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Schuster/Grützmacher (Hrsg.), IT-Recht Kommentar: die große Welle

avatar  Isabell Conrad

Wenn Sie ein sehr dickes Buch auf seinen Rücken legen und das Ganze im Profil betrachten, bilden die Buchseiten eine sanfte Welle. Im Falle vom Schuster/Grützmacher wird die Welle aus Ehrfurcht gebietenden über 2.100 Seiten gebildet. Wer in die Welle eintaucht ahnt – selbst als Neuling – welche Weiten und Untiefen die Rechtsberatung im IT-Recht haben kann und wie groß das Bedürfnis an einem tiefgründigen Spezialkommentar als gutem Lotsen ist.

Allerorts in Deutschland sperrt Corona das Leben in kleine heimische Blasen ein, deren Bewohner sich – vor allem beruflich – digital austoben müssen. Das Bedürfnis der digitalen Aufrüstung ist bei allen Arbeitgebern und Dienstherren groß. Daher macht das Werk von Schuster/Grützmacher eine große Welle, die für manche die Sehnsucht nach dem blauen Meer einstweilen stillen muss. Nicht weniger als eine große Welle hätte man erwartet, wenn sich eine Düsseldorfer und eine Hamburger Koryphäe zusammentun.

Man muss kein Magier sein, um zu wissen:  Wenn Sie diese Buchbesprechung lesen, kennen Sie folgende Szenarien:

Szenario 1:  Sie sind mit (vermeintlich) alltäglichen Fragestellungen zu etwas entlegeneren Normen konfrontiert, etwa zur Exportkontrolle/Außenwirtschaftsrecht bei Verschlüsselungssoftware oder zur Anwendung der TT-GVO auf IT-Verträge, und finden dazu in der gängigen Literatur nichts oder allenfalls vereinzelte ältere Aufsätze.

Szenario 2:  Sie suchen in der allgemeinen – und sehr umfangreichen – Kommentarliteratur zum Schuldrecht nach Fundstellen zu klassischen IT-rechtlichen Konstellationen und werden überschwemmt von Wohnraummietrecht und arbeitsrechtlicher Rechtsprechung, aber Sie finden wenig Brauchbares für Cloud- und Supportverträge.

Eigentlich ist die Lösung ganz naheliegend:  ein Kommentar, der allein aus der Brille des IT-Rechtlers von IT-Rechtlern für IT-Rechtler geschrieben ist. Die erste Schwierigkeit dürfte die Auswahl der zu kommentierenden Gesetze, Vorschriften und Regelwerke gewesen sein. Die Bandbreite reicht in Teil 1 und 2 des Werks vom Arbeitsrecht (IT-spezifische Fragen bei Arbeitnehmerüberlassung und Betriebsübergang) über Außenwirtschaftsrecht (Dual Use VO und AWG – kommentiert von Haellmigk), Auslagerungsvorschriften im Bankenbereich (KWG und WpHG kommentiert von Lensdorf), punktuell Datenschutzrecht, GeschGehG, Haftungsrecht (auch ProdHaftG), Handelsvertreterrecht, Insolvenzrecht, IPR, Kartellrecht, Patentrecht, Schuldrecht (auch Rom I und II VO – Giedke), Strafrecht, Urheberrecht. Teil 1 enthält ausgewählte EU-Verordnungen, Teil 2 deutsche Gesetze.

Stärken:  Gerade die Auslegung der von Haellmigk (etwa zu Außenwirtschaftsanforderungen bei Cloud) und Lensdorf behandelten Vorschriften findet sich zwar bisweilen in Leitlinien des BAFA bzw. der BaFin. Das Auffinden der Behördenpraxis ist aber jenen oft verschlossen, die nicht regelmäßig in Kontakt zu den entsprechenden Behörden stehen. Ähnliches gilt für die Kommentierung der Kartellrechtsvorschriften.

Schwerpunkt des Werkes ist die Kommentierung ausgewählter BGB-Vorschriften in Teil 2. Dieser Teil des Werks ist eine Fundgrube für alle Betroffene des oben beschrieben Szenarios 2. Neben den Herausgebern selbst standen diverse weitere namhafte Autoren zur Verfügung (Heydn, Stögmüller, Cording, Karger, Hunzinger, Kraus, Schneider-Brodtmann, Diedrich, Duisberg/Wiesner, Bergt/Hostkotte, Strittmatter, Vander). Hilfreich für die eigene Vertragserstellungspraxis ist insbesondere, wenn die Autoren klar die Unterschiede zwischen der individualvertraglichen Regelung und der Wirksamkeit in AGB herausarbeiten (so etwa Karger zu § 315 BGB, Schuster zu § 633 BGB oder Grützmacher in seiner Kommentierung des Mietrechts). Abgerundet wird der BGB-Teil durch Vorschriften aus dem Handelsvertreterrecht (Vogel) und die Kommentierung von im Wesentlichen § 2 GeschGehG (Dorner) und Daten-/IT-bezogenen Straftatbeständen, auch bei Berufsgeheimnisträgern (Beck, Hartung).

