Aktuell in der CR

Das Gesetz über digitale Dienste nach den Trilog-Verhandlungen (Gerpott, CR 2022, 516)

Am 22.4.2022 einigten sich Kommission, Rat und Parlament politisch auf die vorläufige Endfassung des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act [DSA]), das Betreibern von Vermittlungsdiensten im Internet neue Pflichten unionsweit einheitlich auferlegt. Der nachfolgende Beitrag erläutert kurz den DSA-Hintergrund und fasst den Ablauf des DSA-Gesetzgebungsverfahrens zusammen. Weiter geht er auf wichtige Regelungen der Einigungsfassung ein, die sich nach Verlautbarungen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats deutlich vom Kommissionsvorschlag vom 15.12.2020 unterscheiden. Abschließend nimmt er eine erste rechtspolitische Gesamtbewertung des nach den Änderungen im Trilog nunmehr materiell abgeschlossenen DSA vor.

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Hintergrund

II. Ablauf der Trilog-Verhandlungen zum DSA

III. Wichtige Änderungen des DSA-Kommissionsentwurfs in den Trilog-Verhandlungen

1. Verpflichtete Intermediäre

2. Schadensersatzrechte für Nutzer

3. Pflichtenerweiterung für Betreiber von Online-Marktplätzen

4. Regulierung von Algorithmen

a) Variantenübergreifende Regelungen

b) Regelungen für algorithmenbasierte Empfehlungssysteme

c) Regelungen zur algorithmenbasierten Moderation nutzergenerierter Inhalte

d) Regelungen zu algorithmenbasierter zielgruppengenauer Werbung

5. Irreführendes Design von Nutzerschnittstellen („Dark Patterns“)

IV. Rechtspolitische Perspektiven

 


Leseprobe:
 

"I. Hintergrund
1

Seit längerem stehen Betreiber von Online-Plattformen (OP), die von Nutzern erzeugte Inhalte speichern und einem mehr oder minder großen Kreis von Personen zugänglich machen (z.B. Facebook, Instagram, Telegram, TikTok, Twitter, YouTube), im Kreuzfeuer der Kritik. Ihnen wird vorgehalten, dass sie Falschnachrichten, Hassrede, Gewaltaufrufe oder urheberrechtlich geschützte Werke verbreiten würden, ohne sich mit hinreichendem Engagement und transparenten Löschregeln mit derartigen Inhalten auseinanderzusetzen. In den letzten zwei Jahren hat diese Debatte vor allem durch die Corona-Pandemie, Eingriffsversuche bei Regierungswechseln, Morddrohungen gegen Politiker und irreführende „Berichte“ über Kriegsursachen sowie -verlauf in der Ukraine an Intensität gewonnen. 1

Als wichtige Ursache für die Verbreitung gesellschaftlich „schädlicher“ Inhalte unter Einsatz von Algorithmen, die Nutzer auf Inhalte primär nach Click-Raten und weniger nach Quellenqualität hinweisen, wird häufig angeführt, dass so die Nutzerzahl einer Plattform und die Nutzerverweildauer positiv beeinflusst werden. Mehr Nutzer, höhere „Stickyness“ und Nutzerloyalität verbessern für Online-Intermediäre die Reichweite und Möglichkeiten zur Zielgruppenausrichtung von Werbeplätzen/Werbung auf ihrer Site sowie als Folge Gewinne der Betreiber. 2 Dabei werden Zustimmungserklärungen der Nutzer zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten oder andere Handlungen von Nutzern, die sie bei fairer Information über für sie negative Folgen ihres Tuns mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorgenommen hätten, oft durch Betreiber einer Online-Vermittlungsplattform sowie von ihnen autorisierte Dritte über Nutzerschnittstellen in einer kaum durchschaubaren, Vertrauen missbrauchenden, listigen Weise erreicht. Zu den Unternehmen, die solche abgründigen Muster an digitalen Oberflächen verwenden, gehören auch und gerade die großen Digitalkonzerne Google, Apple, Meta, Microsoft und Amazon (verkürzt als GAMMA oder Big Tech bezeichnet). 3

