untersuchungsmaßnahmen?

Ursprüngliche Einschränkung der Milderungs-Chance:  Eine bereits 2019 zirkulierte Entwurfsfassung für ein VerSanG sah Sanktionsminderungen aufgrund interner Untersuchungsmaßnahmen nur dann vor, wenn „die verbandsinterne Untersuchung in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt wird.“ Die Gesetzesbegründung zu dieser damals in § 18 Abs. 1 Nr. 6 VerSanG-Entwurf (2019) noch geregelten Vorgabe enthielt weitere Klarstellungen dazu, was mit der geforderten Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen gemeint war:

„Zu Nummer 6: Gemäß Nummer 6 ist weitere Voraussetzung für eine sanktionsmildernde Berücksichtigung von verbandsinternen Untersuchungen, dass diese in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt werden. Denn der Staat kann nur gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren. Erforderlich ist insbesondere die Einhaltung der datenschutzrechtlichen und arbeitsrechtlichen Bestimmungen.“
(Hervorhebung hinzugefügt)

Insofern hatte der Gesetzgeber ursprünglich deutlich klargestellt, dass unternehmensinterne Untersuchungen mögliche Sanktionen nur dann mindern sollten, wenn das Unternehmen die Vorgaben der DSGVO, des BDSG und des Arbeitsrechts ordnungsgemäß umsetzt.

Arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Vorgaben

Arbeitsrecht:  Bereits die 2019 diskutierte Regelung hatte arbeitsrechtliche Fragen aufgeworfen und z.B. offen gelassen:

  • ob nur individualarbeitsrechtliche Vorgaben sich auf die mögliche Sanktionsminderung auswirken sollten,
  • oder ob etwa auch mögliche Unklarheiten bei der ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats die Minderung einer Sanktion ausschließen könnten. Gerade bei internen Ermittlungen werden umfassende Informations- und Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten diskutiert. Der genaue Umfang dieser Beteiligungsrechte ist oftmals sehr umstritten. Es dürfte kaum sachgerecht sein, Unternehmen die aus dieser recht unklaren Rechtslage folgenden Risiken aufzubürden.

Datenschutzrecht:  Auch die Anforderungen des Datenschutzes an die rechtskonforme Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen sind komplex. Einen entsprechenden Überblick hierzu im CR-online Blog mit weiteren Fundstellen können Sie hier abrufen.

Soll es Sanktionsmilderungen geben auch bei Rechtsverstößen verbandsinterner Untersuchungsmaßnahmen?

Wegfall der Einschränkung:  Im aktuellen VerSanG-RefE ist die ursprünglich in § 18 Abs. 1 Nr. 6 VerSanG-Entwurf (2019) vorgesehene Regelung entfallen, nach der unternehmensinterne Untersuchungen Sanktionen ausdrücklich nur dann mildern können, wenn „die verbandsinterne Untersuchung in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt wird.“

Wegfall der Milderungs-Chance?  Das bedeutet sicher nicht, dass Unternehmen und andere Verbände im Sinne des VerSanG-RefE nun bei internen Ermittlungen keine geltenden Gesetze mehr einhalten müssten. Es stellt sich aber die Frage, ob Verstöße gegen bei internen Ermittlungen anwendbare Rechtsvorschriften nun nach wie vor dazu führen sollen, dass die Möglichkeit einer Sanktionsmilderung aufgrund der internen Untersuchungen entfällt.

  • Argumente Pro:

Wortlaut-Änderung:  Für die Annahme, dass auch nicht vollständig rechtskonform durchgeführte Ermittlungen zu Sanktionsmilderungen führen können, spricht auf den ersten Blick die Streichung der entsprechenden Passage im Gesetzeswortlaut. Somit könnten Datenschutzverstöße zwar mit Bußgeldern nach Art. 83 DSGVO sanktioniert werden oder Schadensersatzforderungen nach Art. 82 DSGVO sowie verwaltungsbehördliche Maßnahmen nach Art. 57 DSGVO oder andere datenschutzrechtliche Risiken nach sich ziehen. Es verbliebe aber bei der grundsätzlichen Möglichkeit, die Verbandssanktion trotz festgestellter Rechtsverstöße aufgrund der internen Untersuchung zu mildern.

