BGH v. 24.5.2022 - X ZR 82/21

Container-Signatur im Patentnichtigkeitsverfahren

Eine qualifizierte Signatur, die sich auf den gesamten Inhalt einer über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eingereichten Nachricht einschließlich der darin enthaltenen Dateien bezieht, genügt den Anforderungen des § 2 Abs. 2a Nr. 1 BGH/BPatGERVV. § 4 Abs. 2 ERVV ist im Anwendungsbereich der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim BGH und BPatG (BGH/BPatGERVV) nicht anwendbar.

Der Sachverhalt:
Das BPatG hat das mit der Nichtigkeitsklage angegriffene Streitpatent für nichtig erklärt. Mit seiner Berufung strebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage an. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, ein Patentanwalt, reichte die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung vor Ablauf der jeweils maßgeblichen Frist als elektronisches Dokument über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ein. Die beiden Nachrichten sind mit einer so genannten Container-Signatur versehen. Die darin enthaltenen PDF-Dateien weisen nur eine einfache elektronische Signatur auf, d.h. die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes.

Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig, weil eine Container-Signatur den Formvorgaben aus § 2 Abs. 2a BGH/BPatGERVV nicht genüge. Die Beklagte tritt dem entgegen. Vorsorglich beantragt sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu hat sie die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung nochmals eingereicht, und zwar in Form von PDF-Dateien mit integrierter qualifizierter Signatur. Beide Parteien haben einer Zwischenentscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Der BGH entschied, dass die Berufung zulässig ist.

Die Gründe:
Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung genügen den maßgeblichen Formerfordernissen aus § 125a Abs. 2 Satz 1 PatG und § 2 Abs. 2a Nr. 1 BGH/BPatGERVV.

Nach der von der Ermächtigungsgrundlage in § 125a Abs. 3 Nr. 1 PatG getragenen Regelung in § 2 Abs. 2a Nr. 1 BGH/BPatGERVV sind elektronische Dokumente in Verfahren nach dem PatG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gem. Art. 3 Nr. 12 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 (eIDAS-VO) zu versehen. Nach der in Bezug genommenen Regelung ist dies eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht. Diesen Anforderungen genügt auch eine qualifizierte Signatur in Form der so genannten Container-Signatur. Eine elektronische Signatur besteht gem. Art. 3 Nr. 10 eIDAS-VO aus Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verbunden werden und die der Unterzeichner zum Unterzeichnen verwendet. Diese Voraussetzung ist, wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, auch bei einer Container-Signatur erfüllt.

Die Besonderheit einer Container-Signatur besteht darin, dass sich die Signaturdaten nicht auf eine einzelne Datei beziehen, etwa eine PDF-Datei, die eine Berufungsschrift oder Berufungsbegründung enthält, sondern auf ein übergeordnetes Datenobjekt, das eine oder mehrere Dateien zu einer Einheit zusammenfasst und zusätzliche Informationen enthält, etwa eine EGVP-Nachricht mit Angaben zu Absender, Empfänger und Betreff und einem oder mehreren Dateianhängen. Die Regelung in Art. 3 Nr. 10 eIDAS-VO enthält keine Differenzierung zwischen diesen beiden Signaturarten. Nach ihr genügt es, wenn ein Bezug zwischen den Signaturdaten und den zu signierenden Daten besteht. Ein solcher Bezug besteht auch bei einer Container-Signatur.

Eine fortgeschrittene Signatur ist gem. Art. 3 Nr. 11 und Art. 26 eIDAS-VO eine elektronische Signatur, die eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet ist, die Identifizierung des Unterzeichners ermöglicht, unter Verwendung elektronischer Signaturerstellungsdaten erstellt wird, die der Unterzeichner mit einem hohen Maß an Vertrauen unter seiner alleinigen Kontrolle verwenden kann, und so mit den auf diese Weise unterzeichneten Daten verbunden ist, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann. Diese Regelung normiert zusätzliche Anforderungen an die Authentizität und Integrität der Signatur. Sie differenziert nicht danach, auf welche Daten sich die Signaturdaten beziehen. Für die qualifizierte Signatur sieht Art. 3 Nr. 12 eIDAS-VO als zusätzliches Erfordernis vor, dass die Signatur von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht. Diese Regelung differenziert ebenfalls nicht nach dem Bezugsobjekt der Signaturdaten.

Die seit 1.1.2018 für den Zivilprozess maßgebliche Regelung in § 4 Abs. 2 ERVV, wonach mehrere elektronische Dokumente nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden dürfen, ist im Patentnichtigkeitsverfahren nicht anwendbar. Nach § 125a Abs. 2 Satz 2 PatG gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über elektronische Dokumente in Verfahren vor dem BPatG und dem BGH allerdings entsprechend. Ob dies auch für Vorschriften in Verordnungen gilt, die auf einer in der ZPO enthaltenen Ermächtigung beruhen, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Hinsichtlich der technischen Anforderungen an die Signatur enthält § 2 Abs. 2a BGH/BPat-GERVV jedenfalls eine Spezialregelung, die die abweichende Regelung in § 4 Abs. 2 ERVV verdrängt. Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung der Beklagten genügen den danach maßgeblichen Anforderungen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.06.2022 17:13
Quelle: BGH online

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