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KG: Haftungsprivilegierungen im TMG doch auf Unterlassungsansprüche anwendbar

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Es ging um Bettwanzen und Fernseher „anno 1991“ im Hotelzimmer in der Hotelbewertung, mit der sich das KG zu befassen hatte (KG, Urt. v. 16.4.2013 – 5 U 63/12, juris). Der Hostel-Betreiber begehrte von der Portal-Betreiberin Löschung der seiner Auffassung nach rechtswidrigen Bewertung und Unterlassung weiterer Verbreitung. Die Portal-Betreiberin kam dem Beseitigungsbegehren zwar durch noch am Eingangstag erfolgende Löschung der Bewertung nach, verweigerte jedoch die Abgabe einer Unterlassungserklärung und wurde deshalb vom Hotel-Betreiber vor dem LG Berlin auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Was auf den ersten Blick nach einem weiteren Rechtsstreit um Reichweite und Grenzen der Störerhaftung klingt, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als gerichtliche Entscheidung, die Sprengstoff birgt:

Neben Ausführungen zum anwendbaren Recht, § 4 Nr. 8 UWG, den Anforderungen an ein zu Eigen machen fremder Inhalte (dazu BGH, Urteil vom 12.11.2009 – I ZR 166/07 – marions-kochbuch.de, CR 2010, 468 m. Anm. Hoeren/Plattner) sowie dem Begriff des Diensteanbieters i.S.d. § 2 Nr. 1 TMG enthält das Urteil folgenden Satz:

„Jedenfalls kann sie [= die Beklagte] sich aber auf die Beschränkung der Haftung eines Host-Providers in § 10 Satz 1, § 7 Abs. 2 TMG [für den gegen sie gerichteten Unterlassungsanspruch] berufen.“
(KG, Urt. v. 16.4.2013 – 5 U 63/12, juris Rz. 75)

Einhellige Literatur:

Dies erstaunt, liest man doch in nahezu jeder Kommentierung zum TMG und diversen Entscheidungen schon formelhaft genau das Gegenteil (vgl. statt vieler Roggenkamp, in: jurisPK-Internetrecht, 3. Aufl. 2011, Kap. 10, Rz. 76; Hoffmann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 7, Rz. 33):

Auf Unterlassungsansprüche finden die Haftungsprivilegierungen der §§ 8 ff. TMG keine Anwendung.

Ansatz des BGH:

Der BGH hat sich diesbezüglich schon zu den Vorgängerregelungen der §§ 8 ff. TMG im TDG in der Entscheidung „Internet-Versteigerung I“ (BGH, Urt. v. 11.3.2004 – I ZR 304/01, juris Rn. 34 ff. = CR 2004, 763 (765) zu II.2.a)dd) m. Anm. Volkmann) festgelegt und dies in ständiger Rechtsprechung des 1. und 6. Zivilsenats (vgl. nur BGH, Urt. v. 27.3.2007 – VI ZR 101/06, CR 2007, 586 m. Anm. Schuppert – Meinungsforum; BGH, Urt. v. 19.4.2007 – I ZR 35/04, CR 2007, 523 m. Anm. Rössel – Internet-Versteigerung II;  BGH, Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10 , CR 2012, 103 – Blog-Eintrag) fortgeführt und auf vorbeugende Unterlassungsansprüche ausgedehnt:

„dd) Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung ergibt, findet die Haftungsprivilegierung des § 11 TDG n.F. [= § 10 TMG, Anmerkung des Verfassers] indessen keine Anwendung auf Unterlassungsansprüche. Dies kommt im Wortlaut des § 11 Satz 1 TDG nur insofern zum Ausdruck, daß dort von der Verantwortlichkeit des Diensteanbieters die Rede ist. Damit ist lediglich die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Schadensersatzhaftung angesprochen. § 11 TDG besagt indessen nichts darüber, ob ein Diensteanbieter nach den allgemeinen deliktsrechtlichen Maßstäben oder als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, wenn eine Veröffentlichung in dem von ihm betriebenen Dienst die (Marken-)Rechte eines Dritten verletzt […]

