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Das Patentrecht und seine Zwangslizenz in der Coronakrise

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Die COVID-19-Pandemie führt nicht nur zu empfindlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens, sie droht auch das Patentrecht unter Druck zu setzen. Sowohl der öffentliche Diskurs als auch die zuständigen staatlichen Entscheidungsträger müssen bei möglichen Beschränkungen des Patentschutzes die Notwendigkeit der patentrechtlichen Anreizfunktion im Blick behalten. Sonst könnten weitere menschliche Opfer drohen – zwar mit zeitlichem Abstand, spätestens jedoch in der nächsten Pandemie.

Patenrechtskritischer Diskurs

Bereits in der Vergangenheit hat sich Patentrechtskritik teils mit guten Argumenten an der in Europa nur begrenzt möglichen Softwarepatentierung und mit häufig weniger guten Argumenten an der Biopatentierung (mitunter unter dem irreführenden Schlagwort „Keine Patente auf Leben“) entzündet. In der Coronakrise könnte das Patentrecht nun weitere Kritik auf sich ziehen, wofür nicht zuletzt das Fehlverhalten einzelner Patentinhaber verantwortlich ist.

Beispielsweise wurde in den vergangenen Tagen über Fälle berichtet, in denen Patentinhaber gegen die Herstellung dringend benötigter Ersatzteile von Beatmungsgeräten durch 3D-Drucker oder gegen COVID-19-Tests vorgingen. Auch wenn diesen Ansinnen kaum eine gerichtliche Durchsetzungschance zukommen dürfte und die Patentinhaber in beiden Fällen zwischenzeitlich zurückgerudert sind, könnten bereits solche Meldungen in der Öffentlichkeit Wirkung entfalten.

Einschränkungen des Patentschutzes

Darüber hinaus könnten verstärkt Einschränkungen des Patentrechts diskutiert werden, die einer breiten Öffentlichkeit zwar zunächst einleuchten dürften, die aber langfristig großen Schaden anzurichten vermögen.

Benutzungsanordnung: Ein Beispiel dafür ist, dass im Rahmen der heute im Bundestag beschlossenen Novellierung des Bundesinfektionsschutzgesetzes das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt werden soll, „im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nach – dem bislang noch nie angewendeten – § 13 PatG ein Benutzungsrecht anzuordnen (BT-Drs. 19/18111).

Zwangslizenz: Ein weiteres Beispiel ist die Diskussion der patentrechtlichen Zwangslizenz, ohne die damit verbundenen Auswirkungen auf die zukunftsgerichtete Funktion des Patentsystems zu beachten (wie jüngst Stoll, „Private Impfstoffentwicklung und öffentliches Interesse“, Verfassungsblog v. 19.3.2020).

Arzneimittelentwicklung und Patentrecht

Die Entwicklung von Heilmitteln und Impfstoffen ist eine ausgesprochen teure, langwierige und ungewisse Angelegenheit. Heutzutage erfordert sie den Einsatz modernster Technologien – die neuerdings auch die künstliche Intelligenz einschließen – und die Compliance mit einem hohen Maß staatlicher Regulierung. Keine Seltenheit sind Kosten von bis zu 2 Milliarden US-Dollar und Entwicklungsdauern von über zehn Jahren, in denen sich die meisten Kandidaten im Übrigen als nicht wirksam oder sicher genug herauszustellen.

Schutzpflicht des Staates: Wie erfüllt der Staat dennoch seine aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgende Schutzpflicht, die Arzneimittelentwicklung sicherzustellen? Er tut dies neben der öffentlichen Grundlagenforschung maßgeblich durch das Patentrecht – nicht zuletzt spricht der 11. Erwägungsgrund der Biopatentrichtlinie (RL 98/44/EG) explizit von der „Bekämpfung großer Epidemien“.

Zielkonflikt: Allerdings ist das Patentrecht – jedenfalls auf dem ersten Blick – Teil eines Zielkonflikts zwischen Anreiz und Zugang. Indem es dem Inhaber das zeitlich begrenzte Recht einräumt, andere von der gewerblichen Nutzung der Erfindung auszuschließen (§ 9 PatG), schafft es einerseits notwendige Innovations- und Investitionsanreize. Schließlich könnten private Innovatoren die sehr hohen und ungewissen Investitionen nicht tätigen, würden sie später von nachahmenden Wettbewerben vom Markt verdrängt. Das Patentrecht verhindert dieses Marktversagen, indem es positive Externalitäten der Innovationstätigkeit internalisiert. Andererseits vermag es damit den Zugang zu bereits entwickelten Erfindungen – einschließlich patentfähiger Arzneimittel – zu beschränken oder jedenfalls zu verteuern.

