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Geheimdienste: Berechtigte Kritik an den USA und blindes Vertrauen in Deutschland

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USA: die Rechtsgrundlagen für „Prism“

Seit 2008 ist der „Foreign Intelligence Surveillance Act of 1978 Amendments Act of 2008“ (kurz: FISAA oder FAA) Rechtsgrundlage für Abhörmaßnahmen der National Security Agency (NSA) . Das Gesetz ist in den USA seit seinem Inkrafttreten höchst umstritten (siehe Wikipedia zu „Foreign Intelligence Surveillance Act of 1978 Amendments Act of 2008“).

Für Abhörmaßnahmen der NSA gibt es eine gerichtliche Kontrolle durch den United States Foreign Intelligence Surveillance Court (FISA Court). Der FISA Court ist ein umstrittenes Geheimgericht, dessen Entscheidungen nicht veröffentlicht werden (siehe Wikipedia zu „United States Foreign Intelligence Surveillance Court“).

Amnesty International und eine Reihe amerikanischer Bürgerrechtsorganisationen sind der Auffassung, dass FISAA/FAA gegen die amerikanische Verfassung verstößt. Das US Supreme Court wies jedoch im Februar 2013 eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurück. Begründung: Die Bürgerrechtler hätten nicht hinreichend darlegen können, dass sie selbst von Abhörmaßnahmen der NSA betroffen sind (Clapper v. Amnesty International, Supreme Court of the United States, decision of 26 February 2013 – 638 F. 3d 118). Im Hinblick auf die neuesten Erkenntnisse rund um „Prism“ kann man den Eindruck gewinnen, dass den amerikanischen Verfassungsrichtern das Ausmaß der Abhörmaßnahmen der NSA nicht bewusst war.

USA: bekannte Fakten zu „Prism“

Über „Prism“ wurde zuerst am vergangenen Freitag im englischen „Guardian“ berichtet („NSA Prism program taps in to user data of Apple, Google and others“, the guardian of 7 June 2013). Es handelt sich um ein Verfahren, durch das sich die amerikanische NSA auf vereinfachte Weise Daten bei verschiedenen Internet-Unternehmen (Google, Apple u.a.) verschafft. Zu diesen Daten zählen unter anderem E-Mails, Videos, Photos und Chatprotokolle. Die NSA ist der Militärnachrichtendienst der USA.

Wie „Prism“ genau funktioniert, ist bislang nicht in allen Einzelheiten bekannt. Zudem scheint es keine verlässlichen Erkenntnisse darüber zu geben, ob die Abhörmaßnahmen von den Befugnissen der NSA gemäß FISAA/FAA gedeckt sind oder ob es sich um rechtswidrige Exzesse handelt.

Deutschland: Abhörbefugnisse der Geheimdienste und Bestandsdatenauskunft

Auch in Deutschland haben die Geheimdienst umfassende Abhörbefugnisse auf der Grundlage des G10-Gesetzes. Die Betroffenen werden im Normalfall von diesen Maßnahmen nicht verständigt. Die Rechtmäßigkeit der Abhörmaßnahmen unterliegt der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKrG), dessen Sitzungen streng geheim sind. Das PKrG erstattet dem Deutschen Bundestag einen jährlichen Bericht über seine Tätigkeit.

Zu den Abhörbefugnissen der Geheimdienste zählt die „strategische Fernmeldeüberwachung“ durch den BND gemäß den §§ 5 ff. G10-Gesetz. Vergangenes Jahr wurde bekannt, dass der BND allein im Jahr 2010 auf der Grundlage dieser Befugnisse eine beträchtliche Zahl von E-Mails mit Suchbegriffen durchforstet und mehr als 37 Mio. „Treffer“ gemeldet hatte.

Am 1.7.2013 tritt das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft in Kraft (ausführlich zur Neuregelung Dalby, “Das neue Auskunftsverfahren nach § 113 TKG – Zeitdruck macht Gesetze”, CR 6/2013, 361ff.). Das neue Gesetz verpflichtet die Provider zu Auskünften über die Identität von Internetnutzern, wenn Geheimdienste dies für „erforderlich“ erachten.

Deutschland: kaum Fakten zu den Abhörmaßnahmen der Geheimdienste

In welcher Weise die Geheimdienste von ihren beträchtlichen gesetzlichen Befugnissen Gebrauch machen, ist nicht bekannt. Es lässt sich daher auch nicht mit Sicherheit sagen, ob es hierzulande keine Maßnahmen gibt, deren Ausmaß mit „Prism“ vergleichbar ist. Geheimdienste agieren im Verborgenen, die Kontrolle wird im Wesentlichen durch ein Gremien ausgeübt, deren Sitzungen geheim sind. „Whistleblower“ wie Edward Snowden und Bradley Manning hat es in Deutschland in den letzten Jahren nicht gegeben.

