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Wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk jetzt zum Konkurrenten von Netflix?

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Statement zum Dritten Medienänderungsstaatsvertrag vor dem Ausschuss für Digitalisierung, digitale Infrastruktur und Medien des Landtags Rheinland-Pfalz am 24.5.2023

Ich bin – wie die meisten von uns – mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Fernsehen groß geworden, und bin – wie viele von uns – ein lebenslanger Fan. Dies unterscheidet mich vom Chefredakteur der „Jungen Freiheit“, der hier sehr verächtlich über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesprochen hat.

Ich bin allerdings auch Berliner. Und daher kann ich – jedenfalls derzeit – den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht durch die rosarote Brille betrachten. Gerade wenn man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mag und schätzt, darf man die Probleme nicht unter den Teppich kehren. Der Ruf und das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind verbesserungsfähig, Missstände sind real. Dazu fünf Anmerkungen.

  1. Sparsamkeit und Beitragsstabilität

Eine der Facetten der Vorgänge rund um den RBB ist ein Umgang mit den beitragsfinanzierten Haushalten, bei dem es an Verantwortungsbewusstsein gefehlt hat. Der Änderungsvertrag weitet die Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tendenziell aus. Das führt zu Mehrkosten und kann den Weg zu Beitragserhöhungen ebnen, die in schwer vertretbar erscheinen und politisch kaum noch durchsetzbar sind. Einsparpotenziale gibt es – ob beim Sport, bei der leichten Unterhaltung oder auch durch den Verzicht auf immer neue Krimireihen. Der Änderungsvertrag schweigt hierzu.

  1. Meinungsvielfalt

Man würde sich mehr wünschen als eine Verpflichtung zu einer „möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt“. Man fragt sich, was das Wort „möglichst“ eigentlich heißen soll. Und verträgt es sich damit eigentlich, dass gelegentlich der Eindruck entsteht, der öffentlich-rechtliche Rundfunk versuche allzu oft an der Spitze des (vermeintlichen) gesellschaftlichen Fortschritts zu stehen? In der Corona-Berichterstattung fühlten sich Kritikerinnen und Kritiker der Regierungspolitik im Programm nicht wieder. Ein Jan Böhmermann, der im gesellschaftlichen Mainstream schwimmt, hat im ZDF große Freiräume, aber wo findet sich eigentlich der Anti-Böhmermann im öffentlich-rechtlichen Programm? Und gerade wenn man selbst politisch nicht konservativ denkt, fällt es auf, dass es in den Nachrichtensendern eigentlich keine ausgewiesenen konservativen Kommentatorinnen oder Kommentatoren mehr gibt.

  1. Vertrauensverlust

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auf Vertrauen angewiesen. Vertrauen ist die Geschäftsgrundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Vertrauensverlust darf nicht relativiert werden. Als ich vorhin hörte, das Vertrauen sei bei jüngeren Menschen besonders groß, fragte ich mich, ob dies wirklich ein gutes Zeichen ist. Denn bei den Jüngeren tun sich die öffentlich-rechtlichen Medien ja besonders schwer. Was sagt es einem eigentlich, wenn die Jüngeren dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertrauen, ihn aber zugleich wenig hören und sehen? Sprechen wir von blindem Vertrauen?

Die Wähler einer im Bundestag vertretenen Partei vom ganz rechten Rand, einer Partei, die derzeit in den Umfragen bei um die 15% liegt, geben mit großer Mehrheit an, dass sie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht vertrauen. Ich frage mich, welche Strategie es gibt, diese Wählerinnen und Wähler für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder zu gewinnen. Oder hat man diese Bevölkerungsgruppe schlicht aufgegeben?

  1. Keine Konkurrenz zu Netflix

ARD und ZDF sind seit jeher Konkurrenten der Presse und des privaten Rundfunks und Fernsehens. Sie sollten jetzt nicht auch noch Konkurrenten der Streaming-Plattformen werden.

Prof. Gniffke sprach von Spotify als eine Art Konkurrenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das meinte er sicher nicht so. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob es wirklich sein muss, dass die Mediathek schleichend ausgebaut wird zu einer Konkurrenz für die Streaming-Anbieter. Warum „das Angebot auf Abruf von europäischen und nicht-europäischen Werken im Sinne der Nummer 2 als eigenständige audiovisuelle Inhalte für bis zu dreißig Tage, wobei die Abrufmöglichkeit grundsätzlich auf Deutschland zu beschränken ist; eine zeitlich weitergehende Abrufmöglichkeit ist im Einzelfall möglich, wenn dies aus redaktionellen Gründen oder Gründen der Angebotsgestaltung geboten ist und die weitergehende Bereitstellung in besonderem Maße zum öffentlich-rechtlichen Profil beiträgt“? Müssen Spielfilme, die sich bei Netflix finden, jetzt wirklich auch noch aufgekauft werden, um sie in der Mediathek zu zeigen, auch wenn diese Spielfilme linear gar nicht gezeigt/gesendet werden? Ich meine nicht.

  1. Kunst und Kultur

Mein Vater war 30 Jahre lang Musikjournalist bei einem öffentlich-rechtlichen Sender. Er vertraut dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch gewiss. Aber er beklagt – wie viele andere auch – den Niedergang der Kultur im ÖRR. „Aspekte“, das ZDF-Kulturmagazin ist im Nachtprogramm zu sehen, „Titel Thesen Temperamente“ auch, im Hörfunk werden aus Wortprogrammen kleine Häppchen im 1,5 Minutentakt. Warum eigentlich sticht die Quote oft die Qualität, warum gibt es eigentlich den „Ostseekrimi“ und „Mordkommission Istanbul“, aber wenig Kunst und Kultur im Programm? Und warum geraten „tagesschau24, EinsFestival, ARD-alpha, ZDFinfo, ZDFneo, PHOENIX und KI.KA auf eine Streichliste mit Programmen, die man in Zukunft möglicherweise nur noch online sieht?

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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