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Privatkopien & Urhebervergütung: Fallböen und Wechselwinde

avatar  Christian Frank

Surfer und Segler schätzen sie nicht, die Winde aus wechselnden Richtungen. Ob Juristen sie schätzen, ist egal, jedenfalls halten sie uns beschäftigt … Der EuGH hat am 11.7.2013 das Urteil in der Rechtssache C-521/11 Amazon ./. Austro-Mechana verkündet, in dem es primär um die Vereinbarkeit des österreichischen Geräteabgabesystems mit der Richtlinie 2001/29 EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (Urheberrechts-Richtlinie) geht (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11). Das Urteil hat unmittelbare Auswirkungen auf Verfahren und Streitigkeiten in Deutschland. Vor allem aber wirft es Widersprüche auf zu einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus 2011 und einer zwei Wochen älteren EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 27.6.2013 – C-457 bis C-460/11) auf:

1.         Ausgangslage in Österreich

Die österreichische Verwertungsgesellschaft Austro-Mechana hatte Amazon auf Zahlung einer angemessenen Vergütung für Trägermaterial verklagt, welches letztere in Österreich in Verkehr gebracht hatte. Das österreichische Recht kennt eine Leerkassettenvergütung, um die Urheber für gesetzlich zulässige Privatkopien von Bild- und Tonwerken zu entschädigen. Schuldner des Anspruchs ist derjenige, der das entsprechende Trägermaterial oder Vervielfältigungsgerät als erstes in Österreich gewerbsmäßig entgeltlich in den Verkehr bringt.

Die Ansprüche werden – wie in Deutschland – von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht. Diese müssen die Vergütung allerdings zurückzahlen, wenn das Trägermaterial oder das Vervielfältigungsgerät vor der Veräußerung an den Letztverbraucher in das Ausland exportiert wird oder das Trägermaterial für eine Vervielfältigung aufgrund der Einwilligung des Berechtigten benutzt wird.

Die Austro-Mechana hat nach dem Padawan-Urteil (EuGH, Urt. v. 21.10.2010 – C-467/08, CR 2011, 6 = ITRB 2011, 74 (Wolff)) zudem ein System der Vorabfreistellung für diejenigen Geräte und Medien eingeführt, die von Unternehmen, Behörden und Freiberuflern genutzt werden ( siehe „Leerkassettenvergütung (URA) – Erklärung über die Verwendung von unbespieltem Trägermaterial“ der Austro-Mechana GmbH, Wien).

2.         Unter welchen Voraussetzungen dürfen statt der Privatnutzer Hersteller und Händler belastet werden?

Der EuGH hat in der ersten Vorlagefrage mit Verweis auf die Urteile Padawan (EuGH, Urt. v. 21.10.2010 – C-467/08, CR 2011, 6 = ITRB 2011, 74 (Wolff)) und Stichting de Thuiskopie (EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – C-462/09, CR 2011, 491) das österreichische System im Ergebnis abgesegnet, wobei allerdings verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein müssen:

  • Grundsatz:  Grundsätzlich sei die Privatkopien erstellende Person verpflichtet, den hiermit verbundenen Schaden wieder gut zu machen (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 23).
  • Praktikabilität:  Wegen praktischer Schwierigkeiten, diese privaten Nutzer zu identifizieren und zum Schadensersatz zu verpflichten, könnten Mitgliedsstaaten alternativ auch bei denjenigen ansetzen, welche die Geräte und Träger den Privatpersonen zur Verfügung stellen, also Hersteller, Importeure und Händler (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 24).
  • Weitergabe an Privatnutzer:  Händler können eine gezahlte Vergütung auf den Verkaufspreis aufschlagen und somit an die Privatpersonen als Nutzer der Kopierfreiheit weiterreichen (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 25-27).
  • Keine Anwendung dieser Regeln für professionelle Abnehmer:  Weil die Vervielfältigungsfreiheit aber nur für Privatkopien von natürlichen Personen greift, können die für sie geltenden Regeln nicht auch für Geräte und Medien gelten, die von Unternehmen, Behörden und Freiberuflern genutzt werden (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 28).

