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Reichweite und Grenzen des Anspruchs auf Erhalt einer Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO (Korch/Chatard, CR 2020, 438)

Der Auskunftsanspruch sowie das Recht auf Erhalt einer Kopie der verarbeiteten, personenbezogenen Daten nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO sind zentrale Rechte der betroffenen Person. Die bisher nur unzureichende Konturierung dieses Anspruchs ist aus praktischer und dogmatischer Sicht unbefriedigend. Unter Auswertung der bisherigen Rechtsprechung präzisiert dieser Beitrag Reichweite und Grenzen des Anspruchs.

INHALTSVERZEICHNIS:

I. Einführung

II. Tatbestand des Kopieanspruchs aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO

1. Anspruchsumfang

2. Inhaltliche Orientierung durch den EuGH?

III. Geschriebene Einschränkungen des Anspruchs

1. Einschränkung nach Art. 15 Abs. 4 DSGVO

2. Einschränkungen durch das BDSG

IV. Weitere vorgeschlagene Einschränkungen

1. Vier Kronzeugen gegen ungeschriebene Einschränkungen

2. Einwände gegen die Vorschläge im Einzelnen

V. Untragbarer Aufwand (Exzess)

1. Riesige Datenmengen und hoher Aufwand

2. Ausschluss bei Vermeidbarkeit

3. Schutzbedürftigkeit des Betroffenen

4. Eingeschränktes Wahlrecht

VI. Datenschutzfremde Motivation (Missbrauch)

VII. Ergebnisse

 


 

 

I. Einführung

1

Das Auskunfts­recht aus Art. 15 DSGVO zählt zu den elemen­taren subjek­tiven Daten­schutz­rechten, da erst die Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang ein Verant­wort­licher perso­nen­be­zogene Daten verar­beitet, die wirkungs­volle Ausübung anderer Betrof­fe­nen­rechte ermög­licht. Dieses notwendige Wissens­fun­dament errichtet der Auskunfts­an­spruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zusammen mit dem Recht auf Erhalt einer Kopie gem. Abs. 3. Ihre nicht zu überschät­zende praktische Bedeutung bezeugt die zeitnahe Befassung der Recht­spre­chung,1 einschließlich zweier anhän­giger Verfahren bei den obersten Gerichten.2 Auch im Schrifttum ist ein großes Interesse der Praxis wahrzu­nehmen,3 das angesichts der erheb­lichen Bußgeld- und Schadenser­satz­ri­siken für die Verant­wort­lichen kaum überrascht.4 Im scharfen Kontrast dazu stehen die vielen offenen Rechts­fragen rund um das Recht auf Erhalt einer Kopie, deren Klärung dieser Beitrag unter­nimmt. Dazu unter­sucht er zunächst die tatbe­stand­liche Weite des Rechts auf Erhalt einer Kopie (II.), um sodann dessen Grenzen zu vermessen (III.-IV.) und schließlich die bisher noch kaum betrachtete Exzess- und Missbrauchs­kon­trolle auszu­leuchten (V.-VI.).

 

II. Tatbe­stand des Kopie­an­spruchs aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO

2

Mit Art. 15 Abs. 3 DSGVO ergänzt der Verord­nungs­geber das bereits in der Daten­schutz­richt­linie (DSRL) vorge­sehene5 und in Art. 15 Abs. 1, 2 DSGVO fortbe­ste­hende „Recht auf Auskunft“ um ein „Recht auf Erhalt einer Kopie“6. Die Debatte um das dogma­tische Verhältnis beider Rechte bleibt für den tatbe­stand­lichen Umfang des letzteren ohne Folgen: Auch nach denje­nigen, die Art. 15 Abs. 3 DSGVO nicht als selbst­stän­digen Anspruch,7 sondern lediglich als besondere Form der zu ertei­lenden Auskunft einordnen, muss der Verant­wort­liche zumindest die verar­bei­teten perso­nen­be­zo­genen Daten als Kopie zur Verfügung stellen.8

 

1. Anspruchs­umfang

3

Das Recht auf Erhalt „einer Kopie“9 erstreckt sich somit tatbe­standlich auf perso­nen­be­zogene Daten,10 soweit sie Gegen­stand einer Verar­beitung sind, ohne dass es darüber hinaus einer zusätz­lichen Begründung, eines berech­tigten Inter­esses oder eines Anlasses bedürfte.11 Da nach dem weiten Verar­bei­tungs­be­griff des Art. 4 Nr. 2 DSGVO bereits die Speicherung perso­nen­be­zo­gener Daten genügt, beschränkt dieser allen­falls ausnahms­weise das Auskunfts­recht.12 Ausge­nommen sind nicht einmal bloße Backup-Daten.13 Folge­richtig kommt dem Umfang des Tatbe­stands­merkmals „perso­nen­be­zogene Daten“ eine Schlüs­sel­rolle zu. Diese werden in Art. 4 Nr. 1 DSGVO legal­de­fi­niert als alle Infor­ma­tionen, die sich auf eine identi­fi­zierte oder identi­fi­zierbare natür­liche Person beziehen und schließen gemäß ErwGr. 63 S. 2 auch eigene gesund­heits­be­zogene Daten ein. Dazu gehören beispiels­weise Daten in einer Patien­tenakte, die Infor­ma­tionen wie Diagnosen, Unter­su­chungs­er­geb­nisse, Befunde der behan­delnden Ärzte und Angaben zu Behand­lungen und Eingriffen enthalten.14

4

Ausgehend von diesen norma­tiven Halte­punkten herrscht Einigkeit darüber, dass Stamm­daten wie Namen, Geburts­daten und Merkmale, welche die Identi­fi­zierung einer Person ermög­lichen (Gesund­heits­daten, Konto­nummer, ärztliche Unter­lagen, etc.) vom Auskunfts­recht umfasst sind.15 Hinzu­kommen Video- und Audio­auf­zeich­nungen.16 Lebhaft umstritten ist demge­genüber, ob auch Infor­ma­tionen aus internen Vorgängen des Verant­wort­lichen als perso­nen­be­zo­genes Datum quali­fi­ziert werden können. Erste unter­in­stanz­liche Entschei­dungen verneinen dies17 unter Beifall aus Teilen der Praxis.18 Das Auskunfts­recht umfasst nach dieser restrik­tiven Auffassung weder die der betrof­fenen Person bereits bekannte Korre­spondenz, einschließlich aller E‑Mails, noch interne Vermerke, wie Telefon- und Gesprächs­no­tizen. Auch recht­liche Bewer­tungen und Analysen sind demnach nicht Gegen­stand des Auskunfts­rechts. Demge­genüber steht ein exten­sives Verständnis,19 das sich auf zwei oberge­richt­liche Entschei­dungen zu stützen vermag. Danach enthält (...)

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.07.2020 11:27

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