Daß das Haftungsprivileg des § 11 Satz 1 TDG Unterlassungsansprüche nicht berührt, wird auch durch die Bestimmung des § 8 Abs. 2 TDG (= § 7 Abs. 2 TMG, Anmerkung des Verfassers) nahegelegt. […] In Satz 2 wird dann jedoch klargestellt, daß ‚Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen … auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 9 bis 11 unberührt (bleiben)‘. § 8 Abs. 2 Satz 2 TDG ist auf alle Diensteanbieter nach §§ 9 bis 11 TDG anwendbar […].

Die Regelung des deutschen Gesetzgebers in § 8 Abs. 2 Satz 2 TDG deckt sich insofern mit Art. 14 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr […]. Absatz 3 macht jedoch deutlich, daß Unterlassungsansprüche von diesem Privileg nicht erfaßt zu sein brauchen (vgl. dazu auch Erwägungsgrund 46 der Richtlinie). Dort heißt es: ‚Dieser Artikel läßt die Möglichkeit unberührt, daß ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, oder daß die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen.‘

Daß Unterlassungsansprüche von dem Haftungsprivileg ausgenommen sind oder ausgenommen sein können, erklärt auch, weswegen Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie und ihm folgend § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 TDG n.F. für Schadensersatzansprüche geringere Anforderungen stellt als für die Verantwortlichkeit im übrigen […]. Wäre auch der Unterlassungsanspruch von der Haftungsprivilegierung in Art. 14 der Richtlinie und § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 TDG n.F. erfaßt, hätte dies die schwer verständliche Folge, daß an den Unterlassungsanspruch höhere Anforderungen gestellt wären als an den Schadensersatzanspruch.“
(BGH, Urt. v. 11.3.2004 – I ZR 304/01, juris Rn. 34 ff. = CR 2004, 763 (765) zu II.2.a)dd) m. Anm. Volkmann)

Ansatz des KG:

Angesichts einer damit seit rund einem Jahrzehnt gefestigten Rechtsprechung des BGH erstaunt, dass sich das KG zur Begründung seiner abweichenden Auffassung auf wenige Sätze beschränkt hat und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der abweichenden Spruchpraxis des BGH unterlässt. So führt das KG nur aus:

„Der I. Zivilsenat des BGH hat allerdings zumindest früher die Auffassung vertreten, dass dieses Haftungsprivileg auf Unterlassungsansprüche keine uneingeschränkte Anwendung findet (vgl. [BGH, Urt. v. 22.7.2010 – I ZR 139/08, CR 2011, 269 =] Kinderhochstühle im Internet, Rn 26, m.w.N.).

Dem steht die Rechtsprechung des EuGH gegenüber, der bei der Auslegung von Art. 14 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG, deren Umsetzung § 10 Satz 1, § 7 Abs. 2 TMG dienen, gerade nicht zwischen der Haftung auf Schadensersatz und Unterlassung unterscheidet (vgl. [EuGH, Urt. v. 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08, CR 2010, 318] Google France und Google, Rn 114 ff; [EuGH, Urt. v. 12.7.2011 – C-324/09, CR 2011, 597 m.Anm. Volkmann] L’Oréal/eBay, Rn 107, 108, 139).

Nachdem der BGH (I. Zivilsenat) nunmehr ebenfalls die Haftungsprivilegierung gemäß Art. 14 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG im Rahmen von Unterlassungsansprüchen erörtert hat (vgl. [BGH, Urt. v. 17.8.2011 – I ZR 57/09, CR 2011, 817 =] – Stiftparfum, Rn 22; BGH, Urt. v. 12.7.2012 – I ZR 18/11, CR 2013, 190 m. Anm. Tinnefeld = Alone in the Dark, Rn 28), wird zum Teil davon ausgegangen, dass der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festhalten will […].

