Aktuell im ITRB

Vorschlag für eine neue EU-Produkthaftungsrichtlinie: Erweiterung auf digitale Produkte und digitale Dienste, Zusammenspiel mit anderen Rechtsakten der EU – Teil 1 (Lejeune, ITRB 2024, 102)

Der Beitrag erläutert den endgültigen Entwurf der neuen Produkthaftungsrichtlinie der EU. Mit der Richtlinie wird der Anwendungsbereich deutlich erweitert und den Anforderungen des Internetzeitalters angepasst, weil in Zukunft auch Software, „embedded Products“ und bestimmte „verbundene Dienste“ unter die Richtlinie fallen, ohne die ein Produkt seine Dienste nicht erbringen kann. Der Beitrag zeigt außerdem, welche anderen neuen EU-Rechtsakte in diesem Zusammenhang in Zukunft von Bedeutung sein werden, d.h. die geplante Verordnung betreffend künstliche Intelligenz (AI Act), die damit verbundene EU-KI-Haftungsrichtlinie, die Verordnung über horizontale Cybersicherheitsanforderungen für Produkte mit digitalen Elementen (EU-Cyberresilience Act) sowie der Data Services Act (DSA). In der abschließenden Bewertung wird dargelegt, welche Konsequenzen sich aus der neuen Richtlinie für die Unternehmen ergeben werden.

In Teil 1 geht es um Anwendungsbereich und Abgrenzung zur KI-Haftungsrichtlinie, Begriffsbestimmungen, Schäden und Produktfehler. Teil 2 wird sich Wirtschaftsakteuren und Haftungsfragen widmen und ein Fazit ziehen.


1. Hintergrund

2. Regelungen

a) Anwendungsbereich und Abgrenzung zur KI-Haftungsrichtlinie, Art. 2

b) Begriffsbestimmungen, Art. 4

c) Recht auf Schadensersatz und abgedeckte Schäden, Art. 4, 5

d) Fehlerhaftigkeit eines Produkts, Art. 6


1. Hintergrund

Die EU-Kommission hat am 28.9.2022 einen Vorschlag für eine neue EU-Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Im Dezember 2023 wurde in der EU eine Einigung über den endgültigen Text erzielt. Mit Erlass der neuen Richtlinie soll die bestehende Produkthaftungsrichtlinie aus dem Jahr 1985 aufgehoben werden. Ziel der neuen Richtlinie ist es, das Produkthaftungsrecht der EU dem digitalen Zeitalter anzupassen. In diesem Zusammenhang führt die Begründung zum Entwurf der neuen Richtlinie vier grundsätzliche Zielsetzungen auf:

  • sicherzustellen, dass die Haftungsvorschriften der Beschaffenheit von Produkten im digitalen Zeitalter und in der Kreislaufwirtschaft und den damit zusammenhängenden Risken Rechnung trägt;
  • sicherzustellen, dass immer ein Unternehmen mit Sitz in der EU verfügbar ist, das für fehlerhafte Produkte haftbar gemacht werden kann, die direkt von Herstellern außerhalb der EU gekauft werden;
  • die Beweislast in komplexen Fällen zu mindern und die Einschränkungen bei der Geltendmachung von Ansprüchen zu verringern bei gleichzeitiger Gewährleistung eines gerechten Gleichgewichts zwischen den legitimen Interessen der Hersteller, der geschädigten Personen und der Verbraucher im Allgemeinen und
  • dafür Sorge zu tragen, dass die Rechtssicherheit durch eine bessere Angleichung der Produkthaftungsrichtlinie an den durch den Beschluss Nr. 768/2008/EG geschaffenen neuen Rechtsrahmen und an die Produktsicherheitsvorschriften sowie durch die Kodifizierung der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Produkthaftungsrichtlinie gewährleistet wird.


Um diese Zielsetzungen innerhalb der EU durchsetzen zu können, sieht die Richtlinie das Prinzip der sog. Vollharmonisierung vor, d.h. die Mitgliedsstaaten dürfen weder von der Richtlinie abweichende nationale Rechtsvorschriften aufrechterhalten noch solche einführen. Dies gilt insb. auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Erreichung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.

2. Regelungen

a) Anwendungsbereich und Abgrenzung zur KI-Haftungsrichtlinie, Art. 2

Nach Art. 2 Abs. 2 gilt die Richtlinie nicht für Schäden aus nuklearen Unfällen, soweit die Haftung für solche Schäden durch von den Mitgliedsstaaten ratifizierte internationale Übereinkommen abgedeckt ist.

Nach Art. 2 Abs. 3 lit. c berührt die Richtlinie keine Ansprüche, die eine geschädigte Person gemäß den nationalen Vorschriften über die vertragliche oder außervertragliche Haftung aus anderen Gründen als der Fehlerhaftigkeit eines Produkts haben könnte, einschließlich nationaler Vorschriften zur Durchführung von Unionsrecht wie z.B. der ebenfalls im Entwurf vorliegenden Richtlinie über die KI-Haftung. Die KI- Haftungsrichtlinie sieht Beweiserleichterungen in Fällen vor, in denen ein Kläger einen Schadensersatzanspruch geltend macht wegen eines Schadens, der ihm durch ein Ergebnis eines KI-Systems entstanden ist. Anders als unter der Produkthaftungsrichtlinie, die eine verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte vorsieht, regelt die KI-Haftungsrichtlinie Fälle, in denen (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.03.2024 10:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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