EuGH, C 184/20: Schlussanträge des Generalanwalts vom 9.12.2021

Generalanwalt: Litauisches Gesetz über den Interessenausgleich wegen Verstoß gegen die DSGVO EU-rechtswidrig

Der Generalanwalt am EuGH hält Teile des litauischen Gesetzes über den Ausgleich von öffentlichen und privaten Interessen im öffentlichen Dienst für nicht vereinbar mit europäischem Recht. Es verletze die Regeln über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.

Das fragliche Gesetz soll der Korruptionsbekämpfung in Litauen dienen. Zu diesem Zweck sieht das Gesetz vor, dass Personen, die in Führungspositionen des öffentlichen Dienstes eintreten, in einer „Interessenerklärung“ bestimmte Angaben zu machen haben, die sodann auf einer Webseite veröffentlicht werden. Zu diesen Angaben zählt u.a. eine Darlegung der Einkommenssituation wie auch die Angabe der Person, mit der der oder die Betroffene partnerschaftlich zusammenlebt.

Der Generalanwalt sieht hierin nach Vorlage zur Vorabentscheidung durch ein litauisches Verwaltungsgericht u.a. einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung.

Die konkret betroffene Norm:

Das Gesetz Nr. VIII-371 der Republik Litauen über den Ausgleich von öffentlichen und privaten Interessen im öffentlichen Dienst) vom 2. Juli 1997 (im Folgenden: Gesetz über den Interessenausgleich) sollte gemäß seinem Art. 1 die privaten Interessen der im öffentlichen Dienst tätigen Personen und die öffentlichen Interessen der Gesellschaft zum Ausgleich bringen, bei der Entscheidungsfindung den Vorrang des öffentlichen Interesses sicherstellen, die Unparteilichkeit der getroffenen Entscheidungen gewährleisten sowie dem Auftreten und der Entwicklung von Korruption im öffentlichen Dienst vorbeugen.

Art. 6 („Inhalt der Erklärung“) dieses Gesetzes lautete:

„(1)      Die erklärungspflichtige Person macht in ihrer Erklärung folgende sie selbst und ihren Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner betreffenden Angaben:

1.      Vorname, Name, persönliche Kennnummer, Sozialversicherungsnummer, Arbeitgeber und Funktionen;

2.      juristische Person, an der die erklärungspflichtige Person oder ihr Ehegatte, Lebensgefährte oder Partner als Teilhaber oder Gesellschafter beteiligt ist;

3.      selbständige Tätigkeit im Sinne des Gesetzes der Republik Litauen über die Einkommensteuer;

4.      Zugehörigkeit zu Unternehmen, Einrichtungen, Vereinigungen, oder Fonds und dort ausgeübte Funktionen, mit Ausnahme der Mitgliedschaft in politischen Parteien oder Gewerkschaften;

5.      in den letzten zwölf Kalendermonaten erhaltene Geschenke (außer von Nahestehenden) im Wert von mehr als 150 Euro;

6.      Informationen über in den letzten zwölf Kalendermonaten abgeschlossene Transaktionen und andere laufende Transaktionen, wenn der Wert der Transaktion 3 000 Euro übersteigt;

7.      nahestehende Personen oder andere der erklärungspflichtigen Person bekannte Personen oder Daten, die zu einem Interessenkonflikt führen können.

(2)      Die erklärungspflichtige Person braucht die Angaben zu ihrem Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner nicht zu machen, wenn sie von diesem getrennt lebt, mit ihm keinen gemeinsamen Haushalt bildet und daher nicht im Besitz dieser Daten ist.“

Art. 10 („Öffentlichkeit der Daten betreffend die privaten Interessen“) des Gesetzes über den Interessenausgleich sah vor:

