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Mit AGB gegen Hass im Netz: Kann man Online-Plattformen zwingen, ihre Community Standards durchzusetzen? (Holznagel, CR 2023, 539)

Werden über Online-Plattformen rechtswidrige Inhalte verbreitet, kann der Verletzte vom Betreiber grundsätzlich Löschung und künftige Verhinderung ähnlicher Inhalte verlangen. Grundlage hierfür sind gesetzliche Ansprüche. Ungeklärt ist, ob sich „Löschansprüche“ auch auf vertraglicher Grundlage ergeben können. Konkret: Ob Plattformen in ihren Community Standards ein Einschreiten „versprechen“ und daraus klagbare Rechte folgen. Ein solcher Ansatz wäre disruptiv:

Nutzer könnten theoretisch auch dann klagen, wenn keine Verletzung absoluter Rechte vorliegt, ggfs. z.B. bei einer Holocaustleugnung. Zudem könnten sie wohl auch Maßnahmen jenseits der Entfernung von Inhalten einklagen, bspw. die Suspendierung von White Supremacy Groups – wenn diese nach den Community Standards untersagt sind. Der nachfolgende Beitrag geht den genannten Fragen u.a. am Beispiel der Facebook- sowie Twitter-AGB nach. Die Darstellung untersucht die geltende Rechtslage (I.-III.). Es folgt ein Ausblick auf den bald voll geltenden Digital Services Act (DSA) (IV.) und auf anhängige Gerichtsverfahren (V.).

Überblick zum Status Quo und Ausblick auf den DSA

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Status Quo – „Nur“ außervertragliche Ansprüche gegen die Plattform

II. Community Standards als Befugnis der Plattformen

III. Vertraglicher Anspruch auf Durchsetzung der Community Standards?

1. Vorteile vertraglicher „Löschansprüche“

2. Denkbare Anspruchsgrundlagen

3. Verkehrsanschauung und Interessenlage

4. AGB und Erklärungen der Plattformen

a) Schutzerwartung stärkende Klauseln (Beispiel Facebook)

b) Schutzerwartung abschwächende Klauseln (Beispiel Twitter)

c) Wirksame Beschränkung?

5. Ergebnis und Beispiele

IV. Pflicht zur AGB-Durchsetzung unter dem Digital Services Act (DSA)?

1. Vorgaben zu AGB, Art. 14 DSA

2. Entscheidung über Meldungen, Art. 16 Abs. 6 Satz 1 DSA

3. Entscheidung nach interner Beschwerde, Art. 20 Abs. 4 Satz 2 DSA

4. Durchsetzung

a) Behördliche Durchsetzung

b) „Entschädigung“ nach Art. 54 DSA

V. Ausblick: Laufende Gerichtsverfahren

 


Leseprobe:

 

"I. Status Quo – „Nur“ außervertragliche Ansprüche gegen die Plattform
1

Durch den BGH ist schon lange geklärt, dass Online-Plattformen nach hinreichend konkretem Hinweis 1 auf eine erfolgte Rechtsverletzung zur Abwendung einer Haftung den konkreten Inhalt sperren und im Rahmen des Zumutbaren zukunftsgerichtet auch gleichartige Verletzungen verhindern müssen 2 . Diese v.a. anhand von Immaterialgüterrechtsverletzungen entwickelte Rechtsprechung ist auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen übertragbar 3 und grundsätzlich auch bereits durch den EuGH abgesichert 4 . Die entsprechenden Obliegenheiten ergeben sich auf Grundlage gesetzlicher Unterlassungsansprüche (z.B. §§ 1004 iVm. 823 Abs. 1 BGB, § 97 Abs. 1 UrhG) und auch – wenngleich hier Einzelheiten noch im Fluss sind – aufgrund einer möglichen Haftung der Plattformen als Täter oder Teilnehmer 5 . Mit den gesetzlichen Ansprüchen gehen aber – in der Natur der Sache liegende – Einschränkungen einher:

  • (nur) absolut geschützte Rechte: Gesetzliche Ansprüche setzen regelmäßig voraus, dass absolut geschützte Rechte verletzt werden (zB Allgemeines Persönlichkeitsrecht).

  • (begrenzte) Aktivlegitimation: Anspruchsberechtigt sind nur Inhaber der verletzten absoluten Rechte, woraus sich Einschränkungen ergeben: Z.B. durch Holocaustleugnungen werden regelmäßig keine absoluten Rechte verletzt, d.h. es gibt hier keine Anspruchsinhaber.

  • (wohl nur) Unterlassen konkreter Inhalte: Gesetzliche Ansprüche zur Vornahme von Maßnahmen sind auf Beseitigung und Unterlassung gerichtet 6 . Rechtsfolge ist grundsätzlich nur das Unterlassen der (Mitwirkung an der) konkreten Verletzung. Nach hergebrachtem Verständnis schuldet die Online-Plattformen nur die Verhinderung konkreter Inhalte, nicht aber z.B. Suspendierung des Accounts oder Schließung einer ganzen Gruppe usw. (wenngleich eine ausdehnende Rechtsentwicklung nicht völlig ausgeschlossen erscheint 7 ).

 

II. Community Standards als Befugnis der Plattformen
2

Geklärt ist auch, dass die Plattformen mit den Regelungen zur Untersagung bestimmter Verhaltensweisen Verbote zu Lasten der Nutzer definieren können (hier einheitlich sog. Community Standards); zugleich können sie sich ausdrückliche Befugnisse zum Einschreiten bei Verstößen absichern (hier sog. Löschklauseln). Grenzen ergeben sich aus dem anwendbaren AGB-Recht (ggfs. unter Berücksichtigung einer mittelbaren Grundrechtsbindung) 8 . Die zu Lasten der Uploader-Nutzer gehende Rechtswirkung von Community Standards und Löschklauseln ist naheliegend und ergibt sich regelmäßig auch deutlich aus den Nutzungsbedingungen der Plattformen 9 .

 

III. Vertraglicher Anspruch auf Durchsetzung der Community Standards?
3

Vor dem Hintergrund der o.g. Einschränkungen gesetzlicher Unterlassungsansprüche stellt sich die – bisher selten erörterte 10 – Frage, ob aus der vertraglichen Beziehung zwischen Plattform und Nutzer (Plattformnutzungsvertrag) weitergehende Ansprüche..."

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.08.2023 11:01

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