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Welche Amtssprache hat das digitale Deutschland?

avatar  Martin Schallbruch
ESMT Berlin, Director of the Digital Society Institute

In Deutschland ist Deutsch die Amts- und Gerichtssprache. So legen es das Verwaltungsverfahrensgesetz und das Gerichtsverfassungsgesetz fest, letzteres immerhin seit 1877. Wer sich an eine Behörde wendet oder auch zu Gericht geht, muss die deutsche Sprache verwenden und kann seine Anliegen brieflich, in der Regel auch persönlich (oder zur Niederschrift) vorbringen.

Mit der Digitalisierung soll das alles noch einfacher gehen: Anträge, Bescheide, Urteile sollen auch online eingereicht oder zugestellt werden können. In vielen Bereichen der Kommunikation mit Justiz und Verwaltung funktioniert das schon, in anderen noch nicht. Zunehmend geht der Gesetzgeber dazu über, elektronische Kommunikation gesetzlich zu fordern, die digitale Erreichbarkeit der Bürger und Unternehmen für den Staat oder die digitale Einreichung von Unterlagen.

Die Steuerverwaltung ist besonders weit gekommen: Nahezu alle Standardvorgänge im Zusammenhang mit der Besteuerung von Unternehmen sind nur noch digital möglich, zum Beispiel die Umsatzsteuervoranmeldung.

Digitaldesaster der Anwaltschaft

Auch für die Anwaltschaft ist die digitale Kommunikation geplant – der Schriftwechsel innerhalb der Zunft ebenso wie die Kommunikation mit Gerichten und Behörden. Zum 1. Januar 2018 sollte dazu jeder Anwalt ein elektronisches Postfach bereithalten, über das er kommunizieren und erreicht werden kann. So hatte es schon 2013 der Bundestag mit dem „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ vorgesehen.

Das eigens für diesen Zweck von der Bundesrechtsanwaltskammer in Auftrag gegebene „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) erwies sich dann aber kurz vor der Betriebsaufnahme als unsicher (siehe Ãœbersicht „beA-Scheitern & erste Ergebnisse des Sicherheitsdialogs beAthlon“, CRonline News v. 17.1.2018). Hacker des Chaos Computer Clubs hatten demonstriert, dass die Sicherheitsarchitektur des „beA“ nicht dem Stand der Technik entspricht (hierzu Bergt, „Warnung vor dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA)“, CRonline Blog v. 23.12.2017). Die mit Millionenaufwand entwickelte und in allen Anwaltskanzleien in Deutschland installierte Software bleibt erst einmal ungenutzt. Die deutschen Anwältinnen und Anwälte sind jedenfalls über „beA“ nicht elektronisch erreichbar, die gesetzliche Verpflichtung läuft ins Leere (zu den technischen Lösungsansätzen und State-of-the-Art Vorgaben für derartige Programmierungen siehe Möllers/Vogelgesang, CR 2/2018, 124 – 129).

Digitale Kommunikation nicht standardisiert

Es gibt viele Gründe für das Digitaldesaster der Bundesrechtsanwaltskammer. Einer jedoch weist über dieses eine Projekt hinaus:

Für die digitale Kommunikation mit dem Staat gibt es keine Amtssprache, keine Üblichkeit, keine allgemein anerkannte und erprobte Form.

Ein einfache E-Mail akzeptieren Gerichte und Behörden nicht – sie könnte verfälscht sein. Absender und Inhalte von E-Mails sind leicht zu manipulieren. Verschlüsselungsverfahren wie „Pretty Good Privacy“ (PGP) oder auch die Nutzung der elektronischen Signatur sind bei den Bürgerinnen und Bürgern kaum verbreitet, schwierig in der Handhabung und erfordern hohen Pflegeaufwand. Ãœbergreifende staatliche getriebene Ansätze wie der neue Personalausweis für die Identifizierung im Netz oder De-Mail für sichere E-Mails haben sich nicht durchsetzen können (zum De-Mail-Gesetz Spindler, „Das DeMail-Gesetz – ein weiterer Schritt zum sicheren E-Commerce“, CR 2011, 305 ff. und Roßnagel, „Rechtsregeln für einen sicheren elektronischen Rechtsverkehr“, CR 2011, 23 ff.).

Das sogenannte Henne-Ei-Problem ist bis heute nicht gelöst:
Wenige Online-Angebote funktionieren mit Personalausweis und De-Mail. Wenig Menschen nutzen diese Technologien. Online-Anbieter sind wenig motiviert, sie in ihre Dienstleistungen einzubauen.

Im Ergebnis setzen die deutsche Verwaltung und die Justiz auf ganz unterschiedliche Verfahren sicherer digitaler Kommunikation.

Die Steuerverwaltung hat schon seit Jahren „ELSTER“ im Einsatz: Es bietet weit mehr als die elektronische Steuererklärung. Fast die ganze Kommunikation mit den Finanzbehörden kann darüber abgewickelt werden. Doch das Verfahren erfordert eine eigenständige Registrierung, spezielle Sicherheitsmaßnahmen und Passwörter. Anschließend erfolgt die Kommunikation ausschließlich mit dem ELSTER-System, E-Mails oder De-Mail sind nicht möglich.

