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Ein Zurechnungsprinzip kraft Status für digitale Agentenerklärungen? (Maatz, CR 2023, 572)

Die Frage, wie die Rechtsgeschäftslehre mit autonomen Softwareagenten umzugehen hat, stößt in der Privatrechtswissenschaft auf ein Konglomerat von Lösungsansätzen, die oftmals schon rechtsmethodologisch an der Konstruktion eines Vertragsschlusses scheitern, spätestens aber an Folgefragen wie der Lösungsmöglichkeit des Verwenders von der Erklärung seines Softwareagenten. Der Beitrag unternimmt den Versuch, anstelle einer abermaligen Apologie für eine Rechtsfortbildung im Rahmen des Stellvertretungsrechts ein Zurechnungsprinzip mittels eines romanistischen Strukturvergleichs vorzustellen und für die Einordnung entsprechender Agentenerklärungen in unsere Privatrechtsordnung fruchtbar zu machen. Darüber hinaus ist jenes Zurechnungsprinzip dazu in der Lage, ein altbekanntes Problem des Stellvertretungsrechts zu überwinden.

Eine ewige Wiederkehr des Gleichen

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Einleitung

II. Bisherige Lösungsansätze und ihre Schwächen

1. Keine Fortgeltung der Lehre der Computererklärung

2. Der Agent ist kein Bote

3. Keine (analoge) Anwendung des Stellvertretungsrechts

4. Keine Zurechnung nach dem Risikoprinzip oder „Vertrauenstatbeständen“

III. Erwerbszurechnung kraft Status im römischen Recht

1. Der römische Hausverband

2. Zurechnung bei Erwerbsgeschäften von Gewaltunterworfenen

IV. Erwerbszurechnung im heutigen Privatrecht

1. Der Besitzherr und sein Besitzdiener

2. „Verdecktes Geschäft für den, den es angeht“

3. Ein Lösungsvorschlag jenseits des Stellvertretungsrechts

V. Erwerbszurechnung bei Softwareagenten

1. Übertragbarkeit eines Zurechnungsprinzips?

2. Notwendige Folgefragen

VI. Ergebnis

 


Leseprobe:

 

"I. Einleitung
1

Unser bisheriges Privatrechtsverständnis basiert auf dem Gedanken, dass ausschließlich der Begriff des Menschen mit dem Begriff der Rechtsperson zusammenfallen kann auf Grund des moralisch-hermeneutischen Verständnisses des Menschen von Regeln und der Fähigkeit, sich diese im Wege der Selbstgesetzgebung selbst aufzuerlegen. 1 Diese Fähigkeit findet sich in dem das Privatrecht tragenden und in den Verfassungsrang erhobenen, Rechtsprinzip der Privatautonomie – Selbstbestimmung durch rechtliche Selbstgestaltung – wieder. 2 Ob der Adressatenkreis dieser rechtlich gewährten Handlungsfreiheit über den geschäftsfähigen Menschen hinaus auch auf Softwareagenten ausgeweitet werden sollte, ist seit 2006 immer wieder Diskussionsgegenstand der deutschsprachigen Privatrechtswissenschaft. 3 Grund hierfür ist die Behauptung, dass das Verhalten von Softwareagenten – insbesondere im Rahmen von Vertragsschlüssen und den entsprechenden Haftungsfragen – im Rechtsverkehr nicht adäquat erfassbar wäre. Im Kern geht es um Zurechnungsfragen. Diese sind in praktischer Hinsicht nur dann von Relevanz, wenn es sich um ein pathologisches Rechtsgeschäft handelt und eben jener Mangel aus der Sphäre des Verwenders eines solchen Softwareagenten stammt. Ungeachtet rechtsphilosophischer Bedenken hinsichtlich der Gefahren einer Verwässerung des Personenbegriffs durch eine Anthropomorphisierung Softwareagenten auf Basis eines funktionalistischen Verständnisses von Handlungsfähigkeit, 4 ist es das Anliegen dieses Beitrags, unter Heranziehung des römischen Rechts als Rechtserkenntnisquelle einen neuen – oftmals zu voreilig verworfenen 5 – Zurechnungsansatz für das „rechtsgeschäftliche Verhalten“ von Softwareagenten zu entwickeln und vorzustellen. Das Bedürfnis, unter Einsatz Dritter am Rechtsverkehr teilzunehmen, das heute vornehmlich über die Regeln der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) gelöst wird, war auch im römischen Recht eine rechtliche sowie auch gesellschaftliche Notwendigkeit. Dieses kannte weder während der altrömischen noch klassischen Zeit eine der Stellvertretung vergleichbare Rechtsfigur. Doch auch hier wurde eine Erwerbszurechnung auf divergierender Grundlage erzielt. Dass eine Lösung des modernen Softwareagentenerklärungsproblems nicht über die §§ 164 ff. BGB – auch nicht in entsprechender Anwendung – möglich ist (II.), bildet die Grundlage für das Bedürfnis eines Vergleichs des heutigen Privatrechts und des römischen Rechts, um die Strukturen eines Zurechnungsprinzips jenseits des Stellvertretungsrechts herauszuarbeiten und auf die Möglichkeit einer Übertragung auf das Verhalten von Softwareagenten hin zu überprüfen.

