BGH v. 10.2.2021 - KZR 66/17

Gerichtsstand für kartellrechtliche Unterlassungsklage im Umfeld von Verträgen (Wikingerhof/Booking.com)

Macht der Kläger einen Anspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch das beklagte Unternehmen geltend, ist der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch dann eröffnet, wenn in Betracht kommt, dass das als missbräuchlich beanstandete Verhalten den Bestimmungen eines zwischen den Parteien bestehenden Vertrages (hier: über die plattformgebundene Vermittlung von Hoteldienstleistungen) entspricht.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt in Schleswig-Holstein ein Hotel. Die Beklagte, die ihren Sitz in den Niederlanden hat, betreibt die Hotelbuchungsplattform booking.com. Die Klägerin vermarktet ihr Hotel (auch) über diese Plattform. Sie sieht in bestimmten Verhaltensweisen der Beklagten bei der Vermittlung von Hotelbuchungen eine unbillige Behinderung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen und nahm die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch.

In dem Vertrag aus dem Jahr 2009, der auf einem von der Beklagten vorgelegten Vertragsformular beruht, in dem auf eine bestimmte Version der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten verwiesen wird, die auf der Plattform online verfügbar seien. Diese AGB 2008 sehen u.a. vor, dass ausschließlich niederländisches Recht gelte und Gerichtsstand für alle aus dem Vertrag entstehenden Streitigkeiten mit Ausnahme von Zahlungs- und Rechnungsstreitigkeiten, für die als Gerichtsstand auch der Sitz des Hotels in Frage komme, Amsterdam sei.

Die Beklagte änderte ihre AGB in der Folge mehrfach. Die Klägerin widersprach der Einbeziehung einer Version der AGB, welche die Beklagte ihren Vertragspartnern per E-Mail im Juni 2015 bekannt gemacht hatte (AGB 2015 neu). Die vorhergehenden AGB 2015 sahen ebenso wie die AGB 2015 neu vor, dass - sofern nichts anderes in dem Vertrag festgelegt ist - die aus oder in Verbindung mit dem Vertrag entstehenden Streitigkeiten ausschließlich vor die zuständigen Gerichte in den Niederlanden gebracht und dort verhandelt werden.

Das LG hat die Klage wegen fehlender örtlicher und internationaler Zuständigkeit abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 11.12.2018 hat der EuGH mit Urteil vom 24.11.2020 (C-59/19 - Wikingerhof) entschieden, dass Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) 1215/2012 (nachfolgend: Brüssel-Ia-VO) dahin auszulegen ist, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.

Daraufhin hat der BGH das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
Die Annahme der Vorinstanz, das angerufene LG sei örtlich und international unzuständig, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das OLG den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO verneint. Für die Prüfung des Klagebegehrens ist ein im Bezirk des angerufenen LG belegener Gerichtsstand am Sitz der Klägerin als demjenigen Ort eröffnet, an dem sich der mit der Klage geltend gemachte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gegenüber der Klägerin ausgewirkt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 21.5.2015 - C-352/13 - CDC Hydrogene Peroxide).

Macht der Kläger einen Anspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch das beklagte Unternehmen geltend, ist der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch dann eröffnet, wenn in Betracht kommt, dass das als missbräuchlich beanstandete Verhalten den Bestimmungen eines zwischen den Parteien bestehenden Vertrages (hier: über die plattformgebundene Vermittlung von Hoteldienstleistungen) entspricht.

Ob die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben, richtet sich nach Unionsrecht. Die Annahme einer entsprechenden Willensübereinstimmung erfordert die Feststellung, dass die nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei die Zuständigkeit begründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer klar und deutlich zum Ausdruck kommenden Einigung der Parteien war.

Eine in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers enthaltene Gerichtsstandsklausel, nach der für aus dem Vertrag entstehende Streitigkeiten das Gericht seines Geschäftssitzes zuständig ist, erfasst Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nur dann, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vertragsparteien die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung auch auf solche vom Vertrag unabhängigen Ansprüche erstrecken wollten. Im vorliegenden Fall konnte nicht festgestellt werden, dass die in den AGB 2015 alt enthaltene Gerichtsstandsklausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist.

Die Klägerin hatte von der Änderung zwar durch die E-Mail aus Juni 2015 Kenntnis erlangt. Da die geänderten Bedingungen auf der verlinkten Internetseite veröffentlicht waren, hatte sie auch die Möglichkeit, die hier interessierende Gerichtsstandsklausel bei normaler Sorgfalt zur Kenntnis zu nehmen. Die Gerichtsstandsklausel ist jedoch nicht Gegenstand einer Willenseinigung der Parteien geworden. Denn die Klägerin hat mit der Geltung der geänderten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ihr Einverständnis erklärt. Sie hat ihrer Einbeziehung vielmehrausdrücklich widersprochen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2021 15:49
Quelle: BGH online

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