Historie & Systematik:  Vertreter dieser Auffassung könnten argumentieren, dass ein entsprechender Wille des Gesetzgebers durch die erfolgte Streichung gegenüber der vorherigen Entwurfsversion klar zum Ausdruck gekommen sei. Beispielsweise bei nicht datenschutzkonform durchgeführten internen Untersuchung seien neben drohenden Bußgeldern und sonstigen Nachteilen nach der DSGVO keine weiteren Nachteile in Form eines Ausschlusses einer Sanktionsmilderung geboten. Zudem komme in solchen Fällen noch etwaige Milderung der Sanktion nach der allgemeinen Vorschrift des § 15 Absatz 3 VerSanG-RefE in Betracht. Diese Regelung sieht vor, dass bereits das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken, berücksichtigt werden kann.

  • Argumente Contra:

Fairness:  Andererseits stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber mit dem VerSanG-RefE tatsächlich eine inhaltliche oder nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt hat. Denn nach wie vor kommt eine Sanktionsminderung beispielsweise nur dann in Betracht, wenn „die verbandsinterne Untersuchung unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt wurde“. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob die genannten Grundsätze eines fairen Verfahrens auch die Anwendung geltender gesetzlicher Vorschriften umfassen.

Widerspruchsfreiheit:  Weitere Argumente lassen sich auch der aktuellen Entwurfsbegründung entnehmen. Dort heißt es auf Seite 98:

„Weitere Voraussetzung für eine sanktionsmildernde Berücksichtigung von verbandsinternen Untersuchungen ist selbstverständlich, dass diese in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt werden. Denn der Staat kann nur gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren.“
(Hervorhebungen hinzugefügt)

Diese Regelung entspricht der bereits bekannten Formulierung aus der früheren Entwurfsversion. Der Hinweis, dass der Staat nur gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren kann, legt nahe, dass nur vollständig rechtskonforme durchgeführte interne Untersuchungen zu einer Reduzierung einer Verbandssanktion führen können.

Besondere Hervorhebung:  Allerdings ist der in der früheren Entwurfsbegründung noch zu findende Hinweis entfallen, dass insbesondere die Einhaltung der datenschutzrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorgaben für eine Sanktionsminderung erforderlich ist.

Zwischenergebnis und Handlungsempfehlung für den Gesetzgeber

Perplexität:  Für beide vorstehend gezeigten Ansichten sprechen gut vertretbare Argumente. Bereits dies zeigt, dass der Gesetzgeber hier dringend Klarheit schaffen sollte. In der jetzigen Phase des Gesetzgebungsverfahrens wäre dies handwerklich noch ohne weiteres möglich.

  • Einerseits:  Zwar deuten die Ausführungen aus der Entwurfsbegründung, dass der Staat nur gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren kann, bereits darauf hin, dass jedenfalls datenschutz- und individualarbeitsrechtliche gesetzliche Vorgaben als Voraussetzung einer Reduzierung einer Verbandsbuße einzuhalten sind.
  • Andererseits bleibt etwa offen, ob beispielsweise auch eine nicht den hohen Anforderungen des Betriebsverfassungsrechts entsprechende Information des Betriebsrats über geplante Untersuchungsmaßnahmen bereits eine Sanktionsmilderung ausschließen soll. Zu den im § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-RefE genannten Grundsätzen eines fairen Verfahrens durfte die Beteiligung des Betriebsrats nicht zwingend zählen.

Nachbesserung:  Insgesamt verbleibt im VerSanG-RefE noch ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit, das zu erheblichen Risiken für Unternehmen führt. Diese Rechtsunsicherheit ist für die Wirtschaft nur schwer hinnehmbar. Daher sollte der Gesetzgeber hier noch einmal dringend nachbessern.

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