Aktuell in der CR

Der Einzelverkauf von Funktionen im IoT-Gerät (Magnus, CR 2022, 621)

Bei den Marketing-Schlagworten smartes Produkt oder Internet der Dinge denken viele an innovative Produkte, die miteinander vernetzt kommunizieren, über Sensoren Umwelteinflüsse verarbeiten und so autonom und künstlich intelligent völlig neue Aufgabenbereiche disruptiv erobern. Die wenigsten denken an Sitzheizungen. Gerade in diesem Bereich findet aber eine technische Innovation statt, die man als erstes echtes IoT-Geschäftsmodell bezeichnen könnte. Ein smartes Produkt im weiteren Sinn liegt bereits vor, wenn ein körperlicher Gegenstand (Sachsubstanz) von einer Steuerungssoftware gesteuert wird und der Hersteller auf diese Steuerungssoftware über das Internet fernzugreifen kann. Dies erlaubt die Übertragung eines Geschäftsmodells, welches bisher vor allem für digitale Produkte – insbesondere Computerprogramme, Spiele und Apps – etabliert ist: Den Einzelvertrieb von Funktionen.

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Der Einzelvertrieb von Funktionen als innovatives Geschäftsmodell

1. Wirtschaftliche Bewertung des Einzelverkaufs von Funktionen

2. Verbrauchererwartung

II. Der Verkauf einer Basisversion des smarten Produkts an den Verbraucher

1. Abgrenzung digitale Produkte und Waren mit digitalen Elementen

2. Zurückhalten von Funktionen als Abweichung von den objektiven Anforderungen

3. Absicherung des Geschäftsmodells durch negative Beschaffenheitsvereinbarungen

III. Der nachgelagerte Einzelvertrieb einer Funktion

1. Die Funktion als digitaler Inhalt

2. Die Funktion als hybrides Produkt

IV. Fazit

 


Leseprobe:
 

"Gewährleistungsrechtliche Bewertung eines kommenden Geschäftsmodells

Was beim digitalen Malprogramm ein virtueller Pinsel, was beim der Wanderapp ein zusätzliches Kartenpaket ist, kann bei „smarten“ Waschmaschine die Schleuderfunktion sein. Besonders weit ist der Einzelverkauf von Funktionen bei „smarten“ Autos: Schon jetzt lassen sich bei einigen Fahrzeugen zusätzliche Akkukapazität, Assistenzsysteme oder eben die Sitzheizung im Auto als Over-the-air-Update gegen Entgelt freischalten – lange nachdem das Fahrzeug schon beim Kunden ist. Während sich Verbraucher bei digitalen Inhalten an solche In-App-Käufe gewöhnt haben, besteht bei smarten Produkten – also Hybriden aus körperlichem Gegenstand und digitalem Inhalt – eine andere Verbrauchererwartung: Nämlich mit seinem Eigentum nach eigenem Ermessen verfahren zu können. Dieser Beitrag untersucht, wie diese Verbrauchererwartung mittelbar Einfluss auf den Verbrauchsgüterkauf über ein smartes Produkt ausübt und was das für den Vertrieb von smarten Produkten bedeutet. 

Dazu wird zunächst der Einzelvertrieb von Funktionen und seine wirtschaftliche Bedeutung anhand von Beispielen dargestellt und die Verbrauchererwartung in Bezug auf den Einzelvertrieb von Funktionen skizziert (I.). Auf dieser Grundlage wird analysiert, wie der Verkauf eines smarten Produkts an einen Verbraucher, bei dem Funktionen für den späteren Einzelverkauf vorenthalten werden, mängelrechtlich zu bewerten ist (II.). Dann wird der spätere Einzelverkauf von Funktionen an einen Verbraucher in den Blick genommen – insbesondere im Hinblick auf das anzuwendende Gewährleistungsrecht und die damit verbundene Risikoverteilung (III). Der Beitrag beschränkt sich dabei in beiden Konstellationen auf die dauerhafte Übertragung gegen Entgelt an einen Verbraucher – mietähnliche Geschäftsmodelle und Verträge zwischen Unternehmern bleiben überwiegend ausgeklammert.

