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Von Selbstverpflichtungen und Beautywundern

avatar  Dr. Judith Nink
Data Protection Officer, Legal Counsel, eyeo GmbH

Der vom Bundesverband Digitale Wirtschaft  e.V. (BVDW) kürzlich ins Leben gerufene und von 40 Marktteilnehmern unterzeichnete “Code of Conduct Programmatic Advertising” enthält Selbstverpflichtungen im Bereich des Programmatic Advertising für die Werbebranche, namentlich für Vermarkter/Publisher, Supply-Side-Plattformen, Demand-Side-Plattformen und Daten-Anbieter.

Was bedeutet Programmatic Advertising?

Das Schlagwort Programmatic Advertising beschreibt “das gesamte Zusammenspiel von Big-Data, Ad Networks, Ad Exchanges, Demand-Side Platforms (DSP), Supply-Side Platforms (SSP) und Real-Time Bidding” (Koeppen, Programmatic Advertising ganz einfach erklärt, 19.5.2016). Der BVDW selbst definiert Programmatic Advertising als

die automatisierte Aussteuerung einzelner Werbekontaktchancen in Echtzeit und ist in Abgrenzung zum technischen Prozess des Realtime-Bidding (RTB) zu verstehen, welcher im Kern ein automatisiertes Preisfindungsverfahren zwischen Angebots- (Sell Side) und Nachfrageseite (Demand Side) darstellt.
(BVDW, Glossar Programmatic Advertising, 27.10.2015, S. 4)

Schon die Vielzahl der Begrifflichkeiten und Beteiligten zeigt, wie undurchsichtig das Ausspielen von Werbung im Internet geworden ist (grafische Aufbereitung eines klassischen Werbevermarktungsprozesses: BVDW, Programmatic-Advertising Ökosystem); ganz zu Schweigen von den Datenschutz- und Sicherheitsrisiken die damit einhergehen (immer wieder wird – selbstverständlich ohne Wissen des Webseitenbetreibers – Malware über Werbung ausgespielt, s. jüngst Goodin, Millions exposed to malvertising that hid attack code in banner pixels, ars technica v. 6.12.2016; Gierow, Malware-Angriff aus der Werbung, Golem v. 15.9.2015).

Die Selbstverpflichtung der Marktteilnehmer

Insofern ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass der BVDW und einige Marktteilnehmer sich freiwillig dazu verpflichtet haben, gewisse “Kriterien und Bedingungen” im Rahmen von Programmatic Advertising einzuhalten. Als „Kriterium“ genannt werden dabei unter anderem:

„2. Transparenz und Qualität der Kampagnen-Aussteuerung“ und dabei u.a.

  • „C. Sichtbarkeit“
  • „E. Ad Fraud“
  • „F. Audience Fraud“

„5. Transparenz und Qualität bei der Datennutzung

  • A. Data-Protection
  • B. Cookie Dropping und Data Leakage“

Dem aufmerksamen Leser wird dabei sicher auffallen, dass die “Kriterien und Bedingungen” in ihrer – positiv ausgedrückt – Kürze viel Raum für Interpretation lassen.

Es gibt jedoch laut dem BVDW neben “der freiwilligen Selbstverpflichtung […] auch begleitende Teilnahmebedingungen, die mit einer Verfahrensordnung den Umgang bei Verstößen regeln.” Leider sind weder die Teilnahmebedingungen noch die Verfahrensordnung für Dritte oder gar Nutzer selbst einsehbar.

Die Selbstverpflichtung in der Praxis

Betrachtet man die 40 Unterzeichner des Code of Conducts gegenüber der Fülle an Beteiligten im Rahmen des Programmatic Advertising ist die Zahl von 40 Unterzeichnern ein lobenswerter Beginn, aber auch leider noch nicht mehr. Denn eine Einhaltung der Selbstverpflichtung ist nur dann möglich, wenn Webseitenbetreiber ausschließlich solche Werbemittel von Netzwerken ausspielen, die sich wiederum im Rahmen des Code of Conducts verpflichtet haben. Tatsächlich haben Webseitenbetreiber aber häufig keine Kontrolle mehr darüber, welche Werbung ausgespielt wird, da sie überwiegend die Vermarktung komplett aus der Hand gegeben haben.

Werbung für Fake News

Das führt im Ergebnis dazu, dass selbst Unterzeichner des Code of Conducts auf ihren Webseiten Werbung für sogenannte “Fake-Nachrichtenseiten” ausspielen (lassen). Dabei handelt es sich um scheinbar seriöse, weil redaktionelle, Berichterstattung oder Empfehlungen von Nutzern, die den Eindruck vermitteln sollen, sie könnten einem Anbieter oder einem Produkt vertrauen (Brückner, „Programmatic Advertising“ – das Hintertürchen für die Fakes – 100 deutsche Nachrichtenportale im Test, 17.11.2016). Dabei handelt es sich zum Beispiel um sogenannte Beautywunder-Versprechen.

Der Webseitenbetreiber wird in der Regel gar nicht positiv wissen, dass betrügerische Werbung auf seiner Webseite ausgespielt wird. An den Code of Conduct hält er sich damit aber nicht mehr.

Ko-Regulierung als Alternative?

Eine Selbstverpflichtung im Bereich des Programmatic Advertising ist zwar ein begrüßenswerter Ansatz, praktisch jedoch aufgrund der aktuellen Werbevermarktungspraxis, aber auch aufgrund der sehr vagen Kriterien und Bedingungen, ein – zumindest für den Nutzer – stumpfes Schwert. Für den Internetnutzer hilfreich könnte die Selbstverpflichtung werden, wenn sie international ausgedehnt würde und alle wesentlichen Marktteilnehmer ins Boot geholt werden.

Grundsätzlich haben ja bereits Ansätze aus anderen Branchen gezeigt, dass Selbstverpflichtungen eher bedingt funktionieren (Heliosch, CR 2009, R43; kritisch auch Rössel, CR 2003, 349 (353)), anders als ko-regulierte Ansätze, wo Dritte als Prüfungsinstanz fungieren. Bekannteste Beispiele sind der TÜV, der Selbstregulierung Informationswirtschaft e.V. (SRIW) oder, um beim Thema Online-Werbung zu bleiben, das Acceptable Ads Programm. Hier agieren Dritte erfolgreich im Auftrag und im Sinne der Nutzer.

Fazit

Unterzeichner des Code of Conducts sollten in jedem Falle überdenken, wie sie ihre Werbung vermarkten und ob sie tatsächlich sicherstellen können, dass keine betrügerische Werbung über ihre Webseite ausgespielt wird. Denn es mag zwar kein positives Wissen der Webseitenbetreiber bezüglich solcher betrügerischer Werbeanzeigen vorliegen. Dadurch, dass Webseitenbetreiber jedoch überwiegend die Werbevermarktung völlig aus der Hand geben und ihnen der grundsätzliche Missbrauch von Werbung – sowohl inhaltlich wie auch sicherheitstechnisch – bekannt ist, dürfte hier zumindest ein billigendes Inkaufnehmen vorliegen. Es wäre daher interessant, wie der BVDW mit solchen nicht positiv bekannten Verstößen gegen den Code of Conduct umgeht bzw. umgehen wird. Bislang sind keine Reaktionen öffentlich gemacht worden.

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