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Mängelrechte bei KI: Wann sind lernende Systeme fehlerhaft? (Diedrich, CR 2021, 289)

Lernende und „intelligente“ digitale Systeme erobern vielfältige Anwendungsbereiche. Die Europäische Kommission hat am 21.4.2021 einen VO-​Entwurf vorgelegt, mit dem Chancen und Risiken für den Binnenmarkt reguliert werden sollen. Fragen zur Schadensersatzhaftung dominieren die bisherige Diskussion. Aber auch die sonstigen „klassischen Gewährleistungsrechte“ wie Nacherfüllung, Rücktritt, Selbstvornahme, Minderung und Kündigung entscheiden darüber, ob ein Produkt erfolgreich vermarktet wird oder eine IT-​Leistung empfindliche Angriffspunkte für den Kunden bietet. In Verbindung mit sonstigen (Projekt-​)Leistungen haben Mängelrechte gravierende Auswirkungen, z.B. in der Projektsanierung. Der Beitrag untersucht nach geltendem Kaufrecht, welchem Vertragstypus Verträge über KI-​Systeme zuzuordnen sind und welche Regeln und Besonderheiten für die Mangelhaftigkeit von KI-​Systemen gelten.

Kaufrechtliche Fehlerhaftigkeit von KI-​Systemen abseits der Schadensersatzhaftung

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Einführung: KI und selbstlernende Systeme

II. Überlassung von KI-Systemen: Zuordnung des Vertragstyps

1. In Betracht kommende Vertragstypen

2. Bestimmung des Vertragstyps nach Schwerpunktbildung

3. Kaufvertragliche Anwendungsfälle

III. Maßstäbe: Mangelhaftigkeit verkaufter KI-Systeme

1. Vereinbarte Beschaffenheit, § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB

    a) Anfängliche Leistungsfähigkeit von KI
    b) Leistungsentwicklung von KI-Systemen
    c) Sonderproblem: Übererfüllendes KI-System

2. Eignung zum vertraglich vorausgesetzten Gebrauch, § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB

3. Objektive Anforderungen an KI-Systeme
    a) Maßstab: Definition des Vergleichs­marktes
    b) Vernünftige Erwartungen des Käufers
    c) Sonderproblem IT-Sicherheit

4. Mangelhafte Montage / Montageanleitung / Anleitungen
    a) Dokumentationen
    b) Aktualisierung von Dokumentationen nach Gefahrübergang

5. Negative Beschaffenheitsvereinbarung oder objektive Mindestleistung

IV. Zusammenfassung

 


 

I. Einführung: KI und selbst­ler­nende Systeme

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Die Definition des Diskus­si­ons­ge­gen­stands der künst­lichen Intel­ligenz („KI“) bietet Anlass für vielfältige Diskus­sionen. Wegen der zu erwar­tenden normie­renden Wirkung auf künftige Gesetz­ge­bungs­vor­haben geht dieser Beitrag von der Definition im Entwurf der Europäi­schen Kommission für harmo­ni­sierte Regeln bzgl. künst­licher Intel­ligenz vom 21.4.2021 aus.1 Die Kommission definiert in Art. 3 Abs. 1: „‘Artificial Intel­li­gence System’ (AI system) means software that is developed with one or more of the techniques and approaches listed in Annex I and can, for a given set of human-defined objec­tives, generate outputs such as content, predic­tions, recom­men­da­tions, or decisions influ­encing the environ­ments they interact with“. Annex I verweist für die Definition von KI auf folgende technische Ansätze zur Reali­sierung: (a) selbst­ler­nende Systeme, unabhängig davon, ob sie überwacht, nicht überwacht oder unter­stützt statt­finden; (b) logik- und wissens­ba­sierte Ansätze; (c) statis­tische Ansätze.

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Die vielfäl­tigen Fragen zu möglichen Defini­tionen sollen für die Unter­su­chung einer „Fehler­haf­tigkeit“ zurück­ge­stellt werden. Zunächst geht es um „Systeme“, d.h. hier konkre­ti­siert auf Software innerhalb bestimm­barer Schnitt­stellen. Die Systeme inter­a­gieren über ihre Schnitt­stellen mit anderen Systemen und/oder Nutzern und beruhen auf mindestens einem der im vorge­nannten Annex I angespro­chenen techni­schen Ansätze („KI-System“).

 

Beispiele

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Sicher­heits­software meldet anhand von Proto­koll­da­teien und Daten­aus­tausch zwischen Systemen Beson­der­heiten der für ein Unter­nehmen einge­setzten IT, die von IT-Sicher­heits­fach­leuten analy­siert werden sollten (Security Infor­mation and Event Management/SIEM). Software bietet Kunden auf Freitex­tein­gaben Hinweise zur Lösung aufge­tre­tener Probleme (entlastet Call-Center). Software verbucht Zahlungs­ein­gänge auf Debito­ren­konten. Mobil­geräte erkennen Nutzer mit lokal imple­men­tierter Gesichts- und Schreib­sti­ler­kennung. Sicher­heits­kamera mit Warnservice, der nur auf neue Personen hinweist.