Dies erscheint einleuchtend.

Die Voraussetzungen für die Feststellung der Verantwortlichkeit eines Vermittlers von Diensten der Informationsgesellschaft sind dem nationalen Recht zu entnehmen. Art. 12 bis 15 der Richtlinie 2000/31/EG schränken die nach nationalem Recht bestehende Verantwortlichkeit ein. […]

Dementsprechend hat der BGH in den oben genannten Fällen nach der Feststellung bzw. der Erörterung der Verantwortlichkeit der jeweiligen Beklagten nach den Grundsätzen der Störerhaftung […] in einem zweiten Schritt überprüft, ob dieses Ergebnis mit den Maßstäben des EuGH […] in Einklang steht […].

Der 6. Zivilsenat des BGH geht jedoch unzweifelhaft weiter davon aus, dass die Haftungsbeschränkung in § 10 Satz 1 TMG für Unterlassungsansprüche nicht gilt (vgl. [BGH, Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10 , CR 2012, 103 = Blog-Eintrag; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – VI ZR 144/11, CR 2012, 464 = RSS-Feeds]).“
(KG, Urt. v. 16.4.2013 – 5 U 63/12, juris Rz. 105 – 111)

Mit anderen Worten:

Das KG erkennt die (vermeintlich) divergierende Rechtsprechung, begnügt sich dann aber mit einem Verweis auf die (angeblich) vor dem Hintergrund des Europarechts geänderte Rechtsprechung des 1. Zivilsenats, ohne den offenkundigen Widerspruch aufzulösen. Liest man sodann die vom KG zitierten Entscheidungen des 1. Zivilsenats nach, ist dort von einer Änderung der Rechtsprechung des 1. Zivilsenats nichts festzustellen.

In der Entscheidung „Stiftparfüm“ (BGH, Urt. v. 17.8.2011 – I ZR 57/09, CR 2011, 817) nimmt der BGH bereits im 1. Leitsatz ausdrücklich Bezug auf die vorausgegangenen Entscheidungen Internetversteigerung I und Internetversteigerung II, in denen ausdrücklich die Nichtanwendbarkeit der Haftungsprivilegierungen der §§ 8 ff. TMG auf jede Art von Unterlassungsanspruch festgestellt worden ist. In den Entscheidungsgründen verliert der BGH sodann kein Wort zum Anwendungsbereich der §§ 8 ff. TMG, sondern springt (Rz. 20) unmittelbar auf die Störerhaftung. Nur insoweit prüft der BGH sodann, ob die von ihm zu Lasten des Diensteanbieters erörterten Prüfpflichten mit den Vorgaben des EuGH aus den vom KG zitierten Urteilen in Einklang steht (und bejaht dies). Entsprechendes gilt für die weitere Entscheidung „Alone in the Dark“ (BGH, Urt. v. 12.7.2012 – I ZR 18/11, CR 2013, 190 m. Anm. Tinnefeld).

Ansatz des EuGH:

Diese Schwächen im Urteil des KG sind umso ärgerlicher, als das KG in der Sache völlig zu Recht die angesichts der wie zementiert wirkenden Rechtsprechung des BGH seit vielen Jahren eingeschlafenen Diskussion um den Anwendungsbereich der Haftungsprivilegierungen im TMG wieder zum Leben erweckt hat – und sich dabei wie von ihm selbst erkannt auf den EuGH berufen kann. Der EuGH hat im Urteil vom 23.3.2010 -C-236/08 bis C-238/08, CR 2010, 318, im Tenor 3 sehr deutliche Worte gefunden:

