EuGH, C-18/18: Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.6.2019

Hasskommentare: Facebook kann zur Suche nach wort- und sinngleichen Kommentaren verpflichtet werden

Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar kann Facebook gezwungen werden, sämtliche Kommentare, die mit einem ehrverletzenden Kommentar, dessen Rechtswidrigkeit festgestellt wurde, wortgleich sind, sowie damit sinngleiche Kommentare, sofern sie von demselben Nutzer herrühren, zu eruieren und zu identifizieren. Das Unionsrecht regelt indes nicht die Frage, ob Facebook gezwungen werden kann, die fraglichen Kommentare weltweit zu löschen.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Abgeordnete im Österreichischen Nationalrat, Klubobfrau der Grünen im Parlament und Bundessprecherin dieser Partei. Sie beantragte vor den österreichischen Gerichten den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Facebook, um der Veröffentlichung eines ehrverletzenden Kommentars ein Ende zu setzen.

Vorausgegangen war dem, dass ein Facebook-Nutzer auf seiner Profilseite einen Artikel des österreichischen Online-Nachrichtenmagazins oe24.at mit dem Titel "Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben" gepostet hatte. Durch dieses Posting wurde auf Facebook eine "Thumbnail Vorschau" von der Website oe24.at generiert, die den Titel und eine kurze Zusammenfassung des Artikels sowie ein Foto von der Klägerin enthielt. Der Nutzer postete außerdem einen die Klägerin herabwürdigenden Kommentar zu diesem Artikel. Diese Inhalte konnten von jedem Facebook-Nutzer abgerufen werden.

Als Facebook auf die Aufforderung der Klägerin, den Kommentar zu löschen, nicht reagierte, beantragte diese, Facebook aufzugeben, die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von sie zeigenden Fotos zu unterlassen, wenn im Begleittext mit dem fraglichen Kommentar wortgleiche und/oder "sinngleiche" Behauptungen verbreitet würden. Da die beantragte einstweilige Verfügung vom erstinstanzlichen Gericht erlassen wurde, sperrte Facebook in Österreich den Zugang zu dem ursprünglich geposteten Beitrag.

Der nunmehr mit der Sache befasste Oberste Gerichtshof in Österreich ist der Ansicht, dass die fraglichen Äußerungen darauf abzielten, die Klägerin in ihrer Ehre zu beleidigen, sie zu beschimpfen und zu diffamieren. Da er darüber zu befinden hat, ob die Unterlassungsverfügung auch und weltweit auf Facebook nicht zur Kenntnis gelangte wort- und/oder sinngleiche Äußerungen ausgedehnt werden kann, hat er das Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Auslegung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (Richtlinie 2000/31/EG) in diesem Zusammenhang ersucht. Nach dieser Richtlinie ist ein Host-Provider (und damit der Betreiber einer Social-Media-Plattform wie Facebook) grundsätzlich nicht für die Informationen verantwortlich, die von Dritten auf seine Server eingestellt werden, wenn er keine Kenntnis von ihrer Rechtswidrigkeit hat. Hat er jedoch erst einmal Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Informationen erlangt, muss er sie löschen oder den Zugang zu ihnen sperren. Außerdem kann einem Host-Provider nach der Richtlinie keine allgemeine Verpflichtung auferlegt werden, die von ihm gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Die Gründe:
Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr hindert nicht daran, dass einem Host-Provider, der eine Social-Media-Plattform wie Facebook betreibt, im Wege einer gerichtlichen Verfügung aufgegeben wird, dass er sämtliche von den Nutzern dieser Plattform geposteten Informationen durchsucht und darunter diejenigen identifiziert, die mit der Information wortgleich sind, die von dem Gericht, das die Verfügung erlassen habe, als rechtswidrig eingestuft worden ist.

Mit diesem Ansatz kann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den betroffenen Grundrechten - Schutz des Privatlebens und der Persönlichkeitsrechte, Schutz der unternehmerischen Freiheit sowie Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit - hergestellt werden. Zum einen bedarf es dafür keiner hochentwickelten technischen Hilfsmittel, die eine außergewöhnliche Belastung darstellen können. Zum anderen erweist sich diese Herangehensweise, da Informationen im Bereich des Internets leicht reproduziert werden können, als notwendig, um einen wirksamen Schutz des Privatlebens und der Persönlichkeitsrechte sicherzustellen.

Der Host-Provider darf mit der gerichtlichen Verfügung auch gezwungen werden, Informationen zu eruieren und zu identifizieren, die mit der als rechtswidrig eingestuften Information sinngleich sind, wobei er allerdings nur die Informationen zu durchsuchen braucht, die von dem Nutzer gepostet worden sind, der auch die rechtswidrige Information gepostet hat. Ein Gericht, das über die Entfernung derartiger sinngleicher Informationen entscheidet, hat zu gewährleisten, dass die Wirkungen seiner Verfügung klar, konkret und vorhersehbar sind. Dabei muss es die beteiligten Grundrechte abwägen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen. Durch eine Pflicht, von allen Nutzern gepostete sinngleiche Informationen zu identifizieren, würde kein ausgewogenes Verhältnis zwischen den betroffenen Grundrechten hergestellt. Zum einen erfordert es kostspielige Lösungen, um derartige Informationen aufzuspüren und zu identifizieren. Zum anderen würde der Einsatz dieser Lösungen zu einer Zensur führen, so dass die Meinungs-und Informationsfreiheit systematisch beschränkt werden könnte.

Die Richtlinie regelt die räumliche Reichweite einer Pflicht zur Entfernung von über eine Social-Media-Plattform verbreiteten Informationen nicht. Daher hindert sie nicht daran, von einem Host-Provider die weltweite Entfernung solcher Informationen zu verlangen. Im Übrigen ist die räumliche Reichweite auch sonst nicht unionsrechtlich geregelt, da sich die Klägerin vorliegend nicht auf das Unionsrecht beruft, sondern auf die allgemeinen Bestimmungen des österreichischen Zivilrechts über Verletzungen der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Ehrverletzung, in deren Bereich es keine Harmonisierung gibt. Sowohl die Frage nach den extraterritorialen Wirkungen einer gerichtlichen Verfügung, mit der eine Löschungspflicht auferlegt wird, als auch die Frage nach der räumlichen Reichweite einer solchen Pflicht sollten am Maßstab insbesondere des Völkerrechts und des Internationalen Privatrechts geprüft werden.

Schließlich hindert die Richtlinie nicht daran, einem Host-Provider die Entfernung von Informationen aufzugeben, die mit der als rechtswidrig eingestuften Information sinngleich sind, wenn der Hinweis darauf von dem Betroffenen, von einem Dritten oder aus anderer Quelle stammt, da in einem solchen Fall die Entfernungspflicht keine allgemeine Überwachung der gespeicherten Informationen impliziert.

Linkhinweis:


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.06.2019 14:41
Quelle: EuGH PM Nr. 69 vom 4.6.2019

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