 

II. Überlassung von KI-Systemen: Zuordnung des Vertragstyps

 

1. In Betracht kommende Vertrags­typen

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Aus der Zuordnung der vertrag­lichen Leistungen zum maßgeb­lichen Vertragstyp ergibt sich, welche Regeln betreffend Mängel­rechte anzuwenden sind. Für KI-Systeme stehen neben dem Dienst­vertrag die Regeln von Kauf, Miete und Werkvertrag im Vorder­grund: Werden Nutzungs­rechte nur für die zu erwar­tende Nutzungs­dauer einge­räumt bzw. sind die Leistung von Software as a Service („SaaS“) oder Appli­cation Service Providing („ASP“) Gegen­stand der Verein­barung, so ist Mieter­ver­trags­recht einschlägig.2 Geht es um die Herbei­führung eines per Indivi­du­al­software zu errei­chenden Erfolgs, so ist (abseits der nach § 650 BGB per Verweis eingrei­fenden Kaufregeln) Werkver­trags­recht anzuwenden.

 

2. Bestimmung des Vertragstyps nach Schwer­punkt­bildung

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Teils werden KI-Systeme – z.B. aus Gründen des Daten­schutzes und der Betriebs­si­cherheit – möglichst vollständig beim Kunden betrieben. Teils werden jedoch externe Ressourcen genutzt, etwa um große Daten­mengen zu inter­pre­tieren oder von zusätz­licher Sicherheit durch extern und normalem Kunden­zu­griff entzogen gespei­cherte Daten zu profi­tieren. In solchen Fällen werden verschiedene Leistungs­ele­mente gemischt. Häufig lassen sich die verschie­denen Leistungs­teile im Rahmen solcher KI-Systeme nicht sinnvoll vonein­ander trennen, ohne die verob­jek­ti­vierte Kunde­n­er­wartung3 an die Sollbe­schaf­fenheit zu unter­graben. Die Recht­spre­chung lehnt die Zerlegung in Einzel­teile mit Anwendung der Regeln des jewei­ligen Vertrags­typus regel­mäßig ab.4 Statt­dessen werden unter Verweis auf gefes­tigte höchstrich­ter­liche Recht­spre­chung (i) nach dem Schwer­punkt des Vertrags der anzuwen­dende Vertrags­typus bestimmt und (ii) nach Bedarf sonstige Regeln und Wertungen heran­ge­zogen.5 Dabei spielen die von den Vertrags­par­teien gewählte Bezeichnung und verwendete Termi­no­logie keine Rolle. Allein die Ausge­staltung der wechsel­sei­tigen Rechte und Pflichten durch die Parteien ist erheblich.6 Dem folgt die Literatur, soweit die verschie­den­ar­tigen Leistungen nicht sinnvoll trennbar sind. Bei solchen Typen­ver­schmel­zungs­ver­trägen, wird die Anwendung nach Schwer­punkt­bildung weitgehend anerkannt.7

 

3. Kaufver­trag­liche Anwen­dungs­fälle

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Wird das Eigentum an KI-Systemen gegen einmalige Vergütung unbefristet übertragen, ist auch für sonstige Software an Kaufrecht zu denken. Gegen Kaufrecht ließe sich einwenden, dass KI-Systeme zumindest teilweise nicht „fertig“ überlassen werden, soweit sie sich nach Überlassung an den Erwerber weiter­ent­wi­ckeln. Aber auch wenn eine Kaufsache noch „reifen“ muss, erschiene es überra­schend, insoweit einen neuen oder anderen Vertrags­typus zu wählen. Kaufrecht bildet auch diese Konstel­lation ab. Bei Gefahr­übergang muss ein KI-System vorliegen, das die vertrags­gemäße Lernfä­higkeit aufweist. Insoweit unter­scheidet sich das KI-System nicht wesentlich von einem Speicher­medium, das mit der Fähigkeit verkauft wird, Daten in bestimmter Weise zu speichern. Die nachfol­gende Darstellung konzen­triert sich auf den Kauf.

 

III. Maßstäbe: Mangel­haf­tigkeit verkaufter KI-Systeme

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Eine Kaufsache ist mangelhaft, wenn sie bei Gefahr­übergang von der vertrag­lichen Sollbe­schaf­fenheit abweicht, § 434 Abs. 1 BGB .8 (...)

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.05.2021 10:59

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