Perspektiven und Abwägungen

Dieser Konflikt kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und bewertet werden:

  • Verfassungsrechtlich ist eine praktische Konkordanz herzustellen zwischen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, die auch das Patentrecht schützt, sowie der Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit weiteren betroffenen Grundrechten wie – im Falle der Arzneimittel – der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und möglicherweise auch der ärztlichen Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG.
  • Ökonomisch lässt sich der Konflikt als Balance zwischen einem statischen Nachahmungswettbewerb und einem dynamischen Innovationswettbewerb verstehen – und löst sich auf den zweiten Blick insofern auf, als dass letztlich die öffentliche Wohlfahrt optimal gefördert werden soll.
  • Rechtsethisch spielen teilweise widerstreitende gerechtigkeitstheoretische und utilitaristische Gesichtspunkte eine Rolle.

Diese Perspektiven konkretisieren sich im Rahmen der patentrechtlichen Policy-Hebel, also der Ausgestaltung und Anwendung der Erteilungsvoraussetzungen und des Schutzumfangs. Dazu gehört die patentrechtliche Zwangslizenz (§ 24 PatG).

Grenzen der patentrechtlichen Zwangslizenz

Tatbestandsvoraussetzungen: Tatbestandlich setzt § 24 PatG neben der Lizenzunwilligkeit des Patentinhabers unter anderem voraus, dass „das öffentliche Interesse“ die Erteilung der Zwangslizenz „gebietet“.

Auslegung: Die pauschale Auslegung, ein öffentliches Interesse bestehe „unzweifelhaft […] im Hinblick auf Gebote der öffentlichen Gesundheit“ (so Stoll, „Private Impfstoffentwicklung und öffentliches Interesse“, Verfassungsblog v. 19.3.2020), greift zu kurz. Es gibt gute Gründe dafür, dass die patentrechtliche Zwangslizenz weder in Deutschland noch anderswo eine große Rolle spielt und die Patentbehörden jährlich zwar tausende Arzneimittel-Patente, die Gerichte aber fast keine Zwangslizenzen erteilen (obwohl es der gerichtlichen Praxis an Patentstreitigkeiten nicht mangelt).

Kosten-Nutzen-Analyse: Wie die Auflösung des Zielkonflikts zwischen Anreiz und Zugang im Allgemeinen bedarf auch die Auslegung des § 24 PatG im Speziellen der Kosten-Nutzen-Analyse. Dabei kann auf Erfahrungswissen und gesicherte Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden:

  • Kontextbedingungen: Zum einen haben neben der ökonomischen Theorie auch empirische Untersuchungen gezeigt, dass ein starker und rechtssicherer Patentschutz im Biotechnologie- und Pharmabereich – anders als in anderen Technologiebereichen wie beispielsweise der reinen Softwareentwicklung – aufgrund der spezifischen Kontextbedingungen (besonders hohe Entwicklungskosten bei besonders geringen Nachahmungskosten) notwendig ist.
  • Abschreckung: Zum anderen kommen der Zwangslizenz – genauer: der realistischen Möglichkeit der späteren Zwangslizenzerteilung – erhebliche Abschreckungseffekte zu. Schließlich würde der Patentinhaber nach Erteilung der Zwangslizenz nur eine durch das Gericht zu bestimmende Vergütung erhalten (§ 24 Abs. 6 S. 4 PatG), die – deutlich wertvollere – Marktexklusivität aber verlieren.

Schwächung & Folgeschäden: Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Zwangslizenzerteilungen bereits in der Vergangenheit auch neben der langfristigen Schwächung der patentrechtlichen Anreizfunktion konkrete Folgeschäden verursacht haben. So sind vereinzelt Fälle außerhalb Europas bekannt, in denen für wichtige Medikamente Zwangslizenzen erteilt wurden, dies aber so große Rechtsunsicherheit und Abschreckungseffekte hervorrief, dass laufende Zulassungsanträge zurückgezogen wurden und in der Folge weniger Arzneimittel auf dem Markt gelangt sind (vgl. Ho, in: Takenaka (Hrsg.), Research Handbook on Patent Law and Theory, 2. Aufl. 2019, S. 419, 438 ff.). Diese Zusammenhänge dürfen im öffentlichen Diskurs nicht verdrängt werden.

Zeitliche Abwägungsdimension

Bei genauerer Betrachtung verkomplizieren sich die Wohlfahrtsmaximierung auf ökonomischer Ebene und die praktische Konkordanz auf grundrechtlicher Ebene in solchen Situationen zusätzlich durch eine Zeitdimension: Bei der Justierung patentrechtlicher Policy-Hebel stellt sich häufig die Frage, inwiefern Interessen, Wohlfahrt und Grundrechte in der Gegenwart zugunsten jener in der Zukunft eingeschränkt werden sollen:

  • Gegenwart: Beispielsweise könnte aus reiner Gegenwartsperspektive der Zugang zu Arzneimitteln optimal dadurch sichergestellt werden, dass der Patentschutz gänzlich abgeschafft wird.
  • Zukunft: Damit würde der Staat allerdings die Arzneimittelentwicklung für die Zukunft massiv einschränken.

Kriterium: Indessen ist es bei der Vornahme solcher Abwägungen vorzugswürdig, anhand des verfügbaren Wissens die öffentliche Wohlfahrt zugunsten aller betroffenen Personen unabhängig von ihrer zeitlichen Stellung optimal zu fördern:

  • Ethik: Zum einen entspricht dieses Ergebnis der herrschenden Meinung in der Ethik, nach der Interessen, Rechten und Rechtsgütern unabhängig von ihrer Stellung in der Zeit der gleiche Wert zukommen, eine Schlechterstellung der Zukunft also nicht stattfinden soll (vgl. bspw. die Beitrage Gethmanns, Biernbachers und Sturmas in: Gethmann/Mittelstrass (Hrsg.), Langzeitverantwortung, 2008).
  • Praktische Konkordanz: Zum anderen dürfte sich das Ergebnis der Irrelevanz zeitlicher Distanz ebenfalls aus der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen – insbesondere der jeweiligen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – ergeben.

Abwägung: Eine Diskontierung oder Gradierung der Interessen, der Wohlfahrt oder des Grundrechtsschutzes in der Zukunft ist jedenfalls dort nicht angezeigt, wo deren Betroffenheit bereits absehbar ist – wie bei der Beeinträchtigung der künftigen medizinischen Versorgung durch die Schwächung der patentrechtlichen Anreizfunktion. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem die Erkenntnis, dass sich der Staat seiner Entscheidung, inwieweit er die Zukunft auf dem Altar der Gegenwart opfert – oder umgekehrt – gar nicht entziehen kann.

Zusammenfassung

Grundsatz: Im Ergebnis dürfte die patentrechtliche Zwangslizenz häufig sowohl schwerwiegende Wohlfahrtsverluste bewirken als auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und – im Falle der Deincentivierung künftiger Arzneimittelentwicklung – unter anderem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen.

Ausnahme: In ganz besonderen Ausnahmekonstellationen mag dies anders sein. Aber auch dann bedarf die Erteilung einer patentrechtlichen Zwangslizenz zumindest einer belastbaren Folgenabschätzung und einer guten Begründung. Jedenfalls sollte der öffentliche Diskurs die engen Voraussetzungen der patentrechtlichen Zwangslizenz und ihre drohenden Auswirkungen auf die Anreizfunktion des in die Zukunft gerichteten Patentrechts nicht aus den Augen verlieren.

Alternativen: Im Übrigen stehen dem Staat alternative Instrumente zur Verfügung, um seiner Schutzpflichten gerecht zu werden und weder die Arzneimittelentwicklung noch den Arzneimittelzugang über Gebühr einzuschränken. Beispielsweise werden dazu in der Ökonomie sog. Patent Buyouts und die Auslobung öffentlicher Preise – bzgl. eines COVID-19-Impfstoffes möglicherweise ein einstelliger Milliardenbetrag im Gegenzug zur Patentfreiheit – diskutiert. Hingegen entsprechen die Gefahren der staatlichen Benutzungsanordnung gem. § 13 PatG jenen der Zwangslizenz.

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