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BGH: Rechtsprechung zu den Prüfungspflichten der Online-Dienste – ein Ãœberblick

avatar  Niko Härting

Prüfungspflichten im Markenrecht

Die Wurzel der Rechtsprechung des BGH zu „Prüfungspflichten“ der Online-Dienste liegt im Markenrecht. Dort gibt es mittlerweile eine recht klare Linie des I. Zivilsenats:

Ursprung

Ob Google, DENIC oder Ebay: Anbieter von Internetdiensten können nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur dann als Störer in Anspruch genommen werden, wenn sie eine Prüfungspflicht verletzt haben:

„Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist.“

Diese beiden Sätze finden sich erstmals in der ambiente.de-Entscheidung des BGH, in der es um die Haftung der DENIC für markenrechtsverletzende Domains ging (BGH, Urt. v. 17.5.2001  I ZR 251/99 – ambiente.de, CR 2001, 850 m-Anm. Freytag = ITRB 2001, 280 (Rössel)).

Der BGH hat diese Sätze in späteren markenrechtlichen Entscheidungen nahezu wortgleich wiederholt (vgl. nur BGH, Urt. v. 11.3.2004 – I ZR 304/01 – Internet-Versteigerung I, CR 2004, 763 (767) mit Anm. Volkmann = MMR 2004, 668, 671 f. = K&R 2004, 486, 491 f.; BGH, Urt. v. 19.4.2007 – I ZR 35/04 – Internet-Versteigerung II, NJW 2007, 2636, 2639 = CR 2007, 523 (527) mit Anm. Rössel = MMR 2007, 507, 511 mit Anm. Spindler = BGH Report 2007, 825 (827) mit Anm. Härting ; BGH, Urt. v. 30.4.2008 – I ZR 73/05 – Internet-Versteigerung III, CR 2008, 579 = GRUR 2008, 702 = NJW-RR 2008, 1136 = WRP 2008, 1104 = MMR 2008, 531= K&R 2008, 435 mit Anm. Dittrich).

Mittelweg

Die Überlegung des BGH leuchtet ein: Die DENIC oder eBay verletzen selbst keine Markenrechte. Wenn die Dienste der Unternehmen jedoch genutzt werden, um Markenrechte zu verletzen, lässt sich ein kausaler Beitrag zu dem Rechtsverstoß nicht leugnen. Hätte der BGH allein hieraus eine (Mit-)Verantwortung für die Rechtsverletzungen abgeleitet, wären Online-Dienste mit unüberschaubaren Haftungsrisiken verbunden gewesen. Daher die Begrenzung der Haftung durch den Filter der Prüfungspflichten. Der Versuch eines Mittelweges.

 

Prüfungspflichten im Wettbewerbsrecht

Auch im Wettbewerbsrecht hält der BGH „Prüfungspflichten“ der Betreiber von Online-Diensten für das maßgebende Haftungskriterium. Allerdings ist die Rechtsprechung des I. Zivilsenats zum Wettberwerbsrecht nicht ganz so gradlinig verlaufen:

Verhaltensunrecht ohne Störerhaftung

Anders als im Markenrecht („Erfolgsunrecht“) geht es im Wettbewerbsrecht nach Auffassung des BGH um „Verhaltensunrecht“. Der BGH bekundete zunächst wiederholt für diesen Bereich „eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Institut der Störerhaftung“ und erwog, die Passivlegitimation für den Unterlassungsanspruch allein nach den deliktsrechtlichen Kategorien der Täterschaft und Teilnahme zu begründen vgl. BGH vom 15.5.2003, NJW-RR 2003, 1685, 1686 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen; BGH vom 24.6.2003, NJW 2003, 2525, 2526 – Buchpreisbindung). Klartext findet sich erstmals in der Entscheidung des zu „Kinderhochstühle im Internet“: Für den Bereich des „Verhaltensunrechts“ verabschiedet sich der BGH in dieser Entscheidung in einem Nebensatz vollständig von der Störerhaftung (BGH, Urt. v. 22.7.2010 – I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet, CR 2010, 259 (262) Rdnr. 48 ).

Täterschaftlicher Verstoß

Bereits in seiner Entscheidung zu „Jugendgefährdende Medien bei Ebay“ ging der BGH – wenn auch ohne nähere Begründung – nicht von einer Störerhaftung, sondern von einem „täterschaftlichen Verstoß der Beklagten gegen die Generalklausel des § 3 UWG“ aus. Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffne, dass Dritte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, die durch das Wettbewerbsrecht geschützt sind, begehe eine unlautere Wettbewerbshandlung, wenn er diese Gefahr nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren begrenze. Ebay habe im eigenen geschäftlichen Interesse eine allgemein zugängliche Handelsplattform geschaffen, deren Nutzung mit der Gefahr verbunden sei, schutzwürdige Interessen von Verbrauchern zu beeinträchtigen. Da eBay zudem bekannt sei, dass Versteigerer unter Nutzung der Handelsplattform mit konkreten Angeboten gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen, sei eBay verpflichtet, im Hinblick auf die konkret bekannt gewordenen Verstöße zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um derartige Rechtsverletzungen künftig so weit wie möglich zu verhindern (BGH, Urt.  v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, NJW 2008, 758 (762) = CR 2007, 728 (732) mit Anm. Härting = K&R 2007, 517 (521 f.)).

Verkehrspflicht aus Gefahreröffnung

Aus dem Gesichtspunkt der „Gefahreröffnung“ leitet der BGH eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht ab. Im Kern gehe es um den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind (vgl. BGH, Urt.  v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, NJW 2008, 758 (759 ff.) = CR 2007, 728 (730ff.) mit Anm. Härting = K&R 2007, 517 (519 ff.)).

Prüfungspflicht

Die wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht eines Telemedienanbieters „konkretisiert“ sich nach Auffassung des BGH als Prüfungspflicht. Damit ist die Brücke zu „Internet-Versteigerung I“ geschlagen: Voraussetzung einer Haftung des Anbieters sei – wie bei der Störerhaftung – eine Verletzung von Prüfungspflichten. Deren Bestehen und Umfang richte sich im Einzelfall nach einer Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen. Wie bei der Störerhaftung komme es entscheidend darauf an, ob und inwieweit dem in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten sei (BGH, Urt.  v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, NJW 2008, 758 (762) = CR 2007, 728 (732) mit Anm. Härting = K&R 2007, 517 (521)).

 

Prüfungspflichten beim Persönlichkeitsschutz

Für den Persönlichkeitsschutz ist der VI. Zivilsenat zuständig. Hier gibt es einen Schlingerkurs bei der Beurteilung der Haftung von Diensteanbietern. Das Autocomplete-Urteil ist die jüngste Kapriole, die dieser Schlingerkurs hervorgebracht hat:

Von:  Beseitigung und künftiges Unterlassen ohne Verletzung von Prüfungspflicht

Der VI. Zivilsenat des BGH lehnte es zunächst ab, die Störerhaftung bei Diskussionsforen abzumildern und vertrat die Auffassung, ein Forenbetreiber sei zur Beseitigung ehrverletzender Beiträge und zur zukünftigen Unterlassung sogar dann verpflichtet, wenn dem Kläger die Identität des Autoren bekannt ist und somit ohne weiteres die Möglichkeit besteht, gegen den Autor vorzugehen (BGH, Urt. v. 27.3.2007 – VI ZR 101/06, CR 2007, 586 ff. mit Anm. Schuppert).

Der VI. Zivilsenat vertrat – anders als der I. Zivilsenat – die Auffassung, dass es für eine Störerhaftung nicht darauf ankomme, ob der Diensteanbieter „Prüf(ungs)pflichten verletzt hat:

„Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt werden, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und damit zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet.“
(BGH, Urt. v. 27.3.2007 – VI ZR 101/06, CR 2007, 586 (587) Rz. 9 mit Anm. Schuppert)

Über:  Störerhaftung nur bei Verletzung von Prüfungspflicht

Seit 2009 ist der VI. Zivilsenat jedoch auf die Linie des I. Zivilsenats eingeschwenkt und bejaht eine Störerhaftung nur noch bei Verletzung einer Prüfungspflicht:

„Die Störerhaftung darf nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die nicht selbst den Eingriff vorgenommen haben. Die Haftung des Störers setzt deshalb das Bestehen so genannter Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist.“
(BGH, Urt. v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08 – Domainpacht, CR 2009, 730 (732) Rdnr. 18; vgl. auch BGH, Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10 – Blog-Eintrag, CR 2012, 103 (104) Rdnr. 25 ff.)

Zu:  Entsprechende Störerhaftung des Unterlassenden

In seiner Autocomplete-Entscheidung wendet der VI. Zivilsenat jetzt die Grundsätze der Störerhaftung „entsprechend“ an auf die „Verantwortlichkeit des Unterlassenden“:

„Bei Beeinträchtigungen, die eine pflichtwidrige Unterlassung als (Mit-) Ursache haben, ist zur Vermeidung einer zu weitgehenden Haftung eine fallweise wertende Betrachtung erforderlich. Die Verantwortlichkeit des Unterlassenden wird durch die Kriterien der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Erfolgsverhinderung begrenzt. (…)

Voraussetzung einer Haftung des Betreibers einer Suchmaschine mit entsprechender Hilfsfunktion ist daher ebenso wie bei der Haftung eines Hostproviders … eine Verletzung von Prüfungspflichten. Deren Bestehen wie deren Umfang richtet sich im Einzelfall nach einer Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen. Überspannte Anforderungen dürfen im Hinblick darauf, dass es sich um eine erlaubte Teilnahme am geschäftlichen Verkehr handelt, nicht gestellt werden. Entsprechend den zur Störerhaftung entwickelten Grundsätzen kommt es entscheidend darauf an, ob und inwieweit dem in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist.“

(BGH, Urt. v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, Rdnr. 27 und 29)

Kritik

Dass es mehr als rätselhaft ist, weshalb Google für seine Autocomplete-Vorschläge als „eigene Inhalte“ gemäß § 7 TMG gleichzeitig als Störer und als Unterlassungstäter verantwortlich sein soll, sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt (vgl. Härting, „Begründung des Autocomplete-Urteils: Wer soll dies denn noch verstehen?“, CRonline Blog v. 24.5.2013).

Zu kritisieren ist das Urteil vor allem deshalb, weil es sich mit erheblichem argumentativen Aufwand den Weg bahnt zu einer Einzelfallbetrachtung, die sich von den gesetzlichen Normen, um die es geht, vollständig löst. Wenn die Entscheidung von Haftungsfällen letztlich von einer „fallweisen wertenden Betrachtung“ abhängt, geht es nur noch um Einzelfalljudikatur ohne hinreichende Vorhersehbarkeit. Rechtssicherheit Fehlanzeige.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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