OLG Stuttgart v. 31.8.2022 - 4 U 17/22

Rechtsanwalt kann Löschung von Ein-Sterne-Bewertung eines Prozessgegners verlangen

Die Ein-Sterne-Bewertung nebst Kommentar „nicht empfehlenswert und „kritisch: Professionalität“ zur Leistung eines Rechtsanwalts auf einer Internetplattform stellt ein Werturteil dar, das nach dem objektiven Sinngehalt einen Tatsachenkern aufweist, wonach die Bewertung auf Erfahrungen aus einem mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt beruht.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Rechtsanwalt und betreibt eine Kanzlei. Bei „Google“ ist die klägerische Kanzlei gelistet und wird über „Google My Business“ beworben. Der Beklagte hatte unter seinem Klarnamen eine „Ein-Sterne-Bewertung“ mit den Bemerkungen „nicht empfehlenswert und „kritisch: Professionalität“ über die klägerische Kanzlei bei „Google“ abgegeben. Der Beklagte war nicht Mandant des Klägers, sondern war in einem Prozess vor dem LG, in dem der Kläger die Klägerseite vertreten hatte, Beklagter. Zugleich verlangte der Beklagte im Zusammenhang mit dem vorgenannten Klageverfahren vom Kläger Auskunft über die Speicherung von Daten, die ihm von dem Prozessgegner als Mandanten zur Verfügung gestellt worden waren. Der Kläger hat den Beklagten vorgerichtlich erfolglos zur Löschung der Rezension und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert.

Der Kläger war der Ansicht, dass ihm ein Unterlassungs- und Löschungsanspruch zustehe, weil die beanstandete Rezension in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreife. Sie sei geeignet, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Wegen des Nichtbestehens von Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien sei im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung das Interesse des Klägers am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner (Berufs-) Ehre höher zu gewichten als das Interesse des Beklagten an der Kundgabe seiner die Tätigkeit des Klägers betreffenden Wertschätzung.

Das LG hat der Unterlassungsklage weitestgehend stattgegeben. Der Kläger könne gem. §§ 1004 Abs. 1 (analog), 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG die Löschung der streitgegenständlichen Rezension verlangen. Der Beklagte sah darin einen Verstoß gegen Art. 5 GG. Seine Berufung vor dem OLG blieb allerdings erfolglos.

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 12 GG iVm. Art. 19 Abs. 3 GG auf Löschung der streitgegenständlichen Erklärung wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG wegen eines Eingriffs in den sozialen Geltungsanspruch des Klägers als Wirtschaftsunternehmen zu.

Die gegenständliche, im Rahmen der Bewertung abgegebene Erklärung „nicht empfehlenswert und „kritisch: Professionalität“, wie auch die abgegebene „Ein-Sterne-Bewertung“ stellen sich als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und in den sozialen Geltungsanspruch des Klägers dar. Dieser Eingriff des Klägers ist rechtswidrig. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Abwägung mit den im Einzelfall konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben. Gleiches gilt für das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Rechts ist nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.

Im Ausgangspunkt bedarf die Einordnung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung einer Sinndeutung der gegenständlichen Äußerung. Infolgedessen handelt es sich bei der Ein-Sterne-Bewertung sowie bei den Angaben „nicht empfehlenswert“ und „kritisch: Professionalität“ bei isolierter Betrachtung um reine Werturteile. Der Beklagte bringt damit für den Leser zum Ausdruck, dass es sich um eine subjektive Einschätzung zur Leistung des Klägers handelt, die durch das eigene Dafürhalten geprägt und nicht dem Beweis zugänglich ist. Nach dem Kontext der Äußerungen enthalten diese über ihren Wortlaut hinaus aus Sicht eines durchschnittlichen Lesers der Bewertung aber auch tatsächliche Elemente, da der Beklagte damit zugleich behauptet, dass er mit dem für die Bewertung der Kanzlei relevanten Leistungsangebot in Kontakt gekommen ist.

Damit ist nicht zwingend die Aussage verbunden, dass der Beklagte Mandant des Klägers gewesen ist. Es genügt vielmehr schon jeder leistungsbezogene bzw. mandatsbezogene geschäftliche Kontakt zwischen den potentiellen (Vertrags-) Parteien, etwa bei der mündlichen Vereinbarung eines ersten Beratungstermins oder bei einer schriftlichen Anfrage an die Kanzlei. Hierunter fällt jedoch nicht ein Kontakt des Bewertenden als Gegner eines Mandanten dieser Kanzlei. Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang gesammelt werden, stellen keinen leistungsbezogenen bzw. mandatsbezogenen geschäftlichen, sondern nur einen gelegentlichen sonstigen Kontakt dar.

Ein durchschnittlicher Leser, der typischerweise die Online-Bewertungen betrachtet, um sich im Vorfeld der Vertragsanbahnung zu informieren, geht davon aus, dass der Bewertung in diesem Sinne ein leistungs- bzw. mandatsbezogener geschäftlicher Kontakt zu Grunde liegt; zumal eine Bewertung, die auf einem sonstigen gelegentlichen Kontakt als Prozessgegner eines Mandanten der Kanzlei beruht, keine belastbare Aussagekraft für die vorzunehmende Bewertung der Leistung der Kanzlei besitzt und damit nicht zu der von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligten und gesellschaftlich erwünschten Funktion von Bewertungsfunktionen von Online-Plattformen iSd. Schaffung von Markttransparenz beitragen kann. Es ist allseits bekannt und gesellschaftlich anerkannt, dass der tätige Rechtsanwalt als Interessenvertreter des Mandanten fungiert. Die erfolgreiche Wahrnehmung der Interessen des eigenen Mandanten bedeutet oft nachteilige Konsequenzen für den Gegner des Mandanten.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.10.2022 10:04
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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