„(1)      Die Daten in den Erklärungen der Mandatsträger und Personen in politischen Ämtern, der Beamten und Bediensteten des Staates, der Richter, der Leiter und stellvertretenden Leiter von Organen des Staates oder einer Gebietskörperschaft, der Beamten und Bediensteten des politischen (persönlichen) Vertrauens, der Beamten des Staates, die die Funktionen von Leitern und stellvertretenden Leitern von Untereinheiten von Organen oder Einrichtungen ausüben, der Leiter und stellvertretenden Leiter von öffentlichen Unternehmen und Haushaltsbehörden des Staates oder einer Gebietskörperschaft, der Leiter und stellvertretenden Leiter von Vereinigungen oder öffentlichen Einrichtungen, die Mittel aus dem Staatshaushalt oder dem Haushalt einer Gebietskörperschaft erhalten, die Beschäftigten der Bank von Litauen, die mit Befugnissen der öffentlichen Verwaltung ausgestattet sind (Überwachung der Finanzmärkte, außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Finanzmarktakteuren und andere Funktionen der öffentlichen Verwaltung), der Mitglieder der Aufsichts- und Verwaltungsräte sowie der Leiter und stellvertretenden Leiter von Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an denen der Staat oder eine Gebietskörperschaft in einem Umfang beteiligt ist, der ihnen die Hälfte der Stimmrechte in der Hauptversammlung der Gesellschafter verschafft, der Mitglieder des Verwaltungsrats von öffentlichen Unternehmen des Staates oder einer Gebietskörperschaft, der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden politischer Parteien, der Berater ohne Vergütung, Assistenten und Berater von Mandatsträgern und Personen in politischen Ämtern, der von den Ausschüssen des Parlaments der Republik Litauen zugelassenen Experten, der Mitglieder der Ministerkollegien, der Mitglieder des Rates der gesetzlichen Krankenversicherung, der Berater ohne Vergütung des Rates der gesetzlichen Krankenversicherung, der Mitglieder des Nationalen Gesundheitsrats, der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker, die bei Haushaltsbehörden oder Behörden des Staates oder einer Gebietskörperschaft, bei öffentlichen Unternehmen des Staates oder einer Gebietskörperschaft oder bei Unternehmen tätig sind und Inhaber einer Zulassung zur Niederlassung in einem Gesundheitsberuf oder als Apotheker sind, sowie der Mitglieder der Ausschüsse für die Vergabe öffentlicher Aufträge, der Personen, die vom Leiter einer Haushaltsbehörde mit der Vergabe von Aufträgen im vereinfachten Verfahren betraut sind, und der Experten, die in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge tätig sind, (mit Ausnahme der Daten in den Erklärungen der Personen, deren Daten gemäß dem Gesetz geheim sind, und [oder] die eine nachrichtendienstliche Tätigkeit, eine Tätigkeit im Bereich der Gegenspionage oder eine kriminalpolizeiliche Ermittlertätigkeit ausüben) sind öffentlich und werden auf der Website der Obersten Ethikkommission nach Maßgabe der von dieser festgelegten Modalitäten veröffentlicht. Verliert eine Person, deren Daten öffentlich sind, den Status der erklärungspflichtigen Person, nimmt die Oberste Ethikkommission die Erklärung von ihrer Website.

(2)      Folgende in der Erklärung angegebenen Daten dürfen nicht veröffentlicht werden: die persönliche Kennnummer, die Sozialversicherungsnummer, besondere personenbezogene Daten und sonstige Angaben, deren Offenlegung gesetzlich verboten ist. Ferner werden die Daten der anderen Partei einer Transaktion, wenn diese eine natürliche Person ist, nicht veröffentlicht.“


Der Generalanwalt schlägt dem EuGH in seinen Schlussanträgen vor, dem Verwaltungsgericht Vilnius wie folgt zu antworten:

1.      Die Art. 6 und 7 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind im Licht der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Teil der personenbezogenen Daten, die in der Interessenerklärung enthalten sind, die jeder Leiter einer öffentlichen Einrichtung, die öffentliche Mittel erhält, vorzulegen hat, auf der Website der mit der Entgegennahme und der Kontrolle dieser Erklärungen betrauten Behörde zu veröffentlichen ist, wenn eine solche Maßnahme nicht geeignet und erforderlich ist zur Erreichung der Ziele der Verhütung von Interessenkonflikten und von Korruption im öffentlichen Sektor, der Erhöhung der Garantien für Redlichkeit und Unparteilichkeit der öffentlichen Entscheidungsträger und der Stärkung des Vertrauens der Bürger in das öffentliche Handeln.

2.      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind im Licht der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass die Veröffentlichung des Inhalts von Interessenerklärungen auf der Website der mit der Entgegennahme und Kontrolle dieser Erklärungen betrauten Behörde, durch die indirekt sensible Daten wie die in diesen ersten beiden Bestimmungen genannten offengelegt werden können, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten darstellt.

 

C 184/20: Schlussanträge des Generalanwalts vom 9.12.2021



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.12.2021 11:45
Quelle: EuGH online

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