 „Art. 14 der Richtlinie 2000/31/EG [(E-Commerce-Richtlinie)] ist dahin auszulegen, dass die darin aufgestellte Regel auf den Anbieter eines Internetreferenzierungsdienstes Anwendung findet, wenn dieser keine aktive Rolle gespielt hat, die ihm eine Kenntnis der gespeicherten Daten oder eine Kontrolle über sie verschaffen konnte. Hat dieser Anbieter keine derartige Rolle gespielt, kann er für die Daten, die er auf Anfrage eines Werbenden gespeichert hat, nicht zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn, er hat die Informationen nicht unverzüglich entfernt oder den Zugang zu ihnen gesperrt, nachdem er von der Rechtswidrigkeit dieser Informationen oder Tätigkeiten des Werbenden Kenntnis erlangt hat.“

Das ist eindeutig:

Hat der Diensteanbieter keine aktive Rolle gespielt, kann er nicht zur Verantwortung gezogen werden (es sei denn, er hat nicht unverzüglich gehandelt). Eine Differenzierung nach der Art der Verantwortung (Strafrecht, Schadensersatz, Unterlassung, Beseitigung, Auskunft) nimmt der EuGH nicht vor. Dann stellt sich aber die Frage, wie § 7 Abs. 2 S. 2 TMG und Art. 12 Abs. 3, 13 Abs. 2 und 14 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) zu verstehen sind, zumal unter Berücksichtigung von Erwägungsgrund 46 der Richtlinie 2000/31/EG:

„[…] Diese Richtlinie läßt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, spezifische Anforderungen vorzuschreiben, die vor der Entfernung von Informationen oder der Sperrung des Zugangs unverzüglich zu erfüllen sind.“

Widerspruch zwischen Ansatz des EuGH und des BGH?!

Entweder hat der EuGH den absolut formulierten Ausschluss jeglicher Verantwortung also nicht so gemeint oder aber die bislang vom BGH (unverändert durch den 1. und 6. Zivilsenat) sowie von der weithin herrschenden Meinung für notwendig erachtete richtlinienkonforme Auslegung des § 7 Abs. 2 S. 2 TMG, wonach Unterlassungsansprüche nicht unter die Haftungsprivilegierungen der §§ 8 ff. TMG fallen, kann nicht länger aufrecht gehalten werden.

Richtig könnte sein, dass der europäische Normgeber mit den Klarstellungen in Art. 12 Abs. 3, 13 Abs. 2 und 14 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31/EG zunächst weniger zivilrechtliche als vielmehr hoheitliche Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrungen (rechtswidriger) Informationen meinte, also überhaupt nicht die heute im Mittelpunkt stehenden zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche vor Augen hatte. Dann wäre Raum für Entfernungs- oder Sperrungspflichten nach den allgemeinen Gesetzen nur noch dort, wo entsprechende Handlungspflichten bereits zum Tatbestand der Haftungsprivilegierung gehören. Eine solche Auslegung stünde jedenfalls im Einklang mit den oben zitierten Ausführungen des EuGH. Sie würde auch die bisherige Rechtsprechung nicht auf den Kopf stellen, sondern lediglich die bisherige „Krücke“ der Rechtsprechung, nämlich das Hineinlesen der Haftungsprivilegierungen der §§ 8 ff. TMG in die Zumutbarkeit der dem Diensteanbieter im Rahmen der Störerhaftung obliegenden Prüfpflichten, durch eine auch für den nicht juristisch ausgebildeten Rechtsanwender nachvollziehbare und verständliche Vorgehensweise ersetzen.

Chance zur Harmonisierung

Ob der 1. Zivilsenat sich mit diesen Fragen in der anhängigen Revision (I ZR 94/13) tatsächlich befassen oder den Rechtsstreit über einen der anderen Streitpunkte entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Es bestünde jedenfalls – ggf. unter Anrufung des großen Senats für Zivilsachen nach § 132 GVG – die Gelegenheit, die Rechtsprechung des 1. und 6. Zivilsenats zu vereinheitlichen (soweit sie denn wie vom KG angenommen überhaupt divergieren sollte) oder in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV den EuGH anzurufen und so eine endgültige Klärung herbeizuführen.

 

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