BGH v. 12.1.2023 - I ZR 223/19 u.a.

EuGH-Vorlage: Vertrieb von Arzneimitteln über eine Internet-Verkaufsplattform

Der BGH hat dem EuGH Fragen zum Vertrieb von Arzneimitteln über eine Internet-Verkaufsplattform zur Vorabentscheidung vorgelegt. Konkret möchte der BGH wissen, ob ein Apotheker, der auf einer Internet-Verkaufsplattform Arzneimittel vertreibt, gegen die für Gesundheitsdaten geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen verstößt, und ob ein solcher Verstoß von einem anderen Apotheker mit einer wettbewerbsrechtlichen Klage vor den Zivilgerichten verfolgt werden kann.

Der Sachverhalt:

+++ I ZR 222/19 +++

Die Parteien sind Apotheker. Der Beklagte vertreibt seine Produkte über die Plattform des Anbieters Amazon. Der Kläger rügt, der Vertrieb apothekenpflichtiger Arzneimittel über die Plattform verstoße einerseits gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG), des Heilmittelwerbegesetzes (HWG), der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und der Berufsordnung für Apotheker sowie andererseits gegen datenschutzrechtliche Regelungen.

Das LG wies die Klage ab. Verstöße gegen Vorschriften des AMG, des HWG, der ApBetrO und der Berufsordnung für Apotheker lägen nicht vor. Im Hinblick auf Verstöße gegen datenschutzrechtliche Regelungen der DSGVO sei der Kläger nicht klagebefugt. Die DSGVO enthalte ein abschließendes Sanktionssystem, das den Wettbewerber nicht einschließe.

Das OLG gab der Klage teilweise statt. Die Regelungen der DSGVO seien in der konkreten Fallkonstellation als Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG anzusehen. Der Beklagte verarbeite im Rahmen der Bestellungen Gesundheitsdaten seiner Kunden i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Hierfür fehle die im Streitfall erforderliche Einwilligung. Ein Verstoß gegen die weiteren vom Kläger angeführten Vorschriften scheide jedoch aus. Die Revision zum BGh wurde zugelassen. Beide Parteien haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung des OLG eingelegt.

+++ I ZR 223/19 +++
Die Parteien sind Apotheker. Der Beklagte vertreibt seine Produkte über die Plattform des Anbieters Amazon. Der Kläger rügt, dass der Beklagte für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogenen Daten im Rahmen des Bestellprozesses keine Einwilligung eingeholt hat. Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei nicht klagebefugt. Es liege auch keine Verarbeitung von Gesundheitsdaten vor. Zudem sei die Datenverarbeitung rechtmäßig.

Das LG gab der Klage statt. Das Datenschutzrecht sei als Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG anzusehen, weil es auch dem Schutz der Interessen der Mitbewerber diene. Die Veräußerung apothekenpflichtiger Produkte über die Plattform Amazon Marketplace verletze datenschutzrechtliche und berufsrechtliche Vorschriften.

Das OLG wies die Berufung des Beklagten zurück. Die Regelungen der DSGVO seien in der konkreten Fallkonstellation als Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG anzusehen. Der Beklagte verarbeite im Rahmen der Bestellungen Gesundheitsdaten seiner Kunden i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Hierfür fehle die im Streitfall erforderliche Einwilligung. Der Beklagte legte die vom OLG zugelassene Revision ein.

+++ I ZR 222/19 und I ZR 223/19 +++
Der BGH setzte beide Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH über sein Vorabentscheidungsersuchen vom 28.5.2020 (I ZR 186/17) aus. Mit diesem Ersuchen hatte der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die in Kapitel VIII und insbesondere in Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 84 Abs. 1 DSGVO getroffenen Bestimmungen nationalen Regelungen entgegenstehen, die einerseits Mitbewerbern und andererseits nach dem nationalen Recht berechtigten Verbänden, Einrichtungen und Kammern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die DSGVO unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.

Der EuGH beantwortete mit Urteil vom 28.4.2020 (C-319/20) unter Hinweis darauf, dass das Ausgangsverfahren nicht die Frage der Klagebefugnis eines Mitbewerbers aufwerfe, nur den Teil der ihm vom BGH vorgelegten Frage, der sich auf die Klagebefugnis der nach dem nationalen Recht berechtigten Verbände, Einrichtungen und Kammern i.S.v. Art. 80 Abs. 2 DSGVO bezieht.

Die Gründe:
Der BGH hat vorliegend das Verfahren I ZR 223/19 ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Regelungen in Kapitel VIII der DSGVO nationalen Regelungen entgegenstehen, die - neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung der Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen - Mitbewerbern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die DSGVO gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen. Außerdem hat der BGH den EuGH gefragt, ob die Daten, die Kunden eines Apothekers, der auf einer Internet-Verkaufsplattform als Verkäufer auftritt, bei der Bestellung von zwar apothekenpflichtigen, nicht aber verschreibungspflichtigen Medikamenten auf der Verkaufsplattform eingeben (Name des Kunden, Lieferadresse und die für die Individualisierung des bestellten apothekenpflichtigen Medikaments notwendigen Informationen), Gesundheitsdaten i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO sowie Daten über Gesundheit i.S.v. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Richtlinie, DSRL) sind.

Das Verfahren I ZR 222/19 hat der BGH bis zur Entscheidung über sein Vorabentscheidungsersuchen in der Sache I ZR 223/19 ausgesetzt.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
EuGH: Datenschutzrechtliche Klagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden
EuGH vom 28.04.2022 - C-319/20
CR 2022, 434

Rechtsprechung:
BGH: Verbandsklagebefugnis bei DSGVO-Verstößen – App-Zentrum
BGH vom 28.05.2020 - I ZR 186/17
CR 2020, 542

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.01.2023 13:30
Quelle: BGH PM Nr. 6 vom 12.1.2023

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