3

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission am 15.12.2020 den „Digital Services Act“ (DSA; Gesetz über digitale Dienste) vorgeschlagen, 4 um „die besten Bedingungen für die Bereitstellung innovativer digitaler Dienste im Binnenmarkt“ 5 sicherzustellen. Mit dem DSA, der eine ergänzende Erweiterung der e-Commerce-Richtlinie 6 im Hinblick auf technische, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklungen bei Internetdiensten seit dem Jahr 2000 beinhaltet, strebt die Kommission an, vor allem auf Plattformen, die sich als von Verbrauchern und gewerblichen Anbietern herangezogene Vermittler für Produkte, Dienste und Inhalte betätigen, für deren Nutzer eine EU-weit einheitliche sichere, vorhersehbare und vertrauenswürdige Online-Umgebung zu schaffen, in der persönliche Grundrechte wirksam geschützt werden. Die Umgebung soll es Nutzern grundrechtskonform ermöglichen, frei nicht offensichtlich illegale oder unangemessen schädigende Meinungen auszutauschen, sich gut zu informieren sowie fair einzukaufen und zu verkaufen.

4

Das wichtigste Mittel zur Erreichung der DSA-Ziele ist ein nach Plattformgröße und -art differenziertes buntes Bouquet von Sorgfaltsauflagen, die verpflichtete Anbieter von Vermittlungsdiensten ex ante generell einzuhalten haben, ohne dass es fallbezogener zusätzlicher behördlicher Aufforderungen bedarf. Die Überwachung der Einhaltung der DSA-Pflichten werden i.d.R. behördliche Koordinatoren für digitale Dienste (KDD) in den Mitgliedsstaaten übernehmen. Lediglich bei sehr großen OP erhält allein die Kommission die Kompetenz, den DSA umzusetzen. Der DSA gilt – anders als die e-Commerce-Richtlinie, die von den EU-Staaten erst in nationales Recht zu transponieren war – unionsweit direkt.

5

Er ergänzt als zweiter Bestandteil eines juristischen Regulierungspakets der Kommission zur Reform des digitalen Raums in der gesamten EU den kartellrechtlich konzipierten „Digital Markets Act“ (DMA). 7 Während der DSA primär in geschäftliche Beziehungen zwischen Online-Intermediären und Endnutzern eingreift, zielt der DMA mehr darauf, unlautere Wettbewerbspraktiken sehr großer Betreiber von OP (z.B. Selbstbevorzugungen, Zwangsbündelung verschiedener Leistungen) durch Verhaltensauflagen für diese „Gatekeeper“ zu unterbinden, um die Konkurrenzintensität zwischen gewerblichen Nutzern und den Betreibern sowie die Bestreitbarkeit von Plattform-Märkten zum Wohl von Endnutzern zu erhöhen.

6

Anliegen dieses Beitrags ist es, über den Verfahrensablauf zum DSA zwischen Kommission, (europäischem) Parlament und (europäischem) Rat zu informieren (II.), 8 einen Überblick der nach Abschluss der Trilog-Verhandlungen von den gesetzgebenden EU-Organen als besonders bedeutsam hervorgehobenen Änderungen des DSA gegenüber dem Kommissionsvorschlag zu vermitteln (III.), 9 und vorrangig mit Blick auf diese Modifikationen einen ersten rechtspolitischen Ausblick zu geben (IV.).
 

II. Ablauf der Trilog-Verhandlungen zum DSA
7

Die fachliche Detailarbeit zur Vorbereitung der Diskussion des von der Kommission vorgeschlagenen DSA-E im Plenum des Parlaments wurde im Januar 2021 federführend..."

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.08.2022 13:25

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