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Aus dem Referentenentwurf zur TKG-Novelle: Kommt jetzt die Marktregulierung für OTTs?

avatar  Dr. Sebastian Louven
Rechtsanwalt

Die Regulierung digitaler Plattformen ist nicht nur ein Thema, das im Kartellrecht besprochen wird. Auch im Telekommunikationsrecht ist die Schaffung eines „Level Playing Field“ seit Jahren ein Thema. Im EECC (Richtlinie (EU) 2018/1972 = European Electronic Communications Code) wird dies bereits angedeutet. Im geleakten Referentenentwurf für ein neues TKG (TKG-RefE) finden sich in einem neuen § 19 TKG-RefE nun konkretere Vorschläge. Doch welchen Anwendungsbereich hat dieser? Was kommen für neue Regelungen und Befugnisse?

Unter louven.legal finden Sie eine vollständige Synopse zu diesem TKG-RefE als PDF.

OTTs als interpersonelle Kommunikationsdienste

Bislang entspann sich die Diskussion über die telekommunikationsrechtliche Erfassung von OTT-Diensten vor allem an der Frage, ob sie auch Telekommunikationsdienste darstellen (pro: Kühling/Schall, CR 2015, 641 ff. und Kühling/Schall, CR 2016, 185 ff. contra: Schuster, CR 2016, 173 ff.). Diese Frage wurde mittlerweile vom EuGH geklärt. (ausführlich dazu Kiparski, CR 2019, 460 ff.).

Basis: Die Neuregelungen des EECC lassen dies nur scheinbar als Punktsieg erscheinen. Der EuGH hatte entschieden, dass Gmail kein Dienst der Signalübertragung ist. Diese Aussage lässt sich auch auf das neue Regime für elektronische Kommunikationsdienste übertragen.

Folge für OTT-Dienste: Die Unterschiede liegen hier im Detail der konkreten Einordnung von OTT-Diensten:

  • TK-rechtliche Erfassung: Art. 2 Nr. 4 lit. b) EECC sieht eine neue Kategorie der interpersonellen Kommunikationsdienste vor, die auch als elektronische Kommunikationsdienste vom neuen europäischen Telekommunikationsrecht erfasst ist. Diese setzen keine Signalübertragung voraus. Stattdessen reicht der bloße direkte interpersonelle und interaktive Informationsaustausch über Telekommunikationsnetze zwischen einer endlichen Zahl von Personen, wobei die Empfänger von den Personen bestimmt werden, die die Telekommunikation veranlassen oder daran beteiligt sind. Darunter lassen sich OTT-Dienste grundsätzlich erfassen.
  • Differenzierung: Diese Kategorie spaltet sich in nummerngebundene und nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste auf: Nummergebunden sind diese, wenn sie die Verbindung zu öffentlich zugeteilten Nummernplänen ermöglichen. In § 3 Nr. 53 TKG-RefE findet sich diese erweiterte Definition des Telekommunikationsdienstes mit den neuen Unterbegrifflichkeiten wieder.
    Doch allein damit ist noch nicht viel erreicht; denn die Anwendungsfälle für eine Regulierung dieser Dienste im TKG sind beschränkt.
  • Meldepflicht: Für den Gmail-Fall würde es eine unmittelbare Änderung bei der Meldepflicht geben. Denn diese Entscheidung spann sich um die grundsätzliche Frage, ob Google diesen Dienst als Telekommunikationsdienst gemäß § 6 TKG bei der BNetzA hätte melden müssen. § 5 Abs. 1 TKG-RefE nimmt die nummernunabhängigen interpersonellen Telekommunikationsdienste ausdrücklich von der Meldepflicht aus.

Interoperabilitätsverpflichtungen

EECC-Vorgabe: Besondere regulatorische Verpflichtungen für nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste sieht schon der EECC allein in Art. 61 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c) vor. Demnach sollen die Regulierungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Interoperabilität treffen können, wenn und soweit „die durchgehende Konnektivität zwischen Endnutzern wegen mangelnder Interoperabilität zwischen interpersonellen Kommunikationsdiensten bedroht“ ist.

Umsetzung: Einen Vorschlag zur Umsetzung enthält § 19 Abs. 2 S. 1 TKG-RefE. Demnach soll die BNetzA Anbieter nummernunabhängiger interpersoneller Telekommunikationsdienste verpflichten können, ihre Dienste in dem Umfang interoperabel zu machen, wie dies zur Gewährleistung der durchgehenden Konnektivität zwischen den Endnutzern erforderlich ist. Die Vorschrift eröffnet ein Ermessen der BNetzA.

