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Schuldrechtsreform 2.0: Das neue Gewährleistungsrecht für digitale Produkte in der Praxis (Heydn, CR 2021, 709)
Der Beitrag konzentriert sich auf das „Herzstück“ der ab 1.1.2022 geltenden neuen Regelungen im Schuldrecht: das Gewährleistungsrecht für digitale Produkte (§§ 327i ff. BGB ). Aus dem Blickwinkel des Praktikers werden zunächst Hintergrund und systematische Einordnung beleuchtet (I.) und der neue Anspruch auf Aktualisierungen (II.) sowie die Rechte des Verbrauchers bei Mängeln (III.) erläutert. Sodann werden Verjährung (IV.), Beweislastumkehr (V.), Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen (VI.) und der Regress zwischen Unternehmen (VII.) erörtert. Ausführungen zur gerichtlichen Geltendmachung (VIII.) und zu digitalen Inhalten und Dienstleistungen für Unternehmen (IX.) runden den Beitrag ab.
Neue und altbekannte Rechtsbehelfe für Verbraucher und Unternehmen
INHALTSVERZEICHNIS:
I. Hintergrund und systematische Einordnung
1. Kein neuer Vertragstyp
2. Verbraucherschutzrecht
II. Anspruch auf Aktualisierungen (§ 327f BGB )
III. Rechte des Verbrauchers bei Mängeln (§ 327i BGB )
1. Mangel
2. Rechtsbehelfe des Verbrauchers
a) Nacherfüllung (§ 327l BGB )
b) Vertragsbeendigung (§ 327m BGB )
c) Minderung (§ 327n BGB )
d) Schadensersatz (§ 327m Abs. 3 BGB )
IV. Verjährung (§ 327j BGB )
1. Verjährungsfrist und Ablaufhemmung
2. Gestaltungsrechte
V. Beweislastumkehr (§ 327k BGB )
1. Beweislastumkehrfrist
2. Ausschluss der Beweislastumkehr
VI. Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen (§ 327s BGB )
VII. Regress zwischen Unternehmen (§ 327u BGB )
1. Anspruch des Unternehmers
2. Verjährung
3. Beweislastumkehr
4. Zwingender Charakter
5. Regress entlang der gesamten Vertriebskette
VIII. Gerichtliche Geltendmachung
1. Vertragliche Ansprüche
2. Unterlassungsklage
3. Schiedsvereinbarung?
IX. Digitale Inhalte und Dienstleistungen für Unternehmen
1. Keine Geltung der §§ 327 ff. BGB für digitale Produkte für Unternehmen
2. AGB-Recht und Rechtswahlmöglichkeiten
X. Fazit
Leseprobe:
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„I. Hintergrund und systematische Einordnung |
1 |
Am 1.1.2022 treten zahlreiche Änderungen und Ergänzungen des Zweiten Buchs des BGB in Kraft. Grund hierfür sind zwei EU‑Richtlinien, die bis zum 1.7.2021 umzusetzen waren: Die Richtlinie (EU) 2019/770 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen1 (nachfolgend: DID-RL) und die Richtlinie (EU) 2019/771 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs2 (nachfolgend: WK-RL). Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzungsfrist eingehalten und am 30.6.2021 die entsprechenden Umsetzungsgesetze im Bundesgesetzblatt verkündet3. |
2 |
Die neuen Vorschriften tragen dem Umstand Rechnung, dass Verbraucher zunehmend mit digitalen Produkten konfrontiert sind wie etwa Smartphone-Apps, Kommunikations- und Social Media-Plattformen und Medien wie Musik, Filme oder Bücher digital über Streaming-Dienste konsumieren oder herunterladen, aber häufig allein gelassen werden, wenn es mit diesen Produkten Probleme gibt. Hinzu kommt, dass Gegenstände des täglichen Gebrauchs zunehmend digitale Elemente enthalten: Die Programme von Waschmaschinen und Geschirrspülern sind ebenso digital wie Kraftfahrzeuge, elektrische Zahnbürsten oder beheizbare Kleidungsstücke, die per Bluetooth mit einer Smartphone-App verbunden werden können. |
3 |
Die neuen Vorschriften regeln die Rechte der Verbraucher im Zusammenhang mit derartigen Produkten: Verbrauchern steht nun ein Anspruch auf Aktualisierungen digitaler Produkte zu (§ 327f BGB), und digitale Produkte, die im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses bereitgestellt werden, dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen geändert werden (§ 327r BGB ). Für digitale Produkte gibt es ein eigenes Gewährleistungsrecht, und auch für den Kauf von Waren mit digitalen Elementen wurden neue Gewährleistungsvorschriften in das Kaufrecht eingefügt (§§ 475b ff. BGB)4. |
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1. Kein neuer Vertragstyp |
4 |
Um der Vielfalt der Vertragsverhältnisse über digitale Produkte gerecht zu werden, hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, Verträge über digitale Produkte nicht als neuen Vertragstyp neben Kaufvertrag, Werkvertrag usw. im Besonderen Teil (= Abschnitt 8) des Schuldrechts zu regeln, sondern er hat ein vertragstypenübergreifendes Vertragsrecht geschaffen5. Dieses erfasst Dauerschuldverhältnisse und Verträge über einen einmaligen Leistungsaustausch gleichermaßen und gilt unabhängig davon, ob z.B. ein Softwareüberlassungsvertrag im konkreten Einzelfall als Miet- oder Kaufvertrag einzuordnen ist, oder ob es sich bei dem Vertrag über die Nutzung einer im Internet bereitgestellten Plattform um einen Dienst- oder Mietvertrag handelt6. Der aus der DID-RL stammende und damit autonom unionsrechtlich auszulegende Begriff „digitale Dienstleistung“ präjudiziert in keiner Weise, dass Verträge über „digitale Dienstleistungen“ nach deutschem Recht als Dienstverträge i.S.d. §§ 611 ff. BGB eingeordnet werden müssten7. Nicht nur deshalb ist es zu begrüßen, dass der deutsche Gesetzgeber die bei einigen Produkten (z.B. Computerspielen) ohnehin nicht scharf voneinander abgrenzbaren Begriffe des digitalen Inhalts einerseits und der digitalen Dienstleistung andererseits zu dem nicht von der DID-RL vorgegebenen Oberbegriff „digitale Produkte“ zusammengefasst und in § 327 Abs. 1 BGB legaldefiniert hat8. |
5 |
Folgerichtig im Hinblick auf die Vertragstypneutralität der neuen Regelungen wurde der neue Titel 2a mit der Überschrift „Verträge über digitale Produkte“ in den Allgemeinen Teil des Schuldrechts, dort in Abschnitt 3 eingefügt, der „Schuldverhältnisse aus Verträgen“ regelt. Als „Hausnummer“ bot sich § 327 an, der seit der 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform frei ist. Dort wurden nunmehr 21 „Buchstabenparagrafen“ eingefügt (§§ 327a bis 327u BGB ), die das Vertragsrecht für Verträge über digitale Produkte regeln. Damit hat der Gesetzgeber seine mit der Schuldrechtsreform begonnenen Bemühungen fortgesetzt, das bürgerlich-rechtliche Verbraucherschutzrecht umfassend im BGB zu regeln und nicht mehr in separate Gesetze auszulagern9. |
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2. Verbraucherschutzrecht |
6 |
Entsprechend den Vorgaben der DID-RL handelt es sich bei den neuen Regelungen um zwingendes Verbraucherschutzrecht, weshalb der (…)“ |
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