Ein Beitrag von Niko Härting und Jan Hemann
„Paint It, Black“ von The Rolling Stones, „Single Ladies“ von Beyoncé und „Good Vibrations“ von The Beach Boys – was zunächst nach einer wild zusammengewürfelten Spotify-Playlist klingt, ist zugleich ein Auszug der Daten, mit der das KI-Unternehmen Anthropic aus den Vereinigten Staaten sein Sprachmodell „Claude“ trainiert – und dies nach einer vorläufigen gerichtlichen Prüfung auch zunächst weiter trainieren darf (District Court for the Northern District of California, decision of 25 March 2025 – Concord Music Group, Inc. et al. v. Anthropic PBC, CRI0079965). Ob die Nutzung von Musikwerken unter „Fair Use“ fällt und mithin langfristig zulässig ist, bleibt jedoch abzuwarten.
Hintergrund
Im Herbst 2023 reichten gleich mehrere große Musikverlage – darunter auch Universal Music, Inhaber von umfassenden Verwertungsrechten an den Werken der eingangs genannten Künstler – Klage gegen Anthropic ein. Das KI-Unternehmen wurde 2021 gegründet und wird wesentlich gefördert durch Amazon, das bereits Investitionen in Höhe von 8 Milliarden Euro in Anthropic tätigte. Das prominenteste Produkt des Unternehmens ist das Sprachmodell Claude, das in direkter Konkurrenz zu ChatGPT von OpenAI und Google Gemini von Google steht. Die Kläger warfen Anthropic zum einen vor, sein Sprachmodell mit urheberrechtlich geschützten Songtexten ohne Lizenz zu trainieren („Input“). Zum anderen lasteten sie dem Unternehmen an, dass die KI Ergebnisse generiert, die Teile von Songtexten enthalten oder neue Musikerzeugnisse erstellt, indem sie auf die geschützten Werke zurückgreift („Output“). Dies stelle eine direkte Verletzung ihrer wirtschaftlichen Verwertungsrechte dar. Parallel zum Hauptverfahren beantragten die Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung („preliminary injunction“) mit dem Vorwurf, Anthropics Verhalten verursache einen irreparablen Schaden („irreparable harm“) für ihre Geschäftsmodelle.
Vergleich & gerichtliche Entscheidung
Anfang des Jahres einigten sich die Parteien bezüglich der Generierung des „Output“ bereits in einem Vergleich, in welchem sich Anthropic zur Anwendung von Schutzmaßnahmen („guardrails“) verpflichtete. Das mit dem Fall befasste US-Bundesgericht in Kalifornien, der U.S. District Court for the Northern District of California, musste sich mithin allein mit dem Vorwurf der Verwendung von Musik und Songtexten als Trainingsdaten auseinandersetzen. Ende März wies die zuständige Richterin diesen Antrag schließlich als zu weit und unbestimmt („undefined nature of the relief sought“) sowie als nicht hinreichend belegt dahingehend zurück, dass die Nutzung von Claude einen irreparablen Schaden verursache.
Zugleich erkannte das Gericht allerdings an, dass der Fall komplexe Fragen des US-Urheberrechts aufwerfe, insbesondere im Hinblick auf das Konzept des „Fair Use“.
Fair Use-Doktrin vs. Data-Mining-Schranke
Die in § 107 U.S. Copyright Act kodifizierte „Fair Use“-Doktrin ist eine zentrale Figur des US-amerikanischen Urheberrechts und erlaubt in bestimmten Fällen die nicht autorisierte Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte. Ziel dieser Ausnahmevorschrift ist es, die öffentliche Bildung, Meinungsfreiheit sowie die Entfaltung kreativer und geistiger Produktionen zu fördern. Die Beurteilung, ob eine konkrete Nutzung hierunter fällt, erfolgt auf Grundlage einer Einzelfallabwägung, die sich an vier Hauptkriterien orientiert: (i) der Zweck der Nutzung mit der Unterscheidung zwischen kommerzieller und gemeinnütziger Nutzung, (ii) die Art des übernommenen Werkes mit einer besonderen Schutzwürdigkeit kreativer Werke, (iii) der Umfang der Nutzung und schließlich (iv) die nachteiligen Auswirkungen auf den Markt.
In ihrer Funktion vergleichbar ist die Regelung mit den Schrankenbestimmungen des ins deutsche Recht umgesetzten europäischen Urheberrechts. Auch diese sollen unter bestimmten Bedingungen kreative Anschlussverwendungen ermöglichen, ohne dass eine vorherige Zustimmung des Rechteinhabers erforderlich ist. Ob das Zuführen von Trainingsdaten zu einer KI zulässig ist, richtet sich nach der Data-Mining-Schranke gemäß § 44b UrhG, die – anders als die „Fair Use“-Doktrin – gem. § 44b Abs. 3 S. 1 UrhG eine zulässige Nutzung ausschließt, sofern sich der Rechtsinhaber die fraglichen Nutzungen vorbehalten hat.
Warten auf die Entscheidung …
Im Fall von Anthropic und Universal Music ließ das Gericht die Frage nach dem Vorliegen von „fair use“ in seiner Entscheidung über den Antrag offen („the threshold question of fair use remains unsettled“). Diese Frage müsse abschließend im Hauptverfahren geklärt werden und darf – angesichts der auf dem Spiel stehenden wirtschaftlichen Interessen der Musikverlage einerseits und der Verfügbarkeit von atemberaubend großen Datenmengen für KI-Unternehmen andererseits – mit Spannung erwartet werden.