Sprachwirrwarr durch Sonderlösungen – Gesundheitswesen, Anwaltschaft, Private, Regristrierkassen

Ähnliches wird gerade im Gesundheitswesen aufgebaut: Ergänzend zu der mittlerweile ausgegebenen Gesundheitskarte erhalten alle Arztpraxen, Krankenhäuser und sonstigen Leistungserbringer spezielle Kommunikationseinrichtungen, Chipkartenleser und besondere Router, damit die Kommunikation sicher erfolgt. Eine sehr spezifisch deutsche Lösung, ähnlich wie „beA“. Sie kam vor ein paar Wochen ebenfalls in die Schlagzeilen, weil nur ein Hersteller in der Lage ist, die besonderen Geräte zu liefern.

Nun also „beA“ für die Anwaltschaft, angelehnt an ein System, mit dem heute schon viele Gerichte kommunizieren. Es beruht auf „OSCI“, einem seit vielen Jahren in der deutschen Verwaltung (und nur dort) verwendeten elektronischen Kommunikationsverfahren. Auch hierfür gibt es nur wenige Hersteller, die Standardprodukte anbieten. OSCI verwenden vielen Behörden für die interne Kommunikation miteinander, zum Beispiel zwischen Meldebehörden, gelegentlich aber auch für die Zusammenarbeit mit Unternehmen, zum Beispiel das Umweltbundesamt beim Emissionshandel.

Für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen sollen die Behörden zumindest des Bundes allerdings eher durch De-Mail sicher erreichbar sein. So schreibt es jedenfalls das E-Government-Gesetz des Bundes vor.  Während diese Verpflichtung nicht einmal von allen Behörden umgesetzt ist, bieten andere Behörden lieber PGP für die sichere Kommunikation an, „Pretty Good Privacy“, eine besonders sichere Form der Verschlüsselung.

Im Ergebnis herrscht ein Sprachwirrwarr zwischen digitalen Amtsstuben, Bürgern und Unternehmen. Anders als bei der Amtssprache „Deutsch“ haben wir derzeit keine gesicherte Erwartung, wie man sich am besten digital und sicher an den Staat wendet. Es ist absehbar, dass deutsche Sonderwege bei Steuer, Anwälten und Gesundheit noch nicht das Ende der Entwicklung sind.

Schon fordert der Gesetzgeber zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs eine digitale Aufrüstung aller Registrierkassen in Geschäften und Restaurants – mit elektronischem Speicher und Kommunikationsschnittstelle. Zum 1. Januar 2020 sollen aufgrund des „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ alle Kassen entsprechend umgerüstet werden. Die Vorbereitung hierauf liegt schon jetzt hinter dem Zeitplan, weil die technischen Verfahren noch entwickelt und zwischen den Behörden abgestimmt werden. Dass hier die gleichen Verfahren verwendet werden wie in anderen Bereichen, ist nicht sehr wahrscheinlich. Eine weitere Form digitaler Kommunikation zwischen Behörden und Unternehmen wird hinzukommen.

Vorschlag: Stufenplan für Vereinheitlichung

11.000 Kommunen, 16 Länder, 180 Bundesbehörden – über 4 Millionen Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung in Deutschland kommunizieren zunehmend digital. Mit seinen Gesetzen und Verordnungen bestimmt der Staat darüber hinaus die Form der digitalen Kommunikation in vielen weiteren Bereichen unseres Wirtschafts- und Alltagslebens. Es ist an der Zeit, hierfür übergreifende Standards festzulegen, einheitliche Verfahren, die Bürger und Unternehmen einsetzen können und die jede deutsche Behörde beherrscht. Das wird nicht auf einmal gehen: Zu unterschiedlich sind die bereits existierenden Verfahren, zu unterschiedlich die technischen Voraussetzungen, insbesondere in der weiten deutschen Behördenlandschaft.

Eine gute Lösung wäre ein Stufenplan für sichere elektronische Kommunikation in Deutschland – einschließlich der sicheren Identifizierung. Das ist eine Aufgabe für Bund und Länder gemeinsam – für die Gesetzgebung ebenso wie für die IT-Verantwortlichen. Ein solcher Stufenplan reicht über die Standardisierung im geplanten Portalverbund hinaus und umfasst auch Justiz, Steuern, Gesundheitswesen und alle anderen Bereiche, in denen der Staat gesetzlich eine bestimmte Kommunikation vorschreibt:

  • In einer ersten Stufe könnte dafür gesorgt werden, dass die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen bereit sind, mehrere der gängigen Verfahren parallel zu akzeptieren. So ist es heute beispielsweise bei vielen Gerichten. Sie sind nicht nur über die (zunächst gescheiterte) Kommunikation mit „beA“ erreichbar, sondern auch über De-Mail.
  • In einer zweiten Stufe könnte dann längerfristig die Anzahl der genutzten Verfahren reduziert werden, nach Möglichkeit unter immer stärkerer Nutzung vorhandener Angebote des privaten Marktes.

Das Sprachen-Kauderwelsch der digitalen Kommunikation hätte irgendwann ein Ende. Eine einheitliche „digitale Amtssprache“ spart Zeit und Geld für Unternehmen und Bürger – und vermeidet teure Sonderwege wie „beA“ (ausführlich zum beAgate Möllers/Vogelgesang, CR 2/2018, 124 – 129).

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