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Klarer Sieg der Abmahnindustrie: EuGH verlangt Urheberschutz durch Password und Ausweispflicht

avatar  Niko Härting

Nicht nur im Hause Sony dürften die Korken knallen. Der EuGH stärkt durch sein heutiges Urteil in Sachen Mc Fadden ./. Sony die Abmahnindustrie. Zugleich schafft das Urteil neue Unsicherheit für die Betreiber von öffentlichen WLANs (EuGH v. 15.9.2016 – C-484/14, in der nächsten CR):

Keine Haftung auf Schadensersatz

Feinsinnig unterscheidet der EuGH zwischen Schadensersatzansprüchen und Unterlassungsansprüchen. Einer Haftung auf Schadensersatz sind Laden- und Gaststättenbesitzer auch in Zukunft nicht ausgesetzt. Dies konnte der EuGH gar nicht anders entscheiden, weil Art. 12 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie (ECRL) den Ausschluss von Schadensersatzansprüchen eines Zugangsproviders klipp und klar vorsieht.

Repressives Einfalltor

Das Schlupfloch der ECRL ist seit eh und je ihr Art. 12 Abs. 3:

„Dieser Artikel lässt die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern.“

  • Ansatz des BGH:  Störerhaftung

Aus dieser Norm schließt der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass die ECRL nicht für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gilt. In diesem Bereich wendet der BGH die Kriterien der „Störerhaftung“ an.

Wenn es um „Störerhaftung“ geht, geht es typischerweise um Fälle, deren Ausgang man erst nach dem Abschluss eines längeren Gerichtsverfahrens kennt. Dies hat die Verbreitung öffentlichen WLANs in Deutschland erheblich gebremst.

  • Ansatz des deutschen Gesetzgebers:  Haftungserleichterungen für Betreiber freier WLANs

Erfreulicherweise verabschiedete der Deutsche Bundestag im Sommer ein Gesetz mit klaren Haftungserleichterungen für die Betreiber öffentlicher WLANs. Die Betreiber sollten durch den neuen § 8 Abs. 3 TMG weder zu einem Passwortschutz noch zur Einholung von „Rechtstreueerklärungen“ der Nutzer verpflichtet werden.

Ansatz des EuGH: 

1. Sicherungspflicht zum Schutz geistigen Eigentums

Der EuGH macht mit seinem heutigen Urteil diesen Ansatz zunichte und schafft neue Rechtsunsicherheit. Von besonderer Brisanz sind die Ausführungen in Rz. 98:

„Da die beiden anderen Maßnahmen vom Gerichtshof verworfen worden sind, liefe die Auffassung, dass ein Anbieter, der Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermittelt, seinen Internetanschluss nicht sichern muss, darauf hinaus, dem Grundrecht auf geistiges Eigentum jeden Schutz zu entziehen, was dem Gedanken eines angemessenen Gleichgewichts zuwiderliefe…“
(EuGH v. 15.9.2016 – C-484/14 Rz. 98, in der nächsten CR; Hervorhebungen hinzugefügt)

Dies ist eine tiefe Verbeugung vor Sony und heißt, dass das Grundrecht auf Schutz des geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 GRCh) einen Passwordschutz erforderlich macht. Man höre und staune.

2. Identifizierung des WLAN-Nutzers

Damit nicht genug. Das Password muss zudem „wirksam“ zum Schutz des Urheberrechts sein. Dies ist nach den Vorstellungen des EuGH nur der Fall, wenn sich jeder Nutzer identifiziert. Im Internet surfen ist demnach in einem Café, Kaufhaus oder Flughafen in Zukunft nur noch möglich bei Vorlage des Personalausweises:

„Viertens hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Maßnahmen, die vom Adressaten einer Anordnung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen bei deren Durchführung getroffen werden, hinreichend wirksam sein müssen, um einen wirkungsvollen Schutz des betreffenden Grundrechts sicherzustellen, d. h., sie müssen bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer, die die Dienste des Adressaten der Anordnung in Anspruch nehmen, zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des genannten Grundrechts zugänglich gemachten Schutzgegenstände zuzugreifen…

Insoweit ist festzustellen, dass eine Maßnahme, die in der Sicherung des Internetanschlusses durch ein Passwort besteht, die Nutzer dieses Anschlusses davon abschrecken kann, ein Urheberrecht oder verwandtes Schutzrecht zu verletzen, soweit diese Nutzer ihre Identität offenbaren müssen, um das erforderliche Passwort zu erhalten, und damit nicht anonym handeln können, was durch das vorlegende Gericht zu überprüfen ist.“
(EuGH v. 15.9.2016 – C-484/14 Rz. 95 f., in der nächsten CR; Hervorhebungen hinzugefügt)

3. Haftungsumfang für Anbieter freier WLANs

Völlig klar natürlich, wer die Abmahnkosten zu tragen hat bei einem Verzicht auf Password und/oder Personalausweis:

„Demnach ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen ist, dass es …  ihr nicht zuwiderläuft, dass der Geschädigte die Unterlassung dieser Rechtsverletzung sowie die Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtskosten von einem Anbieter, der Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermittelt und dessen Dienste für diese Rechtsverletzung genutzt worden sind, verlangt …“
(EuGH v. 15.9.2016 – C-484/14 Rz. 79, in der nächsten CR; Hervorhebungen hinzugefügt)

Vision und Wirklichkeit

Gestern noch hatte EU-Kommissionspräsident Juncker vollmundig angekündigt, „jedes europäische Dorf“ werde bis 2020 über öffentliches WLAN verfügen(„EU will kostenloses WLAN für Tausende Städte“, welt.de v. 15.9.2016). Vielleicht ist es bezeichnend für den derzeitigen Zustand der EU, dass der EuGH diese Vision nur einen Tag später zunichte macht.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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