OLG Koblenz v. 8.12.2022 - 8 W 416/22

Kein Ordnungsgeld wegen Nichtteilnahme an gerichtlicher Videokonferenz wegen Einwahlfehlers

Die Festsetzung eines Ordnungsmittels entfällt, wenn nachträglich glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Ein Einwahlfehler beruht darauf, dass es sich bei den Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz um eine Technik handelt, die erst seit der Corona-Krise regelmäßig genutzt wird und die – senatsbekannt – bisher nicht immer reibungslos funktioniert, ohne dass einem IT-Laien sogleich klar wäre, wo der Fehler liegt.

Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin war mit richterlicher Verfügung vom 11.3.2022 zu einem auf den 14.9.2022 bestimmten Termin zur Beweisaufnahme förmlich (mit Postzustellungsurkunde) als Zeugin geladen worden. Die Ladung ging ihr unter ihrer dienstlichen Anschrift am 16.4.2022 zu. Mit E-Mail vom 9.5.2022 beantragte die Beschwerdeführerin eine Zeugenvernehmung im Wege der Videokonferenz, da sie am Tag der Beweisaufnahme einen dienstlichen Termin in Berlin wahrnehmen müsse. Der zuständige Einzelrichter gestattete ihr an der mündlichen Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a Abs. 2 ZPO teilzunehmen. Am 18.7.2022 wurden der Beschwerdeführerin die Einwahldaten für die Videokonferenz, die mit Hilfe des Programms Cisco Webex durchgeführt werden sollte, mitgeteilt.

Die Beschwerdeführerin nahm am 14.9.2022 nicht an der Videokonferenz teil. Der Einzelrichter hat daraufhin gegen sie ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 €, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft festgesetzt und ihr die durch das Fernbleiben vom Termin verursachten Kosten auferlegt. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde eingelegt. Sie trug vor, sie habe sich am 14.9.2022 um 08:45 Uhr unter dem angegebenen Link eingewählt und sei bis 16:15 Uhr in der Videokonferenz gewesen bis auf eine kurze Unterbrechung von 12:17 Uhr bis 13:00 Uhr, die sie über den Chat angekündigt habe nebst Hinterlassung ihrer Handynummer. Nachdem sie in der Konferenz die einzige Teilnehmerin gewesen sei, habe sie vergeblich jeweils um 09:01 Uhr, 09:10 und 12:09 Uhr telefonisch Kontakt zum LG aufzunehmen. Eine Kontaktaufnahme seitens des LG, um ggf. bestehende technische Probleme zu klären, sei nicht erfolgt, obwohl die Kontaktdaten der Beschwerdeführerin bei Gericht bekannt gewesen seien.

Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Das OLG hat den Beschluss des Einzelrichters aufgehoben.

Die Gründe:
Zwar hatte das LG gem. § 380 Abs. 1 ZPO zunächst zu Recht gegen die ordnungsgemäß geladene und im Termin nicht erschienene Beschwerdeführerin von Amts wegen ein Ordnungsgeld verhängt und ihr die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt. Aufgrund der erst in der Beschwerdeinstanz mitgeteilten Einzelumstände hielt der Senat die Voraussetzungen, unter denen ein Ordnungsmittel gem. § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO aufzuheben war, für gegeben.

Danach entfällt die Festsetzung eines Ordnungsmittels, wenn nachträglich glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Was als Entschuldigung gilt, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen und unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Für die genügende Entschuldigung müssen Umstände vorliegen, die das Ausbleiben nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen. Hierbei ist auch der Zweck der Vorschrift des § 380 ZPO, die Achtung und Durchsetzbarkeit der staatsbürgerlichen Pflichten des Zeugen sicherzustellen, miteinzubeziehen.

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin nachträglich Umstände vorgetragen, die bei Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls unter Einbeziehung des Regelungszwecks des § 380 ZPO ihr Ausbleiben im Termin am 14.9.2022 nicht als pflichtwidrig erscheinen ließen. Zwar hat die Beschwerdeführerin von ihrer IT-Stelle erfahren, dass sie sich zunächst in ein dienstliches Videokonferenzsystem ihrer Arbeitgeberin hätte einwählen müssen und erst von dort aus an der öffentlichen Videoverhandlung des Gerichts teilnehmen können. Damit stand fest – was auch die Beschwerdeführerin einräumte –, dass ihr Nichterscheinen auf ihrem Fehler im Umgang mit den IT-Systemen beruhte. Diesen Fehler bewertete der Senat nach Abwägung aller Umstände aber nicht als so gravierend, dass er ein Ordnungsgeld rechtfertigen würde. Der Einwahlfehler beruhte darauf, dass es sich bei den Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz um eine Technik handelt, die erst seit der Corona-Krise regelmäßig genutzt wird und die – senatsbekannt – bisher nicht immer reibungslos funktioniert, ohne dass einem IT-Laien sogleich klar wäre, wo der Fehler liegt.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Reinhard Greger
Möglichkeiten und Grenzen der Videokommunikation im zivil-, familien- und arbeitsgerichtlichen Verfahren
MDR 2020, 957

Aufsatz
Reto Mantz / Jan Spoenle
Corona-Pandemie: Die Verhandlung per Videokonferenz nach § 128a ZPO als Alternative zur Präsenzverhandlung
MDR 2020, 637

Aktionsmodul Zivilrecht
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.01.2023 16:38
Quelle: Landesrecht Rheinland-Pfalz

zurück zur vorherigen Seite