Dieses System stand letztlich bereits in der Padawan-Entscheidung und wird nun in der Amazon-Entscheidung noch einmal präzisiert:

  • Wirksamkeit und Ãœbermaßverbot:  Das österreichische System mit dem Rückerstattungsanspruch sei nur dann gemeinschaftsrechtskonform, sofern dieser wirksam sei und keine übermäßige Erschwernis bei der Rückerstattung mit sich bringe (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 31).
  • Notwendige Schwierigkeiten:  Zudem müssen die bereits erwähnten „praktischen Schwierigkeiten oder andere vergleichbare Schwierigkeiten“ vorliegen, um eine Inanspruchnahme der Gerätehersteller etc. zu rechtfertigen (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 33).
  • Gerichtliche Prüfungsfolge:  Das Ausgangsgericht müsse folglich prüfen:

(1)  ob mit dem zunächst einmal unterschiedslos angewendeten Abgabesystem für Privatkopien überhaupt hinreichend praktischen Schwierigkeiten in allen Fällen begegnet wird. Hierbei  seien als Kriterien Umfang, Wirksamkeit, Verfügbarkeit, Bekanntheit und Einfachheit der Vorabfreistellungen zu berücksichtigen (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 35).

(2)  ob es die Realitäten des Rückerstattungsanspruchs gemessen an diesen Kriterien erlauben, die durch die (unterschiedslos angewendete) Regelung geschaffenen Ungleichgewichte auszugleichen (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11, Rz. 36).

Relevanz für Deutschland:  Es wird spannend, wie diese Vorgaben sich auf die Situation in Deutschland auswirken. Hier weigern sich die Verwertungsgesellschaften bislang, zwischen der Nutzung durch Privatpersonen einerseits und Unternehmen, Behörden und Freiberuflern zu unterscheiden und scheren stattdessen alle über „denselben Kamm“.

3.         Die Vermutung, dass Privatpersonen Geräte und Medien auch für Privatkopien nutzen

Die zweite Vorlagefrage befasst sich damit, ob eine derartige Finanzierung der Privatkopie auf der widerlegbaren Vermutung beruhen darf, dass, wenn ein Gerät/Trägermaterial an natürliche Personen abgegeben wird, diese es auch tatsächlich für die Erstellung von Privatkopien benutzen. Ein solches System einer widerlegbaren Vermutung ist dem EuGH zufolge mit den Vorgaben aus der Urheberrechts-Richtlinie vereinbar.

Relevanz für Deutschland:  Interessant hieran ist, dass der deutsche Bundesgerichtshof schon 2011 (BGH, Urt. v. 30.11.2011 – I ZR 59/10 – Rz 39ff., CR 2012, 702 = ITRB 2012, 175 (Engels)) behauptet hatte, dass das Padawan-Urteil in seinen Rz  54-58 (EuGH, Urt. v. 21.10.2010 – C-467/08 – Rz 54-58, CR 2011, 6 = ITRB 2011, 74 (Wolff)) ein zweigliedriges System von Vermutungen eingeführt habe:

  • Natürliche Personen:  Bei der Ãœberlassung der Geräte an natürliche Personen bestehe eine entsprechende unwiderlegliche Vermutung einer derartigen Nutzung (dort Rz 39).
  • Andere Personen:  Bei der Ãœberlassung der Geräte an Unternehmen, Freiberufler und Behörden sei eine widerlegliche Vermutung anzunehmen (dort Rz 42f.).

Im Padawan-Urteil finden sich aber keine Ausführungen, die diese Annahme des BGH stützen!

Dieser „deutsche Aspekt“ war natürlich nicht Gegenstand des Amazon Verfahrens beim EuGH, ist hierdurch nun aber indirekt wohl geklärt.