Geheimdienste – Rückzugsräume für intransparentes und kontrollfreies staatliches Handeln

In einer offenen Gesellschaft, in der Transparenz in zunehmendem Maße als hohes Gut gilt, wirken Geheimdienste zunehmend antagonistisch. Dies umso mehr, als wir uns in den letzten Jahren an eine zunehmende Verrechtlichung staatlicher Eingriffsbefugnisse gewöhnt haben. Während Polizeigesetze immer detaillierter die rechtlichen Voraussetzungen für das Zücken eines jeden Knüppels in Worte fassen und Datenschutzgesetze einem jeden Amt genaue Vorgaben machen, wenn es um den Umgang mit Informationen über die Bürger geht, bewegen sich die Geheimdienste in einem Raum, der zwar verrechtlicht, aber – für die Öffentlichkeit – kontrollfrei ist. Geheimdienste können daher zu einer Art Rückzugsraum für staatliches Handeln werden, das das Licht einer öffentlichen und gerichtlichen Kontrolle scheut.

Geheimdienste – naives Vertrauen statt Transparenz und Kontrolle?

Ob sich Geheimdienste an Recht und Gesetz halten oder exzessiv handeln, lässt sich mangels jeglicher Transparenz nicht sicher beurteilen. Wir Bürger sind somit darauf angewiesen, den im Geheimen agierenden Beamten zu vertrauen. Und es verschlägt einem gelegentlich den Atem, wie groß dieses Vertrauen gerade bei Politikern und Beamten ist, die sich einen Namen als kritische Geister gemacht haben:

Zu den 37 Mio. E-Mails als „Treffer“, die der BND im Jahre 2010 abgesaugt hat, äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele Anfang 2012 etwas kryptisch, aber vertrauensselig und sprach von „Missverständnissen“:

„Ströbele hält es aber auch für nötig, durch die Veröffentlichung entstandene Missverständnisse auszuräumen. So handle es sich bei der Maßnahme nicht um eine Rasterfahndung im Telekommunikationsverkehr bestimmter deutscher Bürger in Deutschland, sondern eine ‚strategische Überwachung der gebündelten Funkübertragung etwa über asiatischen oder afrikanischen Ländern‘. Deutsche dürften hiervon kaum betroffen sein. Falls doch, gelte für sie prinzipiell der Schutz des Grundgesetzes mit der Pflicht zur sofortigen Datenlöschung. Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Anordnung einschließlich der Verwendung von Suchbegriffen entschieden die im PKG vertretenen unabhängigen Fachleute.“

[zitiert nach „Opposition fordert Konsequenzen aus E-Mail-Überwachung„, heise online v. 27.2.2012 (vorletzter Absatz)]

Und Thilo Weichert, der in der heutigen FAZ den amtlichen Rat erteilt, keine US-amerikanischen Internetdienste zu nutzen („Datenschützer Thilo Weichert im Gespräch: Wir empfehlen keine amerikanischen Dienste“, FAZ v. 11.6.2013), hatte gegen die BND-Aktivitäten vor einem guten Jahr erstaunlich wenig einzuwenden:

„Der Landesdatenschützer von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, sagte Golem.de zum Thema Richtervorbehalt: ’37 Millionen Richterbeschlüsse – das ginge auch nicht. Aber auch die Endselektion läuft nicht über einen Richter. Die Kontrolle obliegt vielmehr der sogenannten G-10-Kommission.‘ Zwischen G-10-Kommission und PKG gebe es eine Arbeitsteilung zwischen Genehmigung und Kontrolle für die Filterung der E-Mails, erklärte Weichert.“
[zitiert nach „E-Mail-Überwachung – dürfen die das?“, golem.de v. 27.2.2012 (vorletzter Absatz)]

Frage:  Ob man den deutschen Geheimdiensten wirklich so stark vertrauen darf, wie dies Ströbele und Weichert offenkundig meinen?

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

Ein Kommentar

  1. avatar UJF-CR
    Veröffentlicht 21.6.2013 um 14:27 | Permalink

    Weichert müsste wissen, dass 37 Millionen Mails nicht 37 Millionen Richterbeschlüsse erfordern. Wenn ich mich recht entsinne, ging es um eine fünfstellige Zahl von Überwachten. Das geht sehr wohl mit Richterbeschluss. Was nicht geht, ist der Kollateralschaden. Da die Überwachten gewiss nicht nur mit anderen Verdächtigen kommunizieren, geraten die 90+ % ihrer Sozialkontakte, die arg-, schuld- und ahnungslos sind, mit in die Rasterfahndung. In den analogen 80ern – als das Problem faktisch gar nicht bestand – war sich die Bevölkerung noch dessen bewusst, was das bedeutet. So übertrieben die Aufregung um die Volkszählung war, so untertrieben ist die heutige Aufregung.

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