OLG Karlsruhe v. 14.9.2022 - 6 U 212/22

Zur Beurteilung der FRAND-Frage im Rahmen eines Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung

Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und so auch von der Pflicht, alle offensichtlichen Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher nur in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRAND-widrig ist, dass es sich bei objektiver Wertung als nicht ernst gemeint und damit als Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen.

Der Sachverhalt:
Die Beklagten begehren die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einer auf Patentverletzung gestützten Verurteilung zu Unterlassung, Vernichtung und Rückruf sowie Auskunft und Rechnungslegung, die gegen im Einzelnen bestimmte Sicherheitsleistungen für vorläufig vollstreckbar erklärt und mit der Berufung der Beklagten angefochten wurde.

Die Klage war auf den in Kraft stehenden deutschen Teil des Europäischen Patents EP (nachfolgend: Klagepatent) gestützt. Ein das Klagepatent und die weiteren Patente des Portfolios des klägerischen K-Konzerns betreffender Kreuzlizenzvertrag mit den Gesellschaften des B-Konzerns der Beklagten lief aus. Die Klage war darauf gegründet, dass die Beklagte zu 2) über diesen Tag hinaus mit Unterstützung der Beklagten zu 1) im Konzern hergestellte Smartphones der Marke B., die mit dem LTE- (4G) und NR- (5G) Mobilfunkstandard kompatibel sind (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), in Deutschland privaten und gewerblichen Endkunden anbietet, vertreibt und aus dem Ausland einführt.

Das LG hat zur Begründung der Verurteilung sinngemäß ausgeführt, dass die angegriffenen Ausführungsformen die Lehre des Patentanspruchs 1 des Klagepatents verwirklichten. Den hiernach im zugesprochenen Umfang gerechtfertigten Verletzungsansprüchen könnten die Beklagten keine kartellrechtlichen Einwendungen entgegenhalten, weil B. sich nach dem Hinweis von K. auf die (bevorstehende) Patentverletzung nicht (ernst gemeint) lizenzwillig gezeigt habe. Eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Entscheidung über die beim Bundespatentgericht anhängige Nichtigkeitsklage betreffend den deutschen Teil des Klagepatents sei nicht geboten.

Das OLG hat den Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LG einstweilen einzustellen, zurückgewiesen.

Die Gründe:
Der Senat übt sein Ermessen dahin aus, im Streitfall die Zwangsvollstreckung aus dem mit der Berufung angegriffenen Urteil nicht (wenigstens) gegen Sicherheitsleistung vorläufig einzustellen. Ein greifbare Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, dass schon die regelmäßig mit jeder solchen Zwangsvollstreckung mindestens einhergehenden Nachteile der Beklagten abgewendet werden müssten, war bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht festzustellen.

Das LG hat die rechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung der Lizenzwilligkeit des Verletzers, wie sie in der Rechtsprechung des Senats formuliert worden sind, dargestellt und dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt. Es hat ferner ausführlich und nachvollziehbar die aus seiner Sicht tragende Beurteilung dargelegt, wonach B. nicht (in der gebotenen Weise) lizenzwillig sei. Dabei hat es auch berücksichtigt, dass Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung sich dabei wechselseitig bedingen.

Ferner hat das LG in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats darauf abgestellt, dass es den Lizenzsucher nicht vollständig von seiner Obliegenheit, an dem Verhandlungsprozess mitzuwirken, entbindet, wenn ein Lizenzangebot des Patentinhabers offensichtlich nicht FRAND-Bedingungen entspricht und letzteres zu Gunsten der Beklagten unterstellt. Dem Einwand, das Landgericht habe ohne Beachtung des auf Seiten der Klägerin an den Tag gelegten Verhaltens und dessen Bedeutung für die an den Verletzer zu stellenden Anforderungen entschieden, ließ sich zumindest bei summarischer Prüfung nicht folgen.

Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und so auch von der Pflicht, alle offensichtlichen Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher nur in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRAND-widrig ist, dass es sich bei objektiver Wertung als nicht ernst gemeint und damit als Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Dafür ist aber noch nicht in allen Fällen hinreichend, dass bereits eine einzelne Klausel eines Angebots offensichtlich FRAND-widrig ist, selbst wenn hierdurch das gesamte Angebot nicht FRAND erscheinen mag, sondern es kommt auf eine Gesamtwürdigung aller vorliegenden Umstände an. Ob eine abschließende Betrachtung des beiderseitigen, insbesondere auch des klägerischen Verhaltens im Ergebnis zu einer anderen Beurteilung der Lizenzwilligkeit der Beklagten oder wenigstens der Missbräuchlichkeit der Anspruchsdurchsetzung führen wird, bleibt der Entscheidung über die Berufung vorbehalten.

Ebenso wenig ist ein evidenter Fehler der angefochtenen Entscheidung erkennbar, soweit der Einstellungsantrag rügte, das LG lasse unberücksichtigt, dass die K. und B. mit Blick auf die vorliegend beabsichtige Kreuzlizenzierung jeweils sowohl in der Rolle des SEP-Inhabers als auch in der des Lizenzsuchers verhandelten und K. die Anforderungen an einen Patentbenutzer nicht erfülle. Es erscheint ober- und höchstrichterlich derzeit ungeklärt, ob und ggf. welche Bedeutung diesem Umstand der ggf. erforderlichen oder angestrebten Kreuzlizensierung für die Frage zukommt, ob der eine Verhandlungspartner im Sinne der jüngeren BGH-Rechtsprechung bereit ist, eine Lizenz an dem Klagepatent zu FRAND-Bedingungen zu nehmen. Hier muss diese wohl grundsätzliche Entscheidung dem ggf. zu fällenden Berufungsurteil vorbehalten bleiben.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.11.2022 16:31
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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