Aktuell im ITRB

Hatespeech in sozialen Netzwerken (Wienen, ITRB 2022, 89)

In einer bemerkenswerten Entscheidung hat sich das BVerfG im Zusammenhang mit einem gegen Facebook gerichteten Auskunftsanspruch über Bestandsdaten nach § 14 Abs. 3 TMG zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen es sich um eine Beleidigung nach § 185 StGB als rechtswidriger Inhalt i.S.d. § 1 Abs. 3 NetzDG handelt. Das Gericht betont dazu die erforderliche Prüfungsreihenfolge: Zunächst geht es darum, ob die streitgegenständliche Äußerung sich als Schmähung oder Schmähkritik, als Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellt. In diesen Ausnahmekonstellationen ist eine Interessenabwägung entbehrlich. Fällt der Inhalt nicht unter eine der vorgenannten Varianten und gilt daher als Beleidigung, ist Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion stets eine grundrechtlich angeleitete Interessenabwägung.


1. Zugrundeliegender Sachverhalt

2. Entscheidung des BVerfG

a) Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts

b) Prüfungsabfolge

3. Einordnung



1. Zugrundeliegender Sachverhalt

Die Verfassungsbeschwerde hatte eine Politikerin gegen zivilgerichtliche Entscheidungen eingelegt, die ihr die gerichtliche Anordnung der Auskunft über Bestandsdaten gegenüber einer Social Media Plattform nach § 14 Abs. 3 TMG (in der vom 18.7.2019 bis 26.11.2020 gültigen Fassung; nunmehr § 21 Abs. 2 und 3 TTDSG) versagt hatten. Soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger, von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasster Inhalte erforderlich war, durfte ein Diensteanbieter nach § 14 Abs. 3 TMG im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen. Rechtswidrige Inhalte i.S.d. § 1 Abs. 3 NetzDG (in der bis zum 31.12.2020 gültigen Fassung) waren u.a. Inhalte, die den Tatbestand der §§ 185 bis 187 StGB erfüllten und nicht gerechtfertigt waren.

Hintergrund des Auskunftsbegehrens war ein Bericht im Jahr 2015 über einen Zwischenruf der Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus im Kontext einer politischen Debatte 1986. Nachdem die Politikerin einen Blogbetreiber wegen seiner ursprünglich 2015 erfolgten Veröffentlichung dazu auf Unterlassung in Anspruch genommen und Schmerzensgeld verlangt hatte, veröffentlichte er Anfang 2019 auf seiner Seite auf einer Social Media Plattform einen weiteren Text nebst Bild der Politikerin und Text aus dem ursprünglichen Blogbeitrag, der die Äußerung der Politikerin nicht richtig zitierte. Daraufhin kommentierten im April und Mai 2019 zahlreiche Nutzer der Social Media Plattform den Beitrag u.a. wie folgt: „Pädophilen-Trulla“, „Die alte hat doch einen Dachschaden, die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch“, „Mensch... was bist Du Krank im Kopf!!!“, Die ist Geisteskrank“, „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“, „Sperrt diese kranke Frau weck sie weiß nicht mehr was sie redet“, „Die sind alle so krank im Kopf“, Gehirn Amputiert“, „Kranke Frau“ und „Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“

Daraufhin gestattete das LG die Auskunftserteilung über die Bestandsdaten der Nutzer der Social Media Plattform in Bezug auf sechs Kommentare. Sodann gestattete das KG zusätzlich die Beauskunftung bzgl. weiterer sechs Kommentare. Nach Ansicht des KG war die Schwelle zum Straftatbestand des § 185 StGB nicht überschritten. Das begründete es damit, dass kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung vorlag. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts erreiche kein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des Kontexts lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Beschwerdeführerin erscheine.

2. Entscheidung des BVerfG

Ungewöhnlich deutlich kritisiert das BVerfG die zivilgerichtlichen Entscheidungen. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.03.2022 16:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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