 

I. Der Einzelvertrieb von Funktionen als innovatives Geschäftsmodell

1

Während bei klassischen Verbrauchsgütern der Verkauf an den Verbraucher häufig schon den Endpunkt der Vermarktung markiert, geht diese bei smarten Produkten an dieser Stelle erst richtig los: Die Verbindung zwischen Herstellerserver und smartem Produkt eröffnet dem Hersteller einen direkten Vertriebskanal zum Verbraucher und einen neuen nachgelagerten Markt für einzelne im Gerät angelegte Funktionen. Anfänge dieser Geschäftsmodelle sind schon jetzt erkennbar. Insbesondere im Automobilsektor: Einzelne Hersteller produzieren alle Fahrzeuge ab Werk mit allen Kameras und Sensoren, die für ein bestimmtes Fahrassistenzsystem benötigt werden – auch wenn der Besteller des konkreten Exemplars das System nicht hinzugebucht hat. Die Funktion „Fahrassistenzsystem“ wird dann softwareseitig nicht angesteuert, die eingebaute Kamera und sonstige Sensorik nicht benötigt. Entscheidet sich der Käufer später um, lässt sich die Funktion „Fahrassistenzsystem“ per Over-the-air-Update aktivieren. 1 Auch die deutsche Automobilindustrie entdeckt dieses Modell für sich: So hat z.B. ein Hersteller im gehobenen Segment eine Verkaufsplattform ins Internet gestellt, auf der Funktionen – wie z.B. ein Abstandhalter – einzeln vertrieben werden. Seit neuerem wird dort auch eine Sitzheizung angeboten. 2
 

Die Sitzheizung ist ein besonders anschauliches Beispiel für dieses neue Geschäftsmodell:
2

Die benötigte Hardware – also Heizstäbe im Autositz – ist schon im Fahrzeug verbaut. Softwareseitig stellt die Steuerung der Heizstäbe keine besondere Herausforderung dar, eine Verbindung zum Internet wird technisch nicht benötigt. Die Tatsache, dass das Fahrzeug als smartes Produkt mit den Servern des Herstellers verbunden ist, erlaubt diesem aber, der Steuerungssoftware eine Berechtigungsabfrage im Sinne eines DRM-Systems hinzuzufügen: Per Over-the-air-Update wird die Funktion „Sitzheizung“ gegen Entgelt freigeschaltet. Der Hersteller kombiniert dabei Abonnement-Modelle (17 € im Monat, ein Monat kostenloser Test) und die zeitlich unbegrenzte Freischaltung (385 €).

3

Denkt man dieses Modell zu Ende, könnten sich Autos ab Werk mittelfristig nur noch in der Lackfarbe unterscheiden. Das sog. Customizing wird allein auf Firmware-Ebene durch gezieltes Freischalten von Funktionen erreicht. Das Modell lässt sich nicht nur für Autos, sondern auch in anderen Branchen umsetzen: Warum nicht eine smarte Waschmaschine auf den Markt bringen, bei der der Nutzer Spezialprogramme gegen Entgelt über die dazugehörige App des Herstellers freischalten kann? 3
 

1. Wirtschaftliche Bewertung des Einzelverkaufs von Funktionen
4

Ein Vorteil dieses Geschäftsmodells für den Hersteller liegt auf der Hand: 4 Eine Produktreihe lässt sich gleichzeitig in unterschiedlichsten Preisregionen platzieren: Mit einem niedrigeren Grundpreis als üblich lassen sich Käuferschichten erreichen, denen ein Produkt aus der Reihe sonst zu teuer wäre. Gleichzeitig kann Kunden mit höherer Zahlungsbereitschaft ein größerer Funktionsumfang angeboten werden, ohne dass dies für den Hersteller einen Mehraufwand bedeutet. Besonders gut funktioniert das, wenn …"

Hier direkt weiterlesen im juris PartnerModul IT-Recht



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.10.2022 12:41

zurück zur vorherigen Seite