Kriterien: Bei den Voraussetzungen zum Erlass derartiger Maßnahmen gelten einige Besonderheiten:

  1. Abdeckung & Nutzerbasis:
    Der betreffende nummernunabhängige interpersonelle Telekommunikationsdienst muss eine nennenswerte Abdeckung und Nutzerbasis haben. Hilfreicher ist bei der Auslegung dieses Kriteriums der engliche Wortlaut des EECC („services which reach a significant level of coverage and user uptake“). Der Erwägungsgrund 151 des EECC deutet darauf hin, dass es sich um eine kritische Masse im Hinblick auf die geografische Abdeckung und die Zahl der Endnutzer handeln muss.
  2. Bedrohung:
    Die durchgehende Konnektivität zwischen den Endnutzern muss wegen mangelnder Interoperabilität zwischen interpersonellen Telekommunikationsdiensten bedroht sein. Das schließt nummerngebundene interpersonelle Kommunikationsdienste mit ein. Dabei deutet der Wortlaut „Durchgehend“ darauf hin, dass es nicht allein um eine individuell zwischen den Anbietern zweier unterschiedlicher interpersoneller Telekommunikationsdienste fehlende Konnektivität geht. Vielmehr muss die Kommunikationskette zwischen der Vielzahl an als nennenswert betrachteten Endnutzern gestört sein. Dies verlangt wiederum umfassende branchen- und unternehmensübergreifende Feststellungen.
    => Es muss also diensteübergreifend zu Einschränkungen der Konnektivität kommen.
    Vergleich mit Kartellrecht: An dieser Stelle unterscheidet sich die Vorschrift zu den allgemeinen kartellrechtlichen Vorschriften. Einer Interoperabilitätsverpflichtung gleichkommende Untersagungsverfügungen kämen dort nur bei konkreten Wettbewerbsrechtsverstößen eines oder mehrerer Unternehmen in Betracht.
  3. Feststellungen der EU-Kommission:
    Die Feststellungen zur bedrohten durchgehenden Konnektivität werden wiederum durch § 19 Abs. 2 S. 2 TKG-RefE zur formalen Bedingung für Maßnahmen der BNetzA. Denn die EU-Kommission  muss zuvor gemäß Art. 61 Abs. 2 UAbs. 2 ii EECC Durchführungsmaßnahmen erlassen haben, nachdem sie das GEREK konsultiert hat. Das GEREK muss festgestellt haben, dass die durchgehende Konnektivität zwischen Endnutzern in mindestens drei Mitgliedstaaten erheblich bedroht ist. Die EU-Kommission muss in den Durchführungsmaßnahmen Art und Umfang der möglichen auferlegbaren Verpflichtungen festlegen. Die Begründung zu § 19 Abs. 2 TKG-RefE lässt derzeit noch keinen Anwendungsfall erkennen.
  4. Irrelevanz von Marktmacht:
    Nicht erforderlich ist die Feststellung beträchtlicher Marktmacht. Auch sonst ist § 19 TKG-RefE von den materiellen Kriterien der allgemeinen Marktregulierung losgelöst. Jedoch enthält § 19 Abs. 4 TKG-RefE einen Verweis auf die Vorschrift des § 12 TKG-RefE zum Verfahren der Regulierungsverfügung, sodass auch hier jeweils Konsolidierungs- und Konsultationsverfahren durchzuführen sind. Es soll eine turnusmäßige Überprüfung alle fünf Jahre stattfinden.

Was schlägt § 19 TKG-RefE noch vor? 

In Abs. 1 ist die Möglichkeit enthalten, Verfügungen über die Zusammenschaltung von Netzen zu erlassen. In der bisherigen Regelung ist dies noch an eine bloße Verhandlungspflicht geknüpft. Nunmehr erhält die BNetzA die Möglichkeit zur unmittelbaren Zugangsverpflichtung „aus eigener Initiative “ (vgl. Art. 61 Abs. 6 EECC). Die Entscheidung steht im Ermessen der Behörde. Voraussetzung ist aber der Betrieb von Netzen und dadurch die Kontrolle über den Zugang zu Endnutzern.
=> Dies wird bei OTT-Kommunikationsdiensten regelmäßig fehlen.

Allerdings eröffnet wiederum § 19 Abs. 1 Nr. 2 TKG-RefE seinem Wortlaut nach die Möglichkeit zum Erlass weiterer Verpflichtungen als der Netzzusammenschaltung. Aus dem systematischen Zusammenhang mit Nr. 1 sowie den Vorschriften in Art. 61 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a) und b) EECC ergibt sich jedoch, dass nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste hiervon nicht erfasst sein sollen.

Nach § 19 Abs. 3 TKG-RefE können Zugangsverpflichtungen hinsichtlich API und EPG für digitale Hörfunk- und Fernsehdienste erlassen werden. Diese stehen unter FRAND-Vorbehalten, müssen also „fair, ausgewogen und nichtdiskriminierend“ sein.

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