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Der urheberrechtliche Schutz von Programmierschnittstellen unter Berücksichtigung der Entscheidung des U.S. Supreme Court in der Sache Oracle v. Google (v. Welser/Hoppen)

Bei der Erstellung von Software stellt sich häufig die Frage, ob Programmierschnittstellen übernommen werden dürfen. Diese Frage war Gegenstand des Verfahrens Oracle v. Google in den Vereinigten Staaten. Am 5.4.2021 hat das Supreme Court of the United States in dem Verfahren Oracle v. Google zugunsten von Google entschieden. Oracle hatte Google die Verletzung des Urheberrechts am Quellcode vorgeworfen. Google hatte ohne Erlaubnis Programmierschnittstellen, im Folgenden APIs (Application Programming Interface, Anwendungsprogrammierschnittstellen), von Oracle übernommen. Der Fall wurde auch in Europa mit Spannung verfolgt, da zahlreiche Computerprogramme und Softwarebibliotheken durch Nachbildung der Funktionalität von APIs anderer Produkte entwickelt werden.


Der Beitrag skizziert die technischen Hintergründe und wesentlichen Aspekte der amerikanischen Entscheidung und präsentiert Diskussionsansätze, wie derartige Konstellationen nach den rechtlichen Vorgaben in Deutschland und in der EU zu beurteilen sind.


INHALTSVERZEICHNIS:

I. Was war Gegenstand des Verfahrens Oracle vs. Google?

II. Was ist eine API?

1. Differenzierung zwischen Deklarationscode und Implementierungscode

a) Deklarationscode

b) Implementierungscode

2. Zusammenspiel von Methodenaufruf, Deklarationscode und Implementierungscode

3. Wieviel Freiraum besteht bei der Ausgestaltung einer API?

III. Was hat Google konkret übernommen?

1. Erstes Beispiel: Funktion decode zur Umwandlung einer Zeichenfolge in einen numerischen Wert

a) Vergleich der Deklarationscodes (API-Code)

b) Vergleich der Implementierungscodes

c) Vergleich der Inline-Dokumentationen

2. Zweites Beispiel: Funktion nextAfter zur Auf- und Abrundung ganzer Zahlen

a) Vergleich der Deklarationscodes (API-Code)

b) Vergleich der Implementierungscodes

c) Vergleich der Inline-Dokumentationen

3. Drittes Beispiel: Funktion max zur Ermittlung des Maximums zweier Zahlen

a) Vergleich der Deklarationscodes (API-Code)

b) Vergleich der Implementierungscodes

c) Vergleich der Inline-Dokumentationen

IV. Wie hat das Supreme Court entschieden?

1. Urheberrechtliche Schutzfähigkeit

2. Schrankenbestimmungen

a) Zweck und Charakter der Nutzung

b) Art des urheberrechtlich geschützten Werkes

c) Umfang und Wesentlichkeit des genutzten Teils im Verhältnis zum urheberrechtlich geschützten Werk als Ganzes

d) Auswirkungen der Nutzung auf den potentiellen Markt für das urheberrechtlich geschützte Werk oder dessen Wert

V. Rechtliche Aspekte bei einer Beurteilung nach deutschem/europäischem Recht

1. Schutzfähigkeit einer API

a) Schutz als Computerprogramm

b) Schutz als Datenbank

2. Verwertungshandlung

3. Schrankenbestimmungen

4. Kartellrechtliche Fragen

VI. Ergebnis


 


Leseprobe:

 

"I. Was war Gegenstand des Verfahrens Oracle vs. Google?
1

Oracle ist Inhaberin der urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Java SE (Java Standard Edition), einer Implementierung der Programmiersprache Java sowie vielfältiger in Java programmierter Bibliotheken zur Ausführung von Standardaufgaben, die über Programmierschnittstellen, sog. Java-APIs, aufgerufen werden können. 1 Die Nutzungsrechte hatte Oracle mit der Übernahme von Sun Microsystems erworben. Java war ursprünglich 1990 von Sun Microsystems entwickelt worden.

2

Im Jahr 2005 erwarb Google das Unternehmen Android Inc. und entwickelte eine neue Softwareplattform für mobile Geräte. Um den Programmierern, die mit der Programmiersprache Java und den Java-APIs vertraut sind, die Arbeit mit der neuen Android-Plattform zu erleichtern und zu ermöglichen, schon vorhandenen Java-Code wiederverwenden zu können, kopierte Google etwa 11.500 Codezeilen aus einzelnen Java-Bibliotheken. Die kopierten Zeilen sind Bestandteile der Java-APIs und machen 0,4 Prozent der gesamten Implementierung der Java-API aus, die insgesamt 2,86 Millionen Zeilen umfasst.

3

Oracle verklagte Google wegen Urheberrechtsverletzung und verlangte Schadenersatz. Das US Court of Appeals for the Federal Circuit (Berufungsgericht) hatte zu Ungunsten Googles entschieden, dass die APIs urheberrechtsfähig sind und Googles Nutzung nicht unter die Fair-Use-Regelung fällt. 2 Im April 2021 entschied dann das US Supreme Court in einer 6:2-Entscheidung zugunsten Googles, dass die Nutzung der Java-APIs durch Google unter die Fair-Use-Schranke fällt. 3 Dabei wurde die Frage nach der Urheberrechtsfähigkeit der APIs in der Mehrheitsentscheidung offengelassen. Um festzustellen, ob das Kopieren der APIs durch Google als erlaubter „Fair Use“ zu bewerten ist, prüfte das US Supreme Court die vier Kriterien, die in der gesetzlichen Bestimmung über die faire Nutzung des Urheberrechtsgesetzes festgelegt sind: Zweck und Charakter der Nutzung (1.), die Art des urheberrechtlich geschützten Werks (2.), Umfang und Wesentlichkeit des genutzten Teils im Verhältnis zum urheberrechtlich geschützten Werk als Ganzes (3.) und die Auswirkungen der Nutzung auf den potentiellen Markt für das urheberrechtlich geschützte Werk oder dessen Wert (4.). Die beiden Richter, die mit der Entscheidung inhaltlich nicht übereinstimmten, namentlich Justice Thomas und Justice Alito kamen in ihrem Sondervotum (dissenting opinion) zu der Einschätzung, dass eine Urheberrechtsverletzung vorlag, da der Code geschützt sei und die Voraussetzungen der Fair-Use-Schranke nicht vorlägen. 4 Die Hauptkritik der beiden abweichenden Richter richtet sich dagegen, dass die Mehrheitsentscheidung die Frage der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit unbeantwortet ließ. Durch diese Auslassung werde auch die Prüfung der Fair-Use-Schranke beeinträchtigt.

 

II. Was ist eine API?
4

Moderne Software ist immer ein System, in welchem verschiedene, bereits vorhandene Softwarekomponenten integriert und in ihrem Zusammenspiel …"

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.10.2023 12:17

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