 

II. Bisherige Lösungsansätze und ihre Schwächen
2

Wie eine Zurechnung digitaler Agentenerklärungen an ihren Verwender möglich sein soll, ist im Privatrecht höchst umstritten, doch bislang kann kein Ansatz vollständig überzeugen. 6 Im Folgenden gilt es jene Zurechnungsansätze zu dekonstruieren. 7 Ausgangspunkt aller vorgeschlagenen Lösungsansätze ist stets der fehlende Personenstatus eines Softwareagenten, mithin die fehlende Rechts- und Geschäftsfähigkeit. 8 Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf solche Softwareagenten, die durch algorithmenbasierte Datenanalyse mittels eines künstlichen neuronalen Netzwerks für ihren Verwender, der sie mit grundlegenden Eingabewerten speist, Erklärungen im Rechtsverkehr abgeben. 9 Diese Agenten zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Erklärungen im Weiteren grundsätzlich unabhängig von menschlicher Eingabe ausführen und flexibel auf Umweltreize reagieren können. Sie unterscheiden sich von den herkömmlichen Computeragenten insoweit, als dass Letztgenannte anhand eines Konditionalprogramms, Erklärungen für ihren Verwender abgeben (Wenn: [Sachverhalt] X → Dann: [Folge] Y). Man stelle sich einen Kühlschrank vor, der durch seine Gewichtssensoren wahrnimmt, dass der Apfelsaftbestand sich dem Ende neigt und daraufhin eine neue Packung im Onlineshop des nächstgelegenen Supermarkts bestellt (Wenn: [Sachverhalt] Apfelsaft fast leer → Dann: [Folge] Neuen Apfelsaft bestellen). Die Erklärungen des Kühlschranks erfolgen also ohne unmittelbares Zutun des Verwenders, jedoch (und ausschließlich) anhand der zuvor programmierten Parameter. Für Computeragenten wurde die „Lehre der Computererklärung“ entwickelt. Nach dieser lassen sich konditionalprogrammierte Erklärungen dem Verwender nach allgemeinen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) über einen generellen Rechtsbindungs- und Handlungswillen als gestreckte eigene Willenserklärung zurechnen. 10 Softwareagenten arbeiten hingegen nach einem Finalprogramm. 11 Bleiben wir bei dem Kühlschrankbeispiel. Ein finalprogrammierter Kühlschrank würde jede Woche selbstständig einen Speiseplan für den Verwender entwerfen und daran orientiert die Einkäufe erledigen, unabhängig von menschlicher Eingabe. 12

 

1. Keine Fortgeltung der Lehre der Computererklärung
3

Jene, sich von konditionalprogrammierten Computeragenten abhebende, Selbstlernfähigkeit und Selbstständigkeit eines Softwareagenten lassen eine Zurechnung über die …"

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.09.2023 11:15

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