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Bericht aus Athen: Auswirkungen der Krise auf den E-Commerce

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Die Kanzlei Tsimikalis Kalonarou gehört zu den Traditionskanzleien Athens und blickt auf eine mehr als 100jährige Vergangenheit zurück. Dort arbeitet unser Kollege Stefanos Tsimikalis, ein bekannter griechischer IT-Rechtler. In der nächsten Ausgabe der ITRB wird Stefanos, der perfekt Deutsch spricht, die Reihe „E-Commerce Cross Border“ fortsetzen mit einem Ãœberblick über das griechische E-Commerce-Recht. Wir haben Stefanos gefragt, welche Folgen die Zuspitzung der Krise für seine Mandanten hat. Hier sein Bericht:

Allgemeine Situation

Die Schuldenkrise Griechenlands spitzte sich in den vergangenen Tagen dramatisch zu. Am letzten Freitag (26.6.2015) brachen die Gespräche zwischen der griechischen Regierung und den „Institutionen“ (sprich: „Troika“) zusammen. Die Regierung verkündete die Abhaltung eines Referendums am Samstag, den 5. Juli, mit der Frage, ob sich das Volk mit dem Angebot der Institutionen einverstanden erklären wolle. Inmitten des entstandenen Aufruhrs lief am 30. Juni das Stützungsprogramm für die griechische Wirtschaft und somit die Emergency Liquidity Assistance (ELA), die die Banken liquide hielt, ab.

Die Regierung sah sich angesichts dieser Entwicklung gezwungen, per Ausnahmegesetzgebung nach Art. 44 der Verfassung[1] (eines „gesetzgeberischen Aktes des Kabinetts“) die Schließung der Banken und Kapitalverkehrsbeschränkungen bis einschließlich 6. Juli zu verordnen, um einem Zusammenbruch des Bankensystems zuvorzukommen. Die hier relevanten Ausnahmemaßnahmen sind folgende:

1. Barabhebungen von Geldautomaten sind nur bis € 60 täglich je Kreditkarte zulässig

2. Geldüberweisungen ins Ausland werden untersagt

3. Der elektronische Geldverkehr innerhalb des Landes ist unbeschränkt möglich.

Es liegt auf der Hand, dass diese Maßnahmen zu einem massivem Ansturm auf die Geldautomaten auslöste, was das wirtschaftliche Leben erheblich störte mit noch unbekanntem humanitären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen. Einige wenige Nebenwirkungen dieses Zustandes mit rechtlicher Relevanz werden in der Folge aufgezeigt:

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Folgen für den elektronischen Handel:

Innerhalb von Stunden nach Verordnung der Maßnahmen ging der Umsatz des elektronischen Handels in den Bereichen wie Modeartikel, Schönheitspflege, Pharmazeutika um 40% zurück. Im Bereich der Artikel des täglichen Gebrauchs stieg hingegen der Umsatz, was wohl auf Vorratskäufe zurückzuführen ist. Die elektronischen Vertragsabschlüsse mit ausländischen Vertragspartnern wurden erheblich gestört, da die griechischen Käufer ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können, weil die Abwicklung ihrer Zahlungsaufträge über Kreditkarten einen verbotenen Geldtransfer ins Ausland darstellt.

Diesbezüglich entsteht Rechtsunsicherheit, was elektronisch abgeschlossene Auslandsverträge, die Ratenzahlungen vorsehen, angeht, wenn diese wegen der verordneten Einschränkungen nicht geleistet werden können: Kann der Auslandsvertragspartner den Vertrag unter diesen Umständen kündigen, und bejahendenfalls wie kann der Verbraucher, der sich mit der Gefahr der Kündigung des Vertrages konfrontiert sieht, obwohl er sich zahlungswillig zeigt, aber wegen der Ausnahmegesetzgebung dazu nicht im Stande ist, diese Lage meistern?

Folgen für Domainnamen:

Rechtsunsicherheit besteht ebenfalls, was bereits vergebene Domainnamen (andere als die „dot.gr“, die von der nationalen Aufsichtsbehörde verwaltet werden) angeht. Domainnamen-Inhaber sehen sich nun mit der Gefahr des Verlustes ihrer Domainnamen konfrontiert, da sie die Verlängerungsgebühren an die ausländischen Provider nicht überweisen können. Aber auch Domainnamen-Inhaber im dot.gr-Bereich könnten möglicherweise ihre Rechte verlieren, da der Barverkehr noch die bevorzugte Zahlungsweise ist, sodass kleine und mittelständische Unternehmen nicht immer in der Lage sind, elektronische Inlandsüberweisungen zu tätigen.

Nach dem „first come – first serve“ Prinzip, das bei der Verbriefung von Rechten im Internet gilt, können Domainnamen, die frei werden, von jedem Dritten erworben werden. Wettbewerber wären in der Lage, diese zu erwerben. Die rechtlichen Instrumente für den Rückerwerb der Domainnamen sind zwar gegeben, der bis zum Rückerwerb entstehende Schaden wird aber mit Sicherheit erheblich sein.

Folgen darüber hinaus

Die hier aufgezeichneten Zustände sind erstmalig in der Geschichte des Euro-Raumes. Sie werden mit Sicherheit den elektronischen Geldverkehr und Handel weitergehend beeinflussen und Auswirkungen haben, die heute nicht in jeder Einzelheit vorausgesagt werden können.

  [1] Art. 44 Abs. 1 Satz 1 der griechischen Verfassung: „In Ausnahmefällen eines außerordentlich dringenden und unvorhergesehenen Notstandes kann der Präsident der Republik auf Vorschlag des Ministerrates gesetzgeberische Akte erlassen.“  

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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