4.         Grenzüberschreitende Szenarien

Für den grenzüberschreitenden Handel führt der EuGH im Amazon-Urteil allerdings keine „Warenverkehrsfreiheit“ im Hinblick auf Gerätevergütungen ein:

De Jure: Rückerstattung

Wenn der Händler eine solche in einem Mitgliedsstaat für ein bestimmtes Gerät bereits bezahlt hat, dieses später aber nicht in dessen Hoheitsgebiet, sondern an einen Endnutzer in einem anderen Mitgliedsstaat vertreibt, kann sich der Händler im Zweitstaat nicht mit Verweis auf die bereits im Erststaat erfolgte Zahlung weigern, zusätzlich die dort anfallende Vergütung zu bezahlen. Stattdessen muss er die zuvor im ersten Mitgliedstaat gezahlte Urhebervergütung zurückverlangen.  Rechtlich mag dies in sich schlüssig sein.

De Facto: Doppelte Gerätevergütung

Die Praxis kämpft aber mit Schwierigkeiten, denn in Deutschland werden Urhebervergütungen in der Regel beim Hersteller oder Importeur erhoben, der alle nachfolgenden Handelstufen insoweit freistellt. Exportiert der Händler dann ein derart bezogenes Gerät ins Ausland, haben die Verwertungsgesellschaften hierfür eine Gerätevergütung erhalten, die vom Gesetz her nicht geschuldet ist. Die Rückforderung durch den bezahlt habenden Hersteller scheitert in der Praxis daran, dass dieser weder weiß, ob der letzte Händler das Gerät exportiert hat, noch über entsprechende Unterlagen und Nachweise verfügt. Eine Geltendmachung durch den exportierenden Letzthändler scheitert in der Praxis daran, dass dieser keinen Rückerstattungsanspruch hat, weil die Gerätevergütung ja nicht von ihm, sondern vom Hersteller bezahlt worden ist. Für die Praxis bleibt es damit schwierig!

5.         Perplexe Relevanz der urheberrechtlichen Genehmigung?

Last but not least: Die 4. Kammer des EuGH hat in ihrem VG Wort-Urteil (EuGH, Urt. v. 27.6.2013 – C-457 bis C-460/11, Rz 37-39) zur Vorlagefrage 5 geurteilt, dass eine mögliche Genehmigung des Urhebers keinerlei Auswirkungen auf den gerechten Ausgleich hat. In der Amazon-Entscheidung betont dessen 2. Kammer hingegen mehrfach (EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-521/11 – Rz 23, 47 und 58), dass das Konzept und die Höhe des gerechten Ausgleichs an denjenigen Schaden anknüpft, der sich für den Rechtsinhaber aus der Vervielfältigung seines Werkes ergibt, die ohne seine Genehmigung für den privaten Gebrauch erfolgt. Zwei Kammern des EuGH kommen somit innerhalb von 14 Tagen zu entgegengesetzten Ergebnissen, was die Relevanz einer Genehmigung des Urhebers für den gerechten Ausgleich betrifft.

Im Vitorino-Bericht vom 31.01.2013 (António Vitorino, Recommedations Resulting from the Mediation on Private Copying and Reprography Levies, 31.1.2013, p. 5) hatte der Berichterstatter in seinen Empfehlungen für Privatkopien und Urhebervergütungen als ersten Punkt empfohlen, klarzustellen, dass Kopien, welche von Endnutzern für den privaten Gebrauch im Zusammenhang mit Diensten erstellt werden, die von Rechteinhabern genehmigt wurden, keinen Schaden verursachen, der eine zusätzliche Vergütung in Form von Urheberabgaben auslöst.

6. Fazit zum Kurs für Privatkopien & Geräteabgaben

Die Windrichtung zur Relevanz einer Genehmigung hat also allein in diesem Jahr schon zweimal gewechselt. Wer auch immer in diesen Gewässern navigiert, ist gut beraten, sich auf weitere „Fallböen“ einzustellen …

 

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