Zweiter Schwerpunkt in Teil 2 des Werks ist – mit Blick auf die Herausgeber wenig überraschend – die Kommentierung des UrhG (Grützmacher, Schuster/Hunzinger, Zech, Scholz). Eine Kommentierung mit vergleichbarem technischen Detailgrad, die alle genannten Autoren an den Tag legen, wird man lange suchen – außer vielleicht bei anderen Veröffentlichungen von Grützmacher. In Zeiten von Industrie 4.0 und IoT ist der Weg zu hardwarenaher Software und damit zu Softwarepatenten nicht fern, daher zeitgemäß und passend die Kommentierung von Sabellek.

Was aufgrund der Initiativen der EU-Kommission im Hinblick auf einen tauglichen Rechtsrahmen für KI und (teil-) autonome Systeme weiter an Bedeutung gewinnen wird, sind ProdHaftG und ProdSiG (Heydn).

Gewinnbringend und selten in der kartellrechtlichen Kommentarliteratur ist die auf den IT-Bezug fokussierte Kommentierung der relevanten materiellen Vorschriften des GWB, Art. 101-102 AEUV sowie der Gruppenfreistellungsverordnungen (Wolf, Hempel). Was die EU-Kommission mit ihren Leitlinien nicht abdeckt, findet der Leser hier.

Auch wenn Insolvenzanträge aufgrund der Corona-Krise-Gesetzgebung aktuell eher selten sind, in absehbarer Zeit ist mit einer Flut von Insolvenzen (mit dann evtl. sehr geringer Masse) zu rechnen. Den Umgang mit Daten und Lizenzen in der Insolvenz können Insolvenzverwalter häufig immer noch schlecht greifen. Insoweit erhellend Seegel zu § 103 InsO.

Teil 3 des Werks widmet sich verdienstvoll der Kommentierung der gängigsten Open Source Software-Lizenzbedingungen, was man ansonsten in der Literatur – abgesehen von dem Standardwerk von Jaeger/Metzger und vereinzelten Aufsätzen – mit der Lupe sucht. Die Bedeutung von OSS für die Praxis ist ungebrochen groß. Dass die Zahl der Gerichtsurteile in diesem Bereich insgesamt klein ist (wie man schön am Fußnoten-Apparat ablesen kann), spricht nicht gegen die Notwendigkeit eines OSS-Compliance-Managements. Viele urheber-/lizenzrechtliche Streitigkeiten werden außergerichtlich beigelegt und die Partei, die sich auskennt und vorgebaut hat, sitzt am längeren Hebel. Dass Grützmacher selbst als Schwergewicht im Urheberrecht und andere ausgewiesenen Experten (Jaeger/Koglin, Kreutzer/Schulz, Grages) die OSS-Lizenzen kommentiert haben, stellt sicher, dass sich die Kommentierung nicht in einer Wiedergabe des Lizenztextes erschöpft. Aufschlussreich z.B. die Kommentierung zur Frage der „distribution“ bei Verfügbarmachung im Wege ASP oder SaaS.

Das Werk will kein DSGVO/BDSG-Kommentar sein, aber daran herrscht auch kein Mangel. Pragmatisch ist die Kommentierung von Freund zu ausgewählten DSGVO-Vorschriften. Das Werk will eine Lücke schließen und sich durch einen klaren Fokus auf das IT-Recht zum Standard-Praktiker-Kommentar etablieren. Als Kommentar schafft das Werk, was man sonst nur von Praktiker-Handbüchern kennt: Wie mit einem Filter sind alle nicht-IT-relevanten Informationen konsequent ausgesiebt. Wie mit einem Kamm lässt sich das Werk durch das sorgfältige Stichwortverzeichnis erschließen.

Empfehlung:  Empfiehlt sich das Werk für Praktiker? – Uneingeschränkt, für Experten und Neueinsteiger gleichermaßen! Ist es für diese Zielgruppe spannend? – Keine Frage.

Stillt es so die Sehnsucht eines Bayern nach Sand, Meeresrauschen und sanftem Wellenschlag? – Das geht vielleicht doch zu weit. Ob seines Gewichts ist das Buch als Urlaubslektüre nur digital geeignet.

Red. Hinweis:
Der IT-Recht Kommentar ist bei juris und Otto Schmidt online in den IT-rechtlichen Modulen verfügbar – auch im Urlaub 🙂
Diese Rezension ist in CR 3/2021 (März), Seiten R30-R31 veröffentlicht.

 

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