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Sperrwirkung der DSGVO: Kein Rückgriff auf § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) für Unterlassungsansprüche (Koetsier/Kremer, CR 2023, 359)

Der Beitrag untersucht die Anwendbarkeit von § 1004 Abs. 1 BGB (analog) als Anspruchsgrundlage für Unterlassungsansprüche einer von einer Verarbeitung personenbezogener Daten betroffenen Person gegenüber einem Verantwortlichen.

Das Unterlassungsbegehren betroffener Personen im Lichte der DSGVO

Nach einer kurzen Einleitung (I.) wird im ersten Schritt der Frage nachgegangen, ob § 1004 Abs. 1 BGB (analog) überhaupt geeignet ist, individuelle Unterlassungsansprüche aufgrund der DSGVO durchzusetzen (II.). Sodann werden die Argumentationslinien in Rechtsprechung und Literatur gegen eine Sperrwirkung der DSGVO für Unterlassungsansprüche aus nationalem Recht analysiert und mit dem Ansatz des OLG Frankfurt, Urt. v. 30.3.2023 – 16 U 22/22, CR 2023, 308 ff., kontrastiert (III.).

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Einleitung

II. Geeignetheit von § 1004 Abs. 1 BGB (analog) für die Rechtsfolge der Unterlassung einer Datenverarbeitung

1. Ausgangsnorm § 1004 Abs. 1 BGB: Das Sachenrecht und seine Analogie

2. Tatbestandsebene: Unterlassung einer Datenverarbeitung

a) Unterlassung einer derzeit stattfindenden Verarbeitung nach der DSGVO

b) Unterlassung der zukünftigen Verarbeitung (vorbeugender Unterlassungsanspruch) gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB

3. Rechtsprechung des BGH zum „Unterlassungsanspruch“ nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO

4. Weitere Anspruchsgrundlagen auf Unterlassung aus der DSGVO?

5. Zwischenfazit

III. Sperrwirkung der DSGVO

1. Begründungslinie 1: Ignorieren einer Sperrwirkung der DSGVO

2. Begründungslinie 2: Keine Sperrwirkung wegen Notwendigkeit eines lückenlosen Individualrechtsschutzes

3. Begründungslinie 3: Wortlaut von Art. 79 Abs. 1 DSGVO beinhalte auch Rechtsakte der Mitgliedstaaten

4. Ansatz des OLG Frankfurt zur Sperrwirkung der DSGVO

IV. Zusammenfassung

1. Löschung gem. Art. 17 Abs. 1 DSGVO = Beseitigung

2. DSGVO ohne Unterlassungsanspruch

3. Art. 79 Abs. 1 DSGVO Öffnungsklausel für Unterlassungsansprüche nach nationalem Recht

4. Unterlassungsansprüche nur für Aufsichtsbehörde

5. Keine vorbeugende Popularklagen durch Individuen

 


Leseprobe:
 

"I. Einleitung

Am 22.5.2018 herrschte innerhalb der damals regierenden Koalition aus CDU/CSU und der SPD große Unsicherheit über die Frage, ob die deutsche Wirtschaft vor dem ersten Hahnenschrei am Morgen des Wirksamwerdens der DSVGO dem Untergang geweiht ist. 1 Die Schreckensszenarien traten nicht ein. Erst Mitte 2022 versuchten einige bemitleidenswerte Individuen und „Datenschutzgemeinschaften" mit „Abmahnungen" wegen der Verarbeitung der IP-Adresse als personenbezogenem Datum i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO 2 zum Download einer Schriftart („Google Fonts"), der deutschen Wirtschaft zum Untergang und der eigenen Brieftasche zum Aufstieg zu verhelfen. Schützenhilfe hierzu hatte das LG München I geleistet, welches einem Kläger zeitlich kurz vor Beginn dieser Abmahnwelle sowohl einen Schadensersatzanspruch (gestützt auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO) (als auch einen Unterlassungsanspruch (gestützt auf § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB (analog)) zusprach.

Die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs im Geltungsbereich der DSGVO sollte beim geneigten Leser (und Spruchkörper) eigentlich ein Störgefühl hervorrufen. Denn wie kann es sein, dass derselbe Tatbestand einerseits eine Rechtsfolge aus dem Unionsrecht und gleichzeitig eine Rechtsfolge aus dem nationalen Recht auslöst? Müsste nicht auch der Unterlassungsanspruch direkt aus der DSGVO hervorgehen? Diese Frage ist umstritten. Erst kürzlich lehnte das OLG Frankfurt einen Unterlassungsanspruch der betroffenen Person außerhalb der DSGVO ab. 4 Das Urteil wird zum Anlass genommen, zwei zentrale Fragen zu beleuchten:

  • Ist § 1004 Abs. 1 BGB (analog) überhaupt geeignet, um Unterlassungsansprüche aufgrund der DSGVO durchzusetzen? (dazu II.)
     
  • Sperrt die DSGVO Unterlassungsansprüche aus nationalem Recht? (dazu III.)

 

II. Geeignetheit von § 1004 Abs. 1 BGB (analog) für die Rechtsfolge der Unterlassung einer Datenverarbeitung

Weder bei den Betroffenenrechten noch an anderer Stelle normiert die DSGVO ausdrücklich einen Unterlassungsanspruch für betroffene Personen. 5 Als erster Reflex erscheint der Rückgriff auf § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) daher plausibel und notwendig. Es stellt sich jedoch die Frage, ob …"

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.06.2023 17:43

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