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Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnfrei ist

avatar  Niko Härting

Das geltende Datenschutzrecht basiert auf dem Verbotsprinzip. Jede Form der Verarbeitung personenbezogener Daten bedarf einer Legitimation durch eine Einwilligung der Betroffenen oder durch eine gesetzliche Erlaubnisnorm. Diese Regelung folgt den Prinzipien staatlicher Eingriffsverwaltung: Wenn der Staat Daten seiner Bürger verarbeitet, greift er in Grundrechte ein (informationelle Selbstbestimmung). Kein Grundrechtseingriff ohne Gesetz.

Daten als Rohstoff

Was bei der staatlichen Datenverarbeitung recht ist, ist bei der privaten Datenverarbeitung noch lange nicht billig. Daten sind im 21. Jahrhundert der Rohstoff der Kommunikation und der wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit. Das starre Verbot der Datenverarbeitung (mit Erlaubnisvorbehalt) kommt daher einem Kommikations- und Entfaltungsverbot gleich. Da das Verbotsprinzip Grundrechtskonflikte nicht angemessen lösen kann, ist im heutigen Datenschutzrecht eine Schieflage zu beobachten, die den Personenbezug zu Lasten des Sozialbezugs überbetont. „Meine Daten gehören mir“ – Dieser Satz, den unlängst die Bundesjustizministerin erneut verwendete (als Ãœberschrift eines NJW-Edidtorials) ist und bleibt falsch. Daten sind kein Eigentum, sondern (auch) ein „Abbild sozialer Realität“. Dies hat das BVerfG bereits im Volkszählungsurteil betont [BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 (u.a.), BVerfGE 65, 1 ff., Gliederungspunkt C.II.1.b) = Rz. 150] – nicht ahnend, dass nicht nur leibhaftige Ministerinnen dies fast 30 Jahre später immer noch übersehen.

Die Brüsseler Vorschläge zum EU-Datenschutz enttäuschen unter anderem dadurch, dass sie das starre Verbotsprinzip zementieren möchten. Man hätte sich doch neuartige, flexible und innovativ-differenzierende Regulierungsansätze gewünscht.

Herausforderung für das geltende Recht

Solange es die zuletzt auch von der Bundesregierung (Antwort der Bundesregierung zur „Reform des EU-Datenschutzrechts“ v. 10.8.2012, Bundestag-Ds. 17/10452) geforderten Differenzierungen nicht gibt, gilt es, im geltenden Recht die (wenigen) Ausnahmebereiche weit auszulegen, um in Fällen „alltäglicher“ Datenverarbeitung begründen zu können, weshalb das Datenschutzrecht unanwendbar ist. Dies heißt vor allem, dass das geltende Recht dazu herausfordert, den Personenbezug bei IP-Adressen zu leugnen oder die Ausnahmen für die „persönliche“ oder „familiäre“ Datenverarbeitung weit auszulegen. Dies obwohl sich kaum bestreiten lässt, dass beispielsweise eine Profilbildung bzw. ein „Tracking“ Persönlichkeitsrechte beeinträchtigen können, und es auch keinen Grund gibt, weshalb es bei einem „privaten“ Verarbeiter persönlicher Daten nicht erforderlich sein soll, der Datenverarbeitung zum Schutz von Persönlichkeitsrechten Grenzen zu setzen.

Anforderungen an künftiges Datenschutzrecht

Ein modernes Datenschutzrecht würde das Verbotsprinzip abschaffen und zugleich anerkennen, dass unter den Gegebenheiten der heutigen Informations- und Kommunikationstechnologie eine Datenverarbeitung ohne Personenbezug kaum vorstellbar ist und Persönlichkeitsrechte gegenüber dem kommerziellen Anbieter ebenso zu schützen sind wie gegenüber dem privaten Blogger.

So sehr man einen europäischen „One Stop Shop“ begrüßen mag, der „One Stop Shop“ darf nicht länger dem Grundsatz „One Size Fits All“ folgen. Differenzierte Lösungen haben der Kollege Prof. Dr. Jochen Schneider und ich vorgeschlagen (Alternativentwurf, EU-Datenschutz-GVO, Fassung August 2012). Nur wenn man das geltende Recht – anders als von Brüssel bislang beabsichtigt – von Grund auf erneuert, werden sich ermüdende und sinnleere Auslegungsfragen um Begriffe wie die des „Personenbezugs“ und der „Privatheit“ einer Datenverarbeitung erübrigen.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

6 Trackbacks

  1. […] Gegen das “diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins” gibt es nur ein probates Gegenmittel: Transparenz. Daher ist es richtig, wenn von Stromanbietern, Verkehrslenkern oder auch von Google velangt wird, den Nutzer darüber zu informieren, welche Daten zu welchen Zwecken und in welcher Form erfasst, gespeichert und ausgewertet werden. Dies unabhängig davon, was man nun genau unter “Personenbezug” verstehen möchte (vgl. Härting, “Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnleer ist”, CRonline Blog v. 3.1…). […]

  2. […] wir abgestufte Regelungen, die nach Gefahrstufen für Persönlichkeitsrechte unterscheiden (Härting, “Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnleer ist”, CRonline Blog v. 3.1…). Für die Verarbeitung und Nutzung intimer Informationen brauchen wir strenge Beschränkungen, […]

  3. […] In vielfältiger Weise beziehen sich “Big Data”-Anwendungen auf das Verhalten von Menschen. Das fängt bei der Erfassung und Analyse von Standortdaten an (Beispiel: Smartphone-Apps) und hört bei der Analyse des “Surfverhaltens” (per Cookies) noch lange nicht auf. Bei einer solchen Verhaltensanalyse geraten Persönlichkeitsrechte in Gefahr. Eine Gefahr, die sich durch fehlgeleitete Diskussionen um den Begriff des Personenbezugs nicht hinwegdiskutieren lässt (vgl. Härting, “Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnleer ist”, CRonline Blog v. 3.1…). […]

  4. […] Streits um den Begriff des Personenbezugs ist sogar der Anwendungsbereich des Gesetzes streitig (Härting, “Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnfrei ist”, CRonline Blog v. 3.1…). Auf grundlegende Fragen wie die Förderung anonymer und pseudonymer Verfahren gibt es keine […]

  5. […] Beispiel „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ und „Alltagskommuikation“: Dies ist ein Grundprinzip des Datenschutzrechts. Es hat seine Wurzel im Verfassungsrecht und in dem Grundsatz, dass der Staat einer gesetzlichen Legitimation bedarf, wenn er in die Grundrechte der Bürger eingreift. So richtig dieser Grundsatz im öffentlichen Bereich ist, so unsinnig ist das Festhalten an dem Verbot im Bereich der privaten Wirtschaft. Die Datenverarbeitung gehört nicht grundsätzlich verboten, sondern erlaubt. Und es muss Schluss sein damit, jede Form der Alltagskommunikation datenschutzrechtlich nach denselben Kriterien zu beurteilen, wie dies bei hochsensiblen Daten der Fall ist. Nächtliche Chatprotokolle sind weitaus schutzwürdiger, als dies bei einem banalen Tweet der Fall ist. Daher bedarf es abgestufter Regelungen, die sich an den Risiken der jeweiligen Prozesse orientieren, und keiner pauschalen Verbote, die sich nur durch komplizierte Abwägungen abfedern lassen. (siehe Härting, “Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnfrei ist”, CRonline Blog v. 3.1…) […]

  6. […] Vgl. auch Härting, “Personenbezug: Warum der Auslegungsstreit sinnleer ist”, CRonline Blog v. 3.1…. […]

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