Maßnahmen der Videoüberwachung werden immer wieder kontrovers diskutiert. Während sie einerseits als wirksame Methode zur Verbesserung der Sicherheitslage anerkannt werden, werden sie andererseits als Symptom eines paranoiden Überwachungsstaats dargestellt.
Die im Alltag präsenten Kameras bieten einen unmittelbaren Ansatzpunkt für die gesellschaftliche Debatte zu Datenschutz und technologischer Verhaltenskontrolle. Die aktuelle Debatte um die testweise Kameraüberwachung mit automatischer Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz ist dementsprechend emotional aufgeladen.
In diese Diskussionen hinein hat das OVG Lüneburg (Urteil vom 7.9.2017, 11 LC 59/16) nun entschieden, dass die Überwachung von Bussen und Stadtbahnen durch einen ÖPNV-Betreiber in seinem gesamten Netz und zu jeder Tages- und Nachtzeit mit dem geltenden Datenschutzrecht vereinbar ist.
Der Fall
Das Gericht hatte Maßnahmen zu bewerten, bei denen Aufzeichnungen im Black-Box-Verfahren gefertigt werden. Die Videoaufnahmen werden nicht direkt auf einen Monitor übertragen oder langfristig zur Auswertung gespeichert. Stattdessen wird in einen verschlüsselten Ringspeicher aufgenommen, der nach einem definierten Zeitraum überschrieben wird. Eine Aussetzung der Löschroutine und die Sichtung erfolgen nur, wenn ein relevanter Vorfall gemeldet wurde.
Im konkreten Fall waren die Festplatten fest in den Fahrzeugen des ÖPNV-Betreibers verbaut und wurden nur zur Sicherung der Aufnahmen geöffnet, wenn dem Betreiber eine Straftat (ggf. über die Polizei) gemeldet wurde. Die Löschroutine sah eine Frist von 24 Stunden vor.
Die Positionen
Kontra: Die Landesbeauftragte für den Datenschutz in Niedersachsen war der Auffassung, dass eine zeit- und linienunabhängige Überwachung unverhältnismäßig sei und vielmehr – wenn überhaupt – nur in solchen Bereichen Aufzeichnungen erstellt werden dürften, in denen es zuvor nachweislich zu Straftaten gekommen war. Zudem stellte sie die präventive Wirkung des Black-Box-Verfahrens mangels direkt eingreifbereiten Personals in Frage.
Pro: Das Verkehrsunternehmen argumentierte mit der latenten Gefahr im ÖPNV auch unabhängig von Kriminalitätsschwerpunkten. Neben der abschreckenden Wirkung wegen der drohenden Verfolgung unter Heranziehung wirksamer Beweismittel sei auch zu berücksichtigen, dass der Großteil der Fahrgäste – und damit die Betroffenen selbst – die Maßnahmen zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens befürworte. Zudem werde durch die spezifische Ausgestaltung mit kurzen Löschfristen der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht minimiert.
Die Entscheidung
Das OVG Lüneburg folgte den Argumenten des Verkehrsunternehmens und erklärte die Videoüberwachung angesichts der vorgelegten Nachweise zur Kriminalität in den Fahrzeugen für angemessen und zulässig. Die Videoüberwachung diene den legitimen Zwecken der Repression und Prävention; auch die Vermittlung einer als sicher empfunden Atmosphäre sei anzuerkennen.
Das OVG Lüneburg führte damit seine Rechtsprechung zur Videoüberwachung im Black-Box-Verfahren fort (vgl. Urteil vom 29.9.2014, 11 LC 114/13, CR 2015, 39 ff.). Es hatte zuvor bereits vergleichbare Überwachungssysteme zur Sicherung eines Bürohauses für zulässig erklärt.
Die Bewertung
Das Urteil hat Grundsatzcharakter, jedenfalls für die Betreiber und Nutzer des ÖPNV in Deutschland. Die Interessenabwägung unter Stärkung des Sicherheitsgedankens wirkt aber auch darüber hinaus. Während die Datenschutzbehörden im Düsseldorfer Kreis seit jeher „aus Prinzip“ eine restriktive Anwendung der Videoüberwachung propagieren, hat sich die Verkehrsbranche mit ihrem pragmatischen Ansatz durchgesetzt, der nicht zuletzt den Forderungen der Kunden und der Politik entspricht.
Im ÖPNV wird das Spannungsverhältnis der Positionen sehr deutlich. Schließlich handelt es sich um einen Bereich, den viele Bürger in ihrem Alltag nutzen und nutzen müssen. Und auch hier wird ein Mehr an Sicherheit natürlich mit Eingriffen in die Grundrechtssphäre der Betroffenen erkauft. Trotzdem ist es richtig, sich wie das OVG Lüneburg nicht in grundrechtsdogmatische Grabenkämpfe zu begeben, sondern eine lebensnahe Lösung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Interessen der Betroffenen zu finden. Und diese fühlen sich eben nicht dem Big Brother ausgeliefert, sondern vielmehr besser aufgehoben, wenn die Verkehrsunternehmen ihrer Verantwortung mit anerkannten technischen Verfahren nachkommen. Die anlasslose und exzessive Vorratsdatenspeicherung bleibt eine rote Linie – im Black-Box-Verfahren wird sie nicht übertreten.
Der Ausblick
Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird ein hitzig debattiertes Thema bleiben, vgl. auch die Entscheidungen zum privaten Einsatz von Dashcams (zuletzt AG München, Urteil vom 9.8.2017, 1112 OWi 300 Js 121012/17). Dabei ist zu beobachten, dass häufig weniger über die konkreten Maßnahmen gesprochen wird, als dass eine – in Bezug auf den spezifischen Fall nicht zielführende – Grundsatzdebatte entfacht wird.
Während sich der europäische Gesetzgeber bei der Bestimmung den Grenzen zulässiger Videoüberwachungsmaßnahmen vor diesem Hintergrund weggeduckt hat und die DSGVO keine spezifische Regelung enthält, hat der deutsche Gesetzgeber eine Richtungsentscheidung getroffen. § 6b BDSG in seiner seit Mai 2017 geltenden Fassung und § 4 BDSG-2018 messen der Videoüberwachung zur Sicherung öffentlicher Plätze eine herausgehobene Rolle zu.
Nichtsdestotrotz bleibt die Zulässigkeit von einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung abhängig – das Datenschutzrecht bleibt auch im Bereich Videoüberwachung am Einzelfall orientiert.
KNPZ Rechtsanwälte vertraten im angesprochenen Verfahren das Verkehrsunternehmen. Grages/Plath werden in CR 12/2017 in Anknüpfung an die Entscheidungsgründe die Anforderungen an eine gesetzeskonforme Videoüberwachung herausarbeiten. Unter Auswertung der Rechtsprechung geben Sie praxisnahe Hinweise zu den entscheidenden Stellschrauben bei der Implementierung angemessener und gleichzeitig wirksamer Überwachungsmaßnahmen.