VG Neustadt v. 28.12.2020 - 5 L 1143/20.NW

Schließung wegen Corona: Großhandelseigenschaft einer Internetverkaufsplattform

Eine eigenständige infektionsschutzrechtliche Definition des Begriffs „Großhandel“ findet sich in der 14. CoBeLVO ebenso wenig wie eine Definition des Begriffs „Einzelhandel(sbetrieb)“. Bei der Frage, ob es sich bei dem Geschäftsmodell von „wirkaufendeinauto.de“ um einen gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 der 14. CoBeLVO zu schließenden Betrieb handelt oder ob das Geschäftsmodell als Großhandel anzusehen und daher gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 der 14. CoBeLVO von der Schließung ausgenommen ist, greift die Kammer auf die im allgemeinen Geschäftsverkehr gebräuchliche Umschreibung zurück.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin betreibt die Internetverkaufsplattform „wirkaufendeinauto.de“. Am 16.12.2020 hatte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gegenüber wegen der steigenden Inzidenzzahlen während der Corona-Pandemie eine mündliche Anordnung erteilt, den Geschäftsbetrieb einer Filiale von „wirkaufendeinauto.de“ in Ludwigshafen am Rhein zu schließen. Die Behörde berief sich dabei auf § 5 Abs. 2 Satz 1 der 14. CoBeLVO.

Die Antragstellerin war der Ansicht, es handele sich bei ihrem Geschäftsmodell um einen Großhandel, der gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 der 14. CoBeLVO von der Schließung ausgenommen sei. Das VG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin angeordnet.

Die Gründe:
Es spricht Vieles dafür, dass die Antragstellerin entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin aus dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 Satz 1 der 14. CoBeLVO herausfällt, weil ihr Geschäftsmodell als „Großhandel“ zu qualifizieren sein dürfte, der gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 der 14. CoBeLVO von der Schließung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 der 14. CoBeLVO ausgenommen ist.

Eine eigenständige infektionsschutzrechtliche Definition des Begriffs „Großhandel“ findet sich in der 14. CoBeLVO ebenso wenig wie eine Definition des Begriffs „Einzelhandel(sbetrieb)“. Deshalb greift die Kammer zur Erläuterung dieser Begriffe auf die im allgemeinen Geschäftsverkehr gebräuchliche Umschreibung zurück. Nach dem Statistischen Jahrbuch 2019 des Statistischen betreibt Einzelhandel, wer Handelswaren überwiegend an private Haushalte absetzt. Demgegenüber betreibt Großhandel, wer Handelswaren in eigenem Namen für eigene Rechnung oder für fremde Rechnung (Kommissionshandel) überwiegend an andere Abnehmerinnen und Abnehmer als private Haushalte absetzt (z. B. gewerbliche Betriebe, Einzelhändlerinnen und Einzelhändler).

Auf diese Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes nimmt auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in seiner Kurzinformation vom 15.7.2019 Bezug. In der Rechtsprechung wird die Abgrenzung zwischen Groß- und Einzelhandel ähnlich vorgenommen (vgl. BGH-Urteil v. 30.11.1989, I ZR 184/88 und BAG-Urteil v. 25.1.2006, 4 AZR 622/04). Hiervon ausgehend dürfte das Geschäftsmodell der Antragstellerin dem eines Großhändlers entsprechen. Die Antragstellerin selbst betreibt also ein C2B (Consumer-to-Business)-Geschäftsmodell, indem sie als gewerblicher Händler Gebrauchtwaren von Endverbrauchern ankauft und diese auf der Internet-Plattform von „Auto1.com“ an Gewerbetreibende mit einem Preisaufschlag wieder verkauft.

Die Antragstellerin dürfte daher als Großhändlerin anzusehen sein. Denn die Abgrenzung der beiden Begriffe Großhandel und Einzelhandel erfolgt, nicht danach, von wem der Händler die Waren erworben hat, sondern danach, an wen er die Waren weiterveräußert. Dies ist im Falle der Antragstellerin mit dem ebenfalls der „AUTO1 Group“ angehörenden Unternehmen „Auto1.com“ aber unzweifelhaft ein Gewerbetreibender und nicht ein Endverbraucher. Dürfte die Antragstellerin aus dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 Satz 1 der 14. CoBeLVO herausfallen, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schließungsanordnung. Deshalb muss die Interessenabwägung hier zugunsten der Antragstellerin ausfallen.

Die Kammer ist sich dessen bewusst, dass das gefundene voraussichtliche Ergebnis zu einer Privilegierung des C2B-Geschäftsmodells gegenüber dem B2C-Geschäftsmodell führt. Dies hat der Verordnungsgeber aber offensichtlich in Kauf genommen. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung kann darin nicht gesehen werden (ausführlich zur Ungleichbehandlung im Bereich des Infektionsschutzes s. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 9.11.2020, 6 B 11345/20.OVG.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.03.2021 16:15
Quelle: Justizportal Rheinland-Pfalz

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