Aktuell in der CR

Grundrechtliche Konditionenkontrolle gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen (Louven, CR 2022, 542)

Im Sommer 2022 hat das BVerfG zur Verfassungsbeschwerde der Sportlerin Claudia Pechstein entschieden und das vorangegangene Urteil des BGH wegen Verletzung des Justizgewähranspruchs aufgehoben. Dieser sei bei der grundrechtlichen Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Eine solche ist im Rahmen der Auslegung des § 19 GWB vorzunehmen, wie nunmehr das BVerfG bestätigt hat. Diese Entscheidung hat eine hohe Bedeutung über den eigentlichen Fall hinaus für die Digitalwirtschaft. Denn sie zementiert den Wertemaßstab der wettbewerbsbezogenen Grundrechte für die Anwendung des Marktmachtmissbrauchsverbots. Dieser Beitrag nimmt eine selektive Einordnung der Entscheidung vor und hebt vor ihren Hintergründen (I.) zunächst ihre Kernaussagen (II.) hervor, die dann im Schwerpunkt in ihrer Wirkung auf die Digitalwirtschaft ausgewertet (III.) und in einer Erkenntnissicherung (IV.) festgehalten werden.

Konsequenzen aus der Entscheidung des BVerfG v. 3.6.2022 - 1 BvR 2103/16 für die Anwendung des Marktmachtmissbrauchsverbots in digitalen Fällen

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Hintergründe

II. Kernaussagen

1. Allgemein: Auslegung des § 19 GWB am Maßstab der Grundrechte

2. Konkret: Verletzung des Justizgewähranspruchs

III. Auswertung und Transfer auf die Digitalwirtschaft

1. Grundrechtliche Abwägung in multipolaren Marktkonstellationen

a) Multipolarität der Abwägungsentscheidung

aa) Wettbewerb als sozialer Prozess

bb) Schutz des sozialen Prozesses Wettbewerb als Aufgabe des Kartellrechts

b) Grundrechtsverzicht und Privacy Paradox

2. Verfassungsspezifische Prüfung und Abwägungskontrolle

3. Friktionen mit der Schadenstheorie des BKartA

a) Kartellrecht und Datenschutz

b) Vorbehalt der Auslegung des EuGH

c) Vorrangige Auslegung der Grundrechte

IV. Erkenntnissicherung

 


Leseprobe:
 

"I. Hintergründe
1

Die Entscheidung betrifft eine Verfassungsbeschwerde der Sportlerin Claudia Pechstein. Diese hatte vor den ordentlichen deutschen Gerichten gegen ihre Dopingsperre durch zwei große, monopolistische Sportverbände geklagt und dabei auch Schadensersatz verlangt. Der erste Verband ist der deutsche nationale Fachverband für Eisschnelllauf, der andere der internationale Fachverband für Eisschnelllauf. Vorhergehend waren bei ihr nach einer Blutprobe Werte festgestellt worden, die im Zusammenhang mit unerlaubtem Blutdoping stehen können. Gegen die Sperre ging sie zunächst vor dem internationalen Sportschiedsgerichtshof in Lausanne (CAS) vor. Dieses Verfahren ist bei den Sportverbänden zwingend vorgesehen. Im späteren Verlauf konnte Pechstein zwar aufgrund eines spezialdiagnostischen Verfahrens eine Blutanomalie als Ursache dieser Werte nachweisen, was jedoch nicht berücksichtigt wurde.

2

Die Klage war bislang nicht erfolgreich. Laut dem Berufungsgericht stand die Schiedsvereinbarung jedenfalls der Klage nicht entgegen, da diese wegen eines Marktmachtmissbrauchs nichtig sei. Es stellte insofern die Zulässigkeit der Klage fest. Diese Entscheidung wiederum hob der BGH mit dem Argument der entgegenstehenden Schiedsvereinbarungseinrede auf. Die Verfahrensordnung des CAS enthalte demnach ausreichende Garantien zur Wahrung der Rechte, weshalb die Schiedsvereinbarung nicht im Hinblick auf Grundrechtsverletzungen unwirksam sei.

3

Die Sportlerin rügte daraufhin in ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidung sowie die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. So hätte der BGH aufgrund des Marktmachtmissbrauchsverbots die Schiedsvereinbarung nicht als wirksam ansehen dürfen.
 

II. Kernaussagen
4

Das BVerfG hat die Aufhebung der BGH-Entscheidung damit begründet, dass …"

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.08.2022 14:07

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