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Corona im Rechtsstaat: Warum rechtsstaatlich einwandfrei gehandelt werden muss

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Bundesregierung plant rasche Gesetzesänderung, um nachträglich Rechtsgrundlagen für „Kontaktverbote“ zu schaffen

Die seit heute in allen Bundesländern geltenden Ausgangsbeschränkungen sind rechtswidrig, da es hierfür keine gesetzlichen Grundlagen gibt (hier die Übersicht der BRAK zu allen Verordnungen, Erlassen und Allgemeinverfügungen der Länder). Dies ist offenbar die Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums, das durch Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) im Laufe dieser Woche neue Rechtsgrundlagen schaffen möchte.

§ 28 Abs. 1 IfSG: Rechtsgrundlage aller Corona-Maßnahmen

Durch das Gesetzespaket, das bis Ende dieser Woche verabschiedet werden soll, soll unter anderem § 28 Abs. 1 IfSG geändert werden. Eine Vorschrift, die bis vor kurzem niemand kannte. Zugleich die zentrale Norm, auf die sich die Bundesländer bei allen Beschränkungen des öffentlichen Lebens in der vergangenen Woche gestützt haben. Von der Schließung der Theater, Gaststätten und Ladenlokale über die Verbote von Versammlungen und Ansammlungen bis zu den als „Kontaktverboten“ verniedlichten Ausgangsbeschränkungen: § 28 IfSG wird in allen Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen der Länder als Rechtsgrundlage genannt.

Die vier Sätze von § 28 Abs. 1 IfSG lauten:

Satz 1: „Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.“

Satz 2:  „Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.“

Satz 3:  „Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden.“

Satz 4:  „Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.“

(Hervorhebungen hinzugefügt)

Dies bedeutet unter anderem:

  • Anzahl von Menschen:  Veranstaltungen oder sonstige „Ansammlungen“ dürfen zur Infektionsbekämpfung nur untersagt werden, wenn es sich um eine „größere Anzahl von Menschen“ handelt. Verordnungen, die „Ansammlungen“ von 5, 3 oder gar 2 Menschen verbieten, sind rechtswidrig.
  • Quarantäne:  Personen dürfen verpflichtet werden, „den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen“. Wenn sie infiziert sind, darf Quarantäne angeordnet werden (§ 30 IfSG).
  • Kontaktverbot:  Allgemeine Anordnungen, das Haus nur noch „aus triftigem Grund“ zu verlassen, sieht § 28 Abs. 1 IfSG nicht vor. Die seit heute geltenden „Kontaktverbote“ verstoßen daher gegen geltendes Recht.
  • Freizügigkeit:  Grundrechte dürfen zwar eingeschränkt werden. Dies gilt jedoch nicht für das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG).
  • Grundrechtebeschränkung:  Dass Art. 11 GG in § 28 IfSG nicht erwähnt wird, ist keine Lappalie. Das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) schreibt vor, dass auf Grund eines Gesetzes nur dann in Grundrechte eingegriffen werden darf, wenn dies in dem Eingriffsgesetz ausdrücklich erwähnt wird. Allein das Fehlen des Art. 11 GG in § 28 Abs. 1 IfSG bedeutet, dass § 28 Abs. 1 IfSG keine Einschränkungen der Freizügigkeit erlaubt.
  • Zwangsbehandlung:  Eine Zwangsbehandlung von Kranken oder Infizierten hat bislang noch niemand gefordert. Aus gutem Grund: Zwangsbehandlungen sind nach § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG ausdrücklich verboten.

Schlechter Scherz:  Änderung „aus Gründen der Normenklarheit“

Das Bundesgesundheitsministerium schlägt vor, § 28 Abs. 1 IfSG diese Woche noch zu ändern. In der Begründung heißt es dazu lediglich, dies geschehe „aus Gründen der Normenklarheit“. Ein schlechter Scherz, geht es dem Ministerium doch ersichtlich darum, rechtswidrige Maßnahmen im Nachhinein zu legalisieren. Maßnahmen, die das öffentliche Leben in unserem Land fast zum Stillstand bringen. Maßnahmen, die zu existenziellen Sorgen von Millionen Bürgern führen. Maßnahmen, die es uns verbieten, ohne „triftigen Grund“ das Haus zu verlassen und Freunde zu besuchen.

in Zukunft soll § 28 Abs. 1 IfSG nur noch drei Sätze haben, die wie folgt formuliert sein sollen:

Satz 1:  „Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“

Satz 2:  „Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.“

Satz 3:  „Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.“

(Hervorhebungen hinzugefügt)

Dies bedeutet:

  • Anzahl von Menschen:  Versammlungen und „Ansammlungen“ dürfen auch dann verboten werden, wenn es sich nicht um eine „größere Anzahl von Menschen“ handelt.
  • Kontaktverbot:  Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote, die bislang nach § 28 Abs. 1 IfSG nicht angeordnet werden konnten, sind in Zukunft möglich.
  • Freizügigkeit:  Das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) wird jetzt erwähnt, sodass Ausgangsbeschränkungen nicht mehr am Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG scheitern.
  • Zwangsbehandlung:  Das Verbot von Zwangsbehandlungen wird gestrichen – gewiss nicht allein „aus Gründen der Normenklarheit“.

An unsere historische Erfahrung denken

Wir sind froh, in einem Rechtsstaat zu leben und nicht in einem „Normen- und Maßnahmenstaat“ (Ernst Fraenkel). In einem Rechtsstaat bestimmen die Normen über die Maßnahmenbefugnisse der Exekutive. Dies ist ein hohes Gut. Denn die historische Erfahrung lehrt uns, wohin es führen kann, wenn Normen allenfalls im Nachhinein erlassen werden, um rechtswidrigem Handeln der den Anschein des Rechtsstaatlichen zu geben.

Die Sorgen vor COVID19 sind groß, die Sorgen um unseren Rechtsstaat ebenso (vgl. auch Härting, „Corona: Nur kritische Fragen sind alternativlos“, CRonline Blog v. 21.3.2020).

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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