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Von „Abmahnanwälten“, „Abmahnopfern“ und einem längst vergangenen „Zentralkommitee“

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Unter der Ãœberschrift „Die abmahnende Kanzlei, die keine Abmahnkanzlei sein will“ berichtet der Kollege Solmecke bei Legal Tribune Online heute über den bizarren Fall einer Hamburger Anwaltskanzlei, die sich – per Abmahnung (sic!) – dagegen wehrt, dass sie in einer „Datenbank des Abmahnwahn“ als „Abmahner“ bezeichnet wird (Solmecke, „Die abmahnende Kanzlei, die keine Abmahnkanzlei sein will“, Legal Tribune Online v. 10.4.2013).

Argument der Lukrativität

„Abmahnindustrie“, „Abmahnwellen“, „Abmahnwut“, „Serienabmahnungen“: Wer in großem Umfang Abmahnungen versendet, muss sich Kritik gefallen lassen. Auftraggeber und Anwälte geraten immer wieder in Verdacht, das Instrument der Abmahnung zu missbrauchen, um eine „schnelle Mark“ zu machen.

Dass Abmahnungen für Anwälte lukrativ sind, lässt sich nicht leugnen. Dasselbe gilt allerdings auch für die Anwälte der „Abmahnopfer“. Man gebe einmal bei Google „Hilfe bei Abmahnungen“ ein und achte auf die Google Ads. Der Aufruf der Website der Intitiative Abmahnwahn-Dreipage (AM3P)   lässt sofort eine auffällige Anwaltsanzeige prominent im oberen Bereich des Bildschirms erscheinen.

Abmahnwesen statt Behörde

Seit vielen Jahrzehnten sind Abmahnungen das zentrale Instrument zur Durchsetzung von Rechten im gewerblichen Rechtsschutz. Das Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht wäre weitgehend zahnlos, wenn es keine Rechtsdurchsetzung per Abmahnung gäbe. Behörden, die – wie in anderen Ländern – über die Lauterkeit des Wettbewerbs wachen, gibt es hierzulande nicht.

Opfer-Perspektiven der Betroffenen

Und bei jeder Abmahnung gibt es zwei Perspektiven:

  • die Perspektive des „Opfers“ einer Rechtsverletzung, das sich per Abmahnung gegen den Rechtsverstoß zur Wehr setzt.
  • Und die Perspektive des „Opfers“ der Abmahnung, das häufig nicht versteht, weshalb es für eine (vermeintliche oder tatsächliche) „Lapalie“ viel Geld bezahlen soll.

Die Perspektive der „Abmahnopfer“ ist vielfach mehr als verständlich: Wenn eine Anwaltskanzlei binnen 8 Tagen 181 Abmahnungen versendet wegen des Fehlens eines Impressums auf einer Facebookseite, fasst sich nicht nur der Laie an den Kopf, wenn das LG Regensburg einen Rechtssmissbrauch verneint (LG Regensburg, Urteil vom 31.1.2013, Az. 1 HKO 1884/12, 1 HKO 1884/12).

Schutz gegen Missbrauch statt Abschaffung

Wer allerdings den Missbrauch zum Anlass nehmen möchte, um Abmahnungen abzuschaffen, oder wer – wie die Bundesregierung (siehe Härting, „Unseriöse Geschäftspraktiken – ‚Inkassoanwälte‘ als Diener zweier Herren und neue Anreize zu Prozessen ohne vorherige Abmahnung“, CRonline Blog v. 13.3.2013) – Abmahngebühren drastisch kürzen möchte, muss sich entgegenhalten lassen, dass hierdurch der gewerbliche Rechtsschutz erheblich geschwächt wird. Ohne ein effektives Abmahnsystem würden Urheberrecht und Markenrecht vielfach nur auf dem Papier stehen. Auch die Lauterkeit des Wettbewerbs in Deutschland steht und fällt mit dem Abmahnwesen.

Der BGH hat in jüngster Zeit den Einwand des Rechtsmissbrauchs gegenüber Abmahnungen deutlich gestärkt (zuletzt BGH, Beschluss vom 20.11.2012, Az. VI ZB 1/12). Das ist gut und notwendig. Der Missbrauch von Abmahnungen ist so alt wie die Abmahnpraxis. So berichtete der Spiegel bereits vor 30 Jahren von den dubiosen Aktivitäten eines ebenso findigen wie adligen „Abmahnanwalts“:

„Mit obskuren Vereinen zur Ãœberwachung des lauteren Wettbewerbs bringt er kleine Geschäftsleute ganzer Regionen gegen sich auf. Schon bei minimalen Formfehlern in Annoncen, wenn etwa ein Immobilienhändler sich nicht zu erkennen gibt, treten … Organisationen wie ‚Der Wettbewerbsbeobachter‘ oder das ‚Zentralkomitee für die Allgemeinbefolgung obergerichtlicher Rechtssprechung in Wettbewerbssachen‘ auf den Plan.“

aus „Ein württembergischer Graf sucht die strengen Adoptionsbestimmungen zu unterlaufen: durch Zeugung auf Bestellung“, Der Spiegel Online v. 28.2.1983

Was aus dem „Zentralkomitee für die Allgemeinbefolgung obergerichtlicher Rechtssprechung in Wettbewerbssachen“ geworden ist, ist nicht bekannt. Vermutlich teilt es das Schicksal zahlreicher anderer „Zentralkommitees“, die es in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts noch gab. Jedenfalls bleibt auch 30 Jahre später der Missbrauch von Abmahnungen ein Thema, ohne dass dies die zentrale Bedeutung und Funktion des Abmahnsystems ernsthaft in Frage stellen kann.

Mehr norddeutsche Gelassenheit

Den norddeutschen Kollegen würde man ein wenig mehr Gelassenheit wünschen. Eine Eigenschaft, für die die Hamburger doch